Frage an Inge Höger von Michelle P. bezüglich Recht
Sehr geehrte Frau Höger,
Sie wurden kürzlich aufgrund einer Aktion insb. ausgehend vom Forum Infokrieg.TV zur Stellungnahme zur anstehenden GG-Änderung (BT-Drs. 16/8488) im Zusammenhang mit dem Vertrag von Lissabon aufgefordert. Ihre Antwort darauf wurde auf dem Forum veröffentlicht, weshalb ich zur Kenntnis nehmen konnte, dass Sie gegen die anstehende GG-Änderung stimmen wollen.
Nun steht es Ihnen als gewählte Parlamentarierin frei, gegen die GG-Änderung zu stimmen, jedoch würde ich gerne erfahren, welchen Grund Sie haben, gegen die Änderung zu stimmen, zumal diese insb. die Opposition im Bundestag - namentlich auch die Fraktion der LINKEN - stärkt.
Zum einen wurden Sie in der Aktion des Forums darauf angesprochen, dass Art. 23 Abs. 1 GG geändert werden soll. Auf diese Behauptung sind Sie nicht eingegangen, obwohl sie offensichtlich falsch ist. Warum sind Sie als Parlamentarier Ihrem Aufklärungsauftrag ggü. der Bevölkerung nicht nachgekommen, um das Missverständnis aufzuklären?
Zum anderen zu den tatsächlichen GG-Änderungen:
In Art. 23 GG soll ein Abs. 1a eingefügt werden, durch welchen es möglich werden soll, gegen Verstöße der EU gegen das Subsidiaritätsprinzip zu klagen. Hierzu bedarf es nur eines Viertels der Mitglieder des BTags. Dies bedeutet, dass die Opposition ohne Stimmen der aktuellen Großen Koalition zukünftig dazu in der Lage wäre, gegen Verstöße der EU vorzugehen. Warum meinen Sie, gegen diese neue Klagemöglichkeit stimmen zu müssen?
Zudem soll Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG geändert werden, damit es nur noch eines Viertels statt eines Drittels der BTags-Mitglieder braucht, um einen Normenkontrollantrag - zB bzgl. EU-Vorgaben - beim BVerfG stellen zu können. Derzeit kann die Opposition im BTag ohne Stimmen der Koalition keinen Antrag stellen, da die Opposition nur 167 von 204 dazu erforderlichen Stimmen hat. Durch die GG-Änderung würde die Opposition wieder allein handlungsfähig, da sie nur noch 153 Stimmen bräuchte. Warum sind Sie gegen diese GG-Änderung?
Grüße.
Sehr geehrter Herr Poitier,
herzlichen Dank für Ihre Anfrage.
Bei dem angesprochenen Gesetzentwurf zur Grundgesetzänderung (16/8488) ging es um die verfassungsrechtliche Absicherung des Begleitgesetzes zum Vertrag von Lissabon (16/8489). In diesem Zusammenhang war vor allem eine Frage zwischen meiner Fraktion und den vier anderen streitig: Es ging darum, dass wir für die Subsidiaritätsklage nach dem Vertrag von Lissabon, mit der geltend gemacht werden kann, dass es keine Notwendigkeit für eine EU-weite Regelung gibt, es jeder einzelnen Fraktion ermöglichen wollte, eine Klageerhebung durch den Bundestag zu erzwingen. Die anderen Fraktionen hingegen forderten dafür einen Anteil von einem Viertel der Mitglieder des Bundestags - das sind mindestens fünf Mal soviel Abgeordnete. Ein ähnliches Problem betraf die vorgeschlagene Änderung zur verfassungsrechtlichen Überprüfung von Gesetzen das Bundesverfassungsgericht anzurufen („Abstrakte Normenkontrolle“). Gegen „EU-Vorgaben“ kann man auf diesem Wege entgegen Ihrer Auffassung allerdings nicht vorgehen. Wir waren auch hier für ein Recht jeder einzelnen Fraktion, die anderen Faktionen für das von einem Viertel der Mitglieder des Bundestags.
Dazu muss man wissen, dass bei dieser abstrakten Normenkontrolle in der bislang geltenden Fassung des Grundgesetzes die Antragstellung durch ein Drittel der Mitglieder des Bundestags vorgeschrieben ist. Insofern ist auch die von den anderen Fraktionen vorgeschlagene Änderung eine Verbesserung gegenüber der vorherigen Rechtslage. Ein Viertel der Mitglieder des Bundestags können die Oppositionsfraktionen aber nur zusammenbringen, wenn sie sich alle drei einigen, was bei den politischen Unterschieden nicht ohne weiteres zu erzielen ist, deshalb wollte ja meine Fraktion das Antragrecht jeder einzelnen Fraktion. Nachdem die Änderungsanträge meiner Fraktion abgelehnt worden waren, habe ich mich zusammen mit einer Mehrheit meiner Fraktionskolleginnen und -kollegen entschieden, wegen der gleichwohl gegebenen tatsächlichen Verbesserung, mich der Stimme zu enthalten.
Mit freundlichen Grüßen
Inge Höger MdB