Frage an Ina Lenke von Jenny M. bezüglich Familie
Sehr geehrte Frau Lenke,
1955 bis 1957 wurde bei der Firma Chemie Grünenthal GmbH in Stolberg bei Aachen die Substanz Thalidomid entwickelt. Sie bildete die Grundlage des ab 1. Oktober 1957 in den Handel gebrachten Schlaf- und Beruhigungsmittels Contergan. Grünenthal deklarierte „Contergan“ als allgemein ungefährlich, ohne die Einnahme während der Schwangerschaft auszuschließen.
Weder die Warnungen anerkannter Wissenschaftler und Chefs bedeutender Kliniken wegen der von diesen diagnostizierten Nebenwirkungen noch die bei Grünenthal immer offenkundiger gewordene Tatsache der Unüberschaubarkeit der mit der Einnahme von Contergan verbundenen Gefahren noch der im November 1961 bekannt gewordene begründete Verdacht eines deutschen (Dr. Lenz) und eines australischen Oberarztes, die unabhängig voneinander Contergan mit schweren Missbildungen Neugeborener in Zusammenhang brachten, bewogen Grünenthal zu einer Rücknahme von Contergan aus dem Handel.
In diesem Zusammenhang interessiert mich, ob Sie sich bei der Verursacherfirma Grünenthal für weitere Entschädigungen der Conterganopfer einsetzen wollen.
Mit freundlichen Grüßen
Jenny Müller
Sehr geehrte Frau Müller
ich danke für Ihre Zuschrift, die ich gerne beantworte.
Bei der Erhöhung der Renten der Conterganopfer muss eine sensible Abwägung zwischen den verständlichen und berechtigten Anliegen der Opfer und den Anliegen aller anderen Gruppen von Menschen mit Behinderung gefunden werden. Der deutsche Staat trägt heute unter den besonderen juristischen Bedingungen des Conterganskandals quasi sämtliche Leistungen für Contergangeschädigte im Gegensatz zu anderen Staaten. Eine Besserstellung einer streng abgegrenzten Gruppe von Behinderten gegenüber allen anderen Menschen mit Behinderung bedarf daher einer überzeugenden Begründung.
Die FDP hat es sehr begrüßt, dass die Bundesregierung nicht die vorgesehene Rentenanpassung von 5% durchgeführt hat, sondern die Conterganrenten mit Zustimmung aller Fraktionen des Deutschen Bundestages zum 01. Juli 2008 verdoppelt wurden. Dieser Schritt wird den steigenden Belastungen der Betroffenen aufgrund ihrer Behinderung gerecht.
Die FDP hält es darüber hinaus für wünschenswert, dass die Fraktionen sich gemeinsam über das weitere politische Vorgehen verständigen, da auch wir durchaus weiteren Verbesserungsbedarf sehen. Die FDP hat daher auch bei der ersten Lesung des Gesetzes zur Verdoppelung der Conterganrenten die Anregung gegeben, dass sich der Bundestag in einem gemeinsamen Antrag auf das weitere Vorgehen bei der Hilfe für Contergangeschädigte einigt.
Am 22. Januar 2009 hat der Deutsche Bundestag einem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der FDP zur Sicherstellung einer angemessenen und zukunftsorientierten Unterstützung der contergangeschädigten Menschen zugestimmt (BT-Drucksache 16/11223). Auch in der Rede zu diesem Antrag haben wir betont, dass einige Forderungen der FDP über den gemeinsam mit der Koalition beschlossenen Antrag hinaus gehen, d. h. wir sahen in diesen Punkten keinen Prüfbedarf mehr, sondern hielten sie für umsetzungsreif.
Diese beiden Punke waren die Dynamisierung des Rentenanspruchs und die Streichung des Fristausschlusses. Ich begrüße es daher grundsätzlich, dass sich die Koalition dieser Forderung sehr weitgehend im neuen Conterganstiftungsgesetz angeschlossen hat, dessen Anhörung am 4. Mai 2009 stattfand. Allerdings sehen wir noch immer Änderungsbedarf.
- Dynamisierung des Rentenanspruchs
Vor der Erhöhung der Conterganrenten zum 1. Juli 2008 erfolgte die letzte Rentenerhöhung für Contergan-Opfer zum 1. Juli 2004. Diese Zeiträume sind unbefriedigend, da die Inflation die Rentenerhöhung aushöhlt. Die prozentuale jährliche Anpassung der Altersbezüge auf die Conterganrenten zu übertragen, ist ein guter und unbürokratischer Weg der Dynamisierung. Gleichzeitig sollte die Rente aber in geeigneten Zeiträumen (z. B. 5 Jahre) grundlegend überprüft werden, da mit fortschreitendem Alter der Contergangeschädigten auch der Hilfebedarf weiter zunehmen dürfte. Hier hätte die FDP gerne eine Klarstellung im Gesetz. Desweiteren haben wir auch in der Anhörung darauf hingewiesen, dass durch die positive und gewollte Dynamisierung der Conterganrente anhand des Dynamisierungsfaktors der Altersrente, es bei sinkenden Altersrenten zu sinkenden Conterganrenten kommen könnte. Die FDP tritt für eine definitive Klarstellung im Gesetz ein, dass ein Sinken der Conterganrenten ausgeschlossen ist.
- Fristausschluß
Bis zum 31.12.1983 mussten Ansprüche bei der "Stiftung Hilfswerk für behinderte Kinder" (2005 in "Contergan-Stiftung für behinderte Menschen" umbenannt) geltend gemacht werden, um einen Anspruch auf Zahlungen zu erhalten. Der Gesetzgeber ging davon aus, dass diese Frist ausreichend ist. Wir wissen nunmehr, dass diese Annahme falsch war. Aus diesem Grund lehnt die FDP es ab, dass nun diese alte Frist durch eine neue Frist bis zum 31.12.2010 ersetzt wird. Die FDP hält den Zeitraum für zu kurz, da auch heute noch Betroffene des Conterganskandals "entdeckt" werden, die also die Frist schon deshalb nicht wahrnehmen können, weil sie von ihrer eigenen Betroffenheit nichts wissen. Sinn der durch Gesetz vom 17.12.1971 errichteten Stiftung des öffentlichen Rechts ist es, Individualleistungen für Behinderte, deren Fehlbildungen durch Thalidomid (Contergan®) hervorgerufen wurden, zu erbringen. Wer eindeutig zu dieser Gruppe gehört, muss auch Leistungen nach diesem Gesetz erhalten können. Der vorliegende Gesetzentwurf zum Conterganstiftungsgesetz geht davon aus, dass 60% aller noch zu erwartenden Anträge auf Leistung noch dem Gesetz den Rentenhöchstsatz beziehen werden. Dies zeigt deutlich, wie eindeutig falsch die Frist war und eine neue Frist sein wird. Egal, ob es sich um 100 oder 500 Personen handelt, die aufgrund ihrer Conterganschädigung noch einen Leistungsanspruch hätten, und egal in welchem Umfang es gegebenenfalls Nachzahlungen geben wird. Die FDP ist für die sofortige Streichung der Frist, sowohl der alten wie der neuen. Es ist der einzige vernünftige Weg.
Der Contergan-Hersteller Grünenthal hat eine stärkere Unterstützung von Geschädigten in Aussicht gestellt und sich freiwillig im Mai 2008 verpflichtet nochmals 50 Mio. Euro in die Conterganstiftung einzuzahlen. Dieser Betrag wird mit Inkrafttreten des demnächst zu verabschiedenden neuen Conterganstiftungsgesetzes fällig.
Die von der Grünenthal GmbH eingebrachte Spende von 50 Mio. Euro in die Conterganstiftung ermöglicht es eine jährliche Sonderzahlung für den besonderen Bedarf der contergangeschädigten Personen auszuschütten. Darüber hinaus werden nochmals 50 Mio. Euro aus dem Stammvermögen der Stiftung unmittelbar an die leistungsberechtigten Personen ausgezahlt werden. Der Kapitalstock der Stiftung wird bis auf einen Restbetrag von rund 7 Millionen Euro nach und nach aufgezehrt. Durch diese langfristige Kapitalisierung des Stiftungsvermögens fließt dieses somit dem Personenkreis zu, der einen Anspruch darauf hat. Insgesamt stehen 100 Millionen Euro nebst Erträgen für diese jährlichen Sonderzahlungen zur Verfügung, die je nach Schwere ihrer Behinderung gestaffelt werden. Die FDP hält den hier aufgezeigten Weg für gut und wird ihn unterstützen.
Mit freundlichen Grüßen
Ina Lenke