Frage an Hubert Hüppe von Gregor H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Hüppe,
heute stand in der NRZ "Schlechtes Zeugnis für Förderschulen" Warum wird in der öffentlichen Diskussion um die Inklusion nicht differenziert? Die Förderschulen, die behinderte Kinder mit normaler oder guter Inteligenz haben, wie z.B. die Förderschule Sprache, geben nach dem 2. Schuljahr fast die Hälfte ihrer Schüler an die Regelschule zurück, sie haben eine hohe Rückführungsquote! Wenn von Auflösung von Förderschulen gesprochen wird, fehlt ebenfalls eine differenzierende Darstellung. Bei Schwerhörigen oder Sprachbehinderten lässt sich problemlos eine Lösung vorstellen, dass diese Kbehinderten Kinder in der Regelschule mit zusätzlicher Therapie gefördert werden. Wenn von behindertengerechtem Umbau von Schulgebäuden die Rede ist, werden außer den Körper- und Mehrfachbehinderten die übrigen Behinderten nicht gemeint, es sei denn, man spricht von eigenen kleinen Therapieräumen. Sollte nicht das Wohl des Kindes als Grundsatz gelten? Zur Inklusion gehört doch wohl nicht nur Akzeptanz , sondern auch Förderung/Therapie, d.h. die Öffentlichkeit muss lernen, Behinderte als normalen Teil ihrer Gesellschaft anzunehmen und der jeweilige behinderte Schüler muss die Chance haben, seine Behinderung durch Therapie und Förderung zu überwinden, zu minnimieren oder mit ihr besser leben zu lernen. Können Sie da zustimmen?
Mit freundlichen Grüßen
Gregor Heinrichs
Sehr geehrter Herr Heinrichs,
ich gebe Ihnen Recht, dass eine differenziertere Diskussion der Sache sicher gut täte. Allerdings geht es bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention nicht darum, ob bestimmte Förderschulen besser als andere sind. Es geht darum, dass wir nicht mehr das Recht haben, Kinder mit Behinderungen auf Förderschulen zu verweisen, da längst erwiesen ist, dass sie - mit der jeweils notwendigen Unterstützung - auch in Regelschulen lernen können. Denn das ist Diskriminierung.
Sie beschreiben die „Erfolge“ der Förderschule Sprache. Wie aber, Herr Heinrichs, fühlen sich die Kinder, die nicht zu der Hälfte gehören, die zurück in die Regelschule gehen darf? Wie sollen sie sich nach der Schulzeit in einer Gesellschaft zurechtfinden, von der sie ihr ganzes Schulleben lang ferngehalten wurden? Dann gibt es plötzlich keinen Schutzraum mehr und sie müssen sich mit ihrer Sprachbehinderung einer Öffentlichkeit stellen, die auch nicht gelernt hat, damit umzugehen. Dieses Problem hat nichts damit zu tun, ob Sonderpädagogen engagiert sind, was ich auch aus eigener Erfahrung nicht bestreiten kann. Das Problem ist, das Teilhabe nicht gelehrt werden kann, sondern erfahren werden muss.
Erfolgreiche Förderung ist nicht an einen Ort gebunden. Die Förderung muss den Kindern folgen, statt das Kinder an „Förderorte" geschickt werden. Und auch hier stimme ich Ihnen zu: Individuelle Unterstützung in der Regelschule meint mehr als Aufzüge für Rollstuhlfahrer. Es geht um alle Kinder, gleich welche Behinderung sie haben, und für einige sicherlich auch um Therapien. Hier sind Länder, Kommunen und Schulen in der Pflicht.
Was aber heißt das in der Zwischenzeit für die Kinder, die mit ihrem Schulbesuch nun einmal nicht warten können bis alles perfekt ist? Häufig genug wird Kindern der Besuch einer Regelschule verweigert, weil die Bedingungen noch nicht gut genug seien. Wie gut die Förderschule dem Kind tut, wird dabei nie hinterfragt. Deshalb habe ich den Bericht des Landesrechnungshofes zitiert.
Sie sagen, das Wohl des Kindes muss im Mittelpunkt stehen. Der Bericht des Landesrechnungshofes zeigt sehr deutlich, dass es - im Widerspruch zu den Beteuerungen der Lehrerverbände - schon bei den Gutachten zur Feststellung des Förderbedarfes eben häufig nicht um das Kind geht. Der Bericht zeigt auch, dass das System Förderschule bei den „Lern- und Entwicklungsstörungen“ trotz besonderer Ausstattung, kleiner Klassen und spezialisierter Lehrer/innen nicht erfolgreich ist. Es gibt also nicht nur im Hinblick auf die Menschenrechte, sondern auch im Hinblick auf schulische Erfolge keine Rechtfertigung, ein Kind gegen seinen Willen auf diese Förderschulen zu schicken.
Deshalb ist es nur konsequent, die Mittel schnellstmöglich umzuschichten um gemeinsamen Unterricht mit der notwendigen Qualität zu ermöglichen.
Mit freundlichen Grüßen,
Hubert Hüppe, MdB