Frage an Herbert Schulz von Wiebke H. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrter Herr Schulz,
um am 22/September die für mich richtige Entscheidung treffen zu können, würde ich gern von Ihnen wissen, wie Sie zu dem unseligen deutschen Kammerwesen stehen.
Jeder, der in Deutschland ein Gewerbe anmeldet, wird automatisch und ohne gefragt zu werden, Mitglied – besser gesagt Zwangsmitglied - einer Kammer. Die allermeisten dieser Zwangsmitglieder haben nicht den geringsten Nutzen von dieser Mitgliedschaft. Im Gegenteil, sie werden dazu verdonnert, teils horrende Beiträge zu zahlen, für die sie keinerlei Gegenwert erhalten. Und wenn sie dann tatsächlich einmal den Versuch unternehmen, Unterstützung von der jeweiligen Kammer zu erhalten, hält diese als erstes wieder die Hand auf und gewährt Hilfe ggf. nur gegen Bares. Das ist unverschämt! Außerdem erdreisten sich die Mitarbeiter – insbesondere die sog. höheren Chargen – permanent sich zu allen möglichen Themen, die sie in der Regel gar nichts angehen, in der Öffentlichkeit zu äußern und behaupten dann auch noch, "die Wirtschaft/das Handwerk usw." des jeweiligen Bundeslandes zu vertreten, was ganz sicher nicht zutrifft! Das drücken allein die Beteiligungszahlen bei den sog. Kammerwahlen aus.
Die Betreuung von Auszubildenden gehört, genau wie die allgemeine Schulbildung, in die Hand des Staates. Dafür bräuchte man also schon mal keine Kammern. Im- und Exportfirmen z.B., die Hilfe bei irgendwelchen Formalien brauchen, können sich diese auch woanders als bei den Handelskammern holen. (Dort müssen sie dafür auch extra zahlen.) Also braucht es auch dafür keine Anstalt öffentlichen Rechts mit Zwangsmitgliedern. Und wer meint, dass er unbedingt so etwas wie einen Berufsverband braucht, kann sich ja gern mit Gleichgesinnten zusammenschließen und einen entsprechenden Verein gründen, dem dann jeder der mag, freiwillig beitreten kann. Die Kammern jedenfalls halte ich für so unnötig wie einen Kropf!
Sind Sie bereit, sich in der nächsten Legislaturperiode dafür einzusetzen, dass das Kammerwesen abgeschafft wird?
Mit freundlichem Gruß
Wiebke Hildener
Sehr geehrte Frau Hildener,
den von Ihnen geschilderten Missständen in den Kammern kann ich nur zustimmen. Aufgrund vieler Anfragen hat meine Partei sich mit dieser Problematik intensiv befasst. Der Einfachheit halber und um Doppelung zu vermeiden verweise ich auf die Ausführungen meiner Kollegin Kersten Artus, Kandidatin im Wahlkreis Eimsbüttel, der sie die gleiche Frage gestellt haben, insbesondere auf ihre Darlegungen zu den undurchsichtigen Unternehmensbeteiligungen der Handelskammer Hamburg, die mit dem Satzungszweck nur schwer zu vereinbaren sind.
Was Frau Artus dort dann weiter ausgeführt hat, gilt sinngemäß auch für die Handwerkskammern. Dazu eine kurze Ergänzung. Auch dort ist nicht alles Gold, was glänzt. Zunächst hört sich „Selbstverwaltung im Handwerk“ praxisnah und effizient an. Doch in der Realität leiden viele Pflichtmitglieder unter den hohen Beiträgen. Sie fühlen sich politisch vereinnahmt, unzureichend repräsentiert und ohne Einfluss auf die Entscheidungsfindung. Zu vielen Informationen haben sie keinen Zugang. So gab es nach Recherchen meiner Fraktion im Bundestag in den 53 Handwerkskammern seit 1953 nur dreimal konkurrierende Listen für die Wahl der Vollversammlung. Der Auftrag an die Kammern, das Gesamtinteresse des Handwerks zu vertreten, scheitert regelmäßig an den Interessengegensätzen zwischen ArbeitnehmerInnen und ArbeitgeberInnen, zwischen meisterfreien und meisterpflichtigen Gewerken und unterschiedlichen Betriebsgrößen. Darüber hinaus werden nur selten Gehälter der GeschäftsführerInnen, Pensionsansprüche, Haushaltspläne oder Wahlabläufe veröffentlicht.
Die Anträge meiner Partei zur Reform des Kammerwesens und zur Überarbeitung der entsprechenden Gesetze sind von den anderen Parteien abgelehnt worden. Sie haben sich noch nicht einmal die Mühe gemacht, sich mit den offensichtlichen Missständen auseinander zusetzen.
Die LINKE. setzt sich für Beitragsgerechtigkeit, Transparenz und demokratische Beschlussfassungen sowie für die Parität von Arbeitnehmern und Arbeitgebern ein. Sind diese Kriterien nicht gegeben, fehlt der Pflichtmitgliedschaft in den Kammern definitiv die Legitimation.
Mit freundlichen Grüßen
Herbert Schulz