Frage an Hermann Ott von Stefan S. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie
Sehr geehrter Herr Dr. Ott,
Im Mai 2011 haben Sozialpolitiker der SPD eine Initiative mit dem Ziel gestartet, die steigenden Ausgaben für erzieherische Hilfen einzudämmen. Der Grund: Sollte dies nicht gelingen, sei die politische Handlungsfähigkeit der Kommunen gefährdet.
Als Antwort auf die drängenden sozialen Probleme im Jugendhilfebereich soll, so die Meldungen, es nur noch eine Gewährleistungsverpflichtung geben, in deren Rahmen die Kommunen eine Infrastruktur bereit halten. Beratungs- und Unterstützungsangebote freier Träger, also vor allem der Wohlfahrtsverbände, solle es nur noch in Verbindung mit Kindertagesstätten und Schulen geben. Ganz zu schweigen von den gewerblichen Trägern.
Meine Frage hierzu an Sie:
Wie ist Ihre Haltung zu diesem bereits weit fortgeschrittenen Projekt in Berlin.
Wenn es Ihre Zeit zulässt, würde ich mich über eine Antwort zu dem einen oder anderem Punkt freuen.
Mit freundlichen Grüßen
Stefan Schwall
Sehr geehrter Herr Schwall,
neben Familie und Schule leistet die Kinder- und Jugendhilfe einen entscheidenden Beitrag, das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen positiv zu unterstützen. Sie ist daher einer der größten gesellschaftlichen Leistungsträger Deutschlands. Der besondere Wert der Jugendhilfe liegt darin, dass sie zumeist eine vielfältige und differenzierte Angebotslandschaft bereithält. Diese ist dem Recht von Kindern und Jugendlichen auf Förderung ihrer Entwicklung und der Erziehung zu eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten verpflichtet.
Mit ihrer Vielfältigkeit, Pluralität und Komplexität wird die Jugendhilfe den spezifischen Bedürfnissen und Wünschen von Kindern und Jugendlichen gerecht. Aber nur wenn die Jugendhilfe ihre Vielfalt - in manchen Regionen Deutschlands kann man leider schon lange nicht mehr von Vielfalt sprechen - bewahrt, kann sie auch bedarfsgerecht und effektiv wirken. Dazu gehört, dass Kinder und Jugendliche ein Recht auf individuelle Hilfen haben müssen.
Die Vorschläge der Staatssekretäre der SPD-mitregierten Bundesländer haben uns stellenweise schockiert. Wir finden es durchaus unterstützenswert, das es mehr Angebote in Regelinstitutionen geben soll. Allerdings halten wir eine einseitige Ausrichtung auf gruppenbezogene Angebote in Regeleinrichtungen als Ersatz für die Gewährung von individuellen Hilfen zur Erziehung in der Familie für nicht adäquat. Auch möchten wir die Sozialraumorientierung stärken. Allerdings nicht zu Lasten der individuellen Hilfen.
Wir stimmen überein, dass der Anstieg der Kosten im Bereich der Hilfen zur Erziehung auffallend ist. Allerdings kommen wir bei genauerer Betrachtung zu anderen Erklärungen des Phänomens und ebenso zu anderen Schlussfolgerungen. Dazu gehört, dass die Fachkräfte der Jugendämter in der Wahrnehmung ihrer Hilfeplanaufgaben gestärkt werden müssen. Und sicherlich müssen längerfristig die unterschiedlichen Instrumente der Hilfen zur Erziehung einer wissenschaftlich fundierten Evaluierung unterzogen werden.
Der eigentliche Aufhänger der Initiative war doch, dass in der Kinder- und Jugendhilfe gespart werden sollte. Erst im zweiten Schritt ging es um eine inhaltliche Neuausrichtung.
In dieser Form haben wir die Vorschläge kritisiert und freuen uns, dass die Kritik insgesamt ein Einlenken bewirkt hat. Dennoch ist das Thema für uns keinesfalls vom Tisch. Von daher wird die grüne Bundestagsfraktion die weitere Entwicklung und Debatte aufmerksam und kritisch begleiten.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Hermann E. Ott