Frage an Inge Höger von Gerhard R. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrte Frau Höger,
die Tagesmeldung "Zivilisten getötet durch Bundeswehr?" der Zeitungen des Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlages"(www.shz.de) vom 5.9.09 begann mit folgenden Sätzen:
Nach dem verheerenden Luftangriff auf zwei von den Taliban entführte Tanklastwagen in Afghanistan mit mehr als 50 Toten deutet alles darauf, daß die Bundeswehr nicht wahrheitsgemäß über den von ihr erteilten Einsatz informiert. Nach Informationen unserer Zeitung drängt die Nato das Bundesverteidigungsministerium, von seiner bisherigen Informationspolitik Abstand zu nehmen.
Wo kann die Bevölkerung, wo können Bundestagsabgeordnete glaubwürdige Angaben über den Afghanistankrieg erhalten?
Die folgende Frage hat bisher noch niemand beantwortet. Al-Kaida ist bekanntlich ein weltweites Terrornetzwerk. Beispiel: Al Kaida gibt es auch in Algerien - bestätigt wird dies in der Reisewarnung des Auswärtigen Amtes.
Wird die Terrorgefahr wesentlich kleiner, wenn in einem(1!) Staat(Afghanistan) Al-Kaida ausgeschaltet wird?
Mit freundlichen Grüßen
Gerhard Reth
Sehr geehrter Herr Reth,
Sie haben Recht, es ist außerordentlich schwierig, etwas über die tatsächliche Lage in Afghanistan zu erfahren. Zur Illustration und Ergänzung zu ihrem Hinweis: Während sämtliche internationalen Stellen schon bedauerten, dass durch den Befehl des Bundeswehroffiziers Dutzende Zivilisten getötet wurden, stritten das sowohl Frau Merkel als auch Herr Jung weiterhin ab. Sie beriefen sich dabei auf den Provinzgouverneur, der nichts von den zivilen Opfern wissen wollte, die er kurz zuvor beklagt hatte. Lieber machte er Dorfbewohner selbst für ihren Tod verantwortlich. Dieser enge Verbündete der Besatzer wurde von der Bundesregierung noch kurz vorher der Spionage für die Taliban verdächtigt.
Grundsätzlich sehen wir leider konkret die einzig zuverlässige Wahrheit in Kriegen: Die Wahrheit ist, dass die Wahrheit als erstes begraben wird. Dass das zuweilen lächerliche Züge annimmt, wenn Merkel, Jung und Steinmeier weiterhin so tun, als hätte es demokratische Wahlen in Afghanistan gegeben und als hätte es zivile Opfer bei der barbarischen Bombardierung nicht gegeben, ist eine groteske Illustration dieser letzten „Wahrheit“.
Auch Bundestagsabgeordnete sind oft darauf angewiesen, sich an die Medien zu halten, weil die Informationspolitik der Regierung verschleiert, wo es nur geht. Alternativ versuchen wir als Linksfraktion mit einigem Erfolg, Kontakte zu afghanischen Parteien und zu Personen herzustellen und zu halten: Beispiele sind hier RAWA (Die Organisation Revolutionärer Afghanischer Frauen), Malalai Joya oder auch die Afghanische Solidaritätspartei. Außerdem nehmen wir die Berichte afghanischer und ausländischer NGO’s sehr ernst, die schon lange vor den katastrophalen Folgen der sogenannten „Zivil-militärischen Zusammenarbeit“ warnen. Die „ZMZ“ führe dazu, dass zivile und militärische Organisationen nicht mehr auseinandergehalten werden. Hilfsorganisationen sind durch diese auch von der Bundeswehr betriebene absichtsvolle Verwischung der Grenzen zwischen dem Zivil-Humanitären und dem Militärischen immer mehr Opfer von Angriffen geworden und haben mittlerweile ihre Arbeit weitgehend eingestellt. Das sind unsere Kronzeugen: Die Opfer von Krieg und Besatzung, die Hilfsorganisationen und die, die für Gerechtigkeit und ein Ende der Besatzung kämpfen.
Zu Ihrer letzten Frage: Ich weiß nicht wirklich, wie groß Al-Qaeda ist, in welchen Ländern sie vertreten ist und wie viel Macht sie hat. Es scheint Zellen des Netzwerkes in vielen Ländern zu geben, allerdings wird auch gern die ein oder andere Oppositionsgruppe in den Ländern des Nahen Ostens willkürlich zu Al-Qaeda gerechnet, schon weil dann niemand mehr die Wahl der Mittel bei der Zerstörung von Opposition hinterfragt. Wenn Al-Qaeda, was ich nicht glaube, wirklich so ein Krake ist, dann haben Sie natürlich Recht: Es ist völlig sinnlos, Al-Qaeda in Afghanistan besiegen zu wollen. Trotzdem habe ich den Eindruck, dass sich Al-Qaeda als Name und Schreckgespenst einfach sehr gut zu eignet, um unter diesem Obergriff alles zusammenzufassen, was der gegenwärtigen globalen bewaffneten Neuverteilung entgegenzustehen scheint. Das Phänomen, vor dem Sie warnen, kennen wir jedoch bereits: Die Führungselite der Taliban ist schon längst dorthin umgezogen, wo sie herkam: nach Pakistan. Das dient den Alliierten als Rechtfertigung für die hinterhältige Bombardierung von Dörfern und Flüchtlingslagern im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet mit unbemannten Flugzeugen. Das pakistanische Regime rüstet mit der gleichen Rechtfertigung irreguläre Milizen aus, so dass im Swat-Tal jede Nacht neue Leichen junger Männer an den Straßen und Strommasten auftauchen. In den letzten Monaten sind in diesem Tal zwei-drei Millionen Menschen zur Flucht getrieben worden.
Ich glaube, dass Terrorismus, den einzelne oder Gruppen ausüben, nicht durch Staatsterrorismus bekämpft werden kann, sondern dass staatlich organisierte Gewalt (Krieg, Bombardements ..) Terrorismus wesentlich mit verursacht. Deshalb müssen wir als ersten Schritt alle militärischen Handlungen in Afghanistan einstellen und die bewaffneten Truppen abziehen.
Mit freundlichen Grüßen
Inge Höger MdB