Frage an Holger Haibach von Eduart Z. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Haibach,
der Innenminister von Italien, Roberto Maroni, hat einen interessanten Vorstoß zu Bekämpfung der ausufernden Ausländerkriminalität unternommen: Kindern von Zigeunern werden bald routinemäßig die Fingerabdrücke abgenommen, um sie später als Straftäter bzw. illegale Einwanderer besser identifizieren zu können. (siehe Artikel im britischen Telegraph http://www.telegraph.co.uk/news/worldnews/europe/italy/2200020/Italy-to-fingerprint-all-Roma-gipsy-children.html)
Dazu habe ich folgende Fragen an Sie, unter Bezug auf Ihre Funktion als Mitglied des Ausschuss für Menschenrechte des Deutschen Bundestags:
1. Inwiefern sehen Sie durch das italienische Vorgehen Menschenrechtsfragen tangiert, denn Kritiker sprechen hier von einem "Generalverdacht gegen eine gesamte ethnische Gruppe"? Teilen Sie die Einschätzung der Kritiker, oder überwiegen für Sie die positiven Effekte?
2. Welche Schlußfolgerungen ziehen Sie für die bestehende Zusammenarbeit unserer Strafverfolgungsbehörden mit dem EU-Mitgliedsland Italien? Dürfen diese Fingerabdrücke auch in deutsche Datenbanken der Bundes- und Landespolizeien überführt und genutzt werden?
Hochachtungsvoll,
Ihr Eduart Zimmer.
Sehr geehrter Herr Zimmer,
Ihre Frage über abgeordnetenwatch.de habe ich gelesen.
Ich halte das Vorgehen von Innenminister Maroni für völlig indiskutabel, denn offenbar geht es ihm nur darum, eine ethnische Gruppe, nämlich Sinti und Roma öffentlich zu diskriminieren und sie pauschal als Straftäter abzustempeln. Dies umso verwerflicher als es sich dabei um Kinder handelt. Ein solches Vorgehen lehne ich entschieden ab und kann auch keine positiven Effekte darin erkennen.
Bei der Abnahme von Fingerabdrücken etc. kommt eine Differenzierung ausschließlich nach ethnischer Zugehörigkeit nicht in Betracht. Dies ist sowohl nach der deutschen und europäischen Rechtslage (Diskriminierungsverbot) ausgeschlossen. Nach deutscher Rechtslage werden Fingerabdrücke bei Straftätern und Verdächtigen erhoben, im Bereich des Ausländerrechts lediglich bei Asylbewerbern und illegalen Einwanderern, sofern sie das 14. Lebensjahr vollendet haben, und im AFIS (Automatisiertes Fingerabdruck-Identifizierungssystem) beim BKA gespeichert.
Ich sehe definitiv keine Verwendbarkeit solcher Fingerabdrücke für deutsche Behörden, wenn sie von Italien mit einem deutlichen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot erhoben werden. Hinsichtlich der polizeilichen Zusammenarbeit auf EU-Ebene kommt der Prümer Vertrag zur Anwendung. Der Prümer Vertrag sieht zur Verbesserung des Informationsaustauschs einen gegenseitigen automatisierten Abruf auf bestimmte nationale Datenbanken vor:
- auf Fahrzeugregisterdaten können die Vertragsparteien im Wege eines vollen Online-Zugriffs abrufen.
- auf Fingerabdruck- und DNA-Analyse-Dateien wird der Zugriff lediglich im Wege des Hit-/No-Hit-Systems eröffnet, d.h. es wird lediglich angezeigt, ob der andere Staat in seiner Datenbank Daten zu dem abgefragten Fingerabdruck bzw. DNA-Identifizierungmuster gespeichert hat. Im Trefferfall muss der Datenaustausch über den üblichen Rechtshilfeweg erfolgen. Fingerabdrücke und DNA-Daten dürfen nur zur Straftatenverfolgung ausgetauscht werden. Zu präventiven Zwecken können Informationen über reisende Gewalttäter ausgetauscht werden (Fußballspiele, Gipfeltreffen).
Der Prümer Vertrag ist ursprünglich von sieben Staaten (D, BE, ES, F, LUX, NL, A) geschlossen worden, vier Länder (FIN, POR, I, SLO) sind beigetreten. Der Vertrag soll auch für die übrigen EU-Staaten (in etwas abgespeckter Version) zur Anwendung kommen (Überführung in EU-Recht durch Ratsbeschluss).
Mit freundlichen Grüßen
Holger Haibach