Frage an Herbert Schulz von Ralf Paul R. bezüglich Familie
Sehr geehrte Frau / Sehr geehrter Herr
mit einer Gruppe von Interessierten Wählerinnen und Wählern haben wir ein paar Fragen ausgearbeitet, auf die wir gerne persönliche Antworten der Direkt-Kandidatinnen und -Kandidaten haben möchten.
Wir werden Ihre Antworten in unserem kleinen Forum vortragen und diskutieren.
1.) "Als Bürger der Bundesrepublik Deutschland wünsche ich mir als, über Erststimme direkt in den Bundestag gewählten, Volksvertreter eine Person, die "an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen" ist (GG §38.1). Wie ernst nehmen Sie in Abstimmungsfragen, bei denen ein (wenn auch versteckter) Fraktionszwang angemahnt wird, die Verpflichtung, nur dem eigenen Gewissen und den Interessen der Wähler Ihres Erststimmen-Wahlkreises gemäß abzustimmen?"
2.) "Die gewaltigen Schuldsummen von Staat und Ländern sind für mich erschreckend und beängstigend.
Welche Lösungsvorschläge sehen Sie, dieses Schuldenfiasko systematisch in den Griff zu bekommen, ohne mit der Ausrede einer ´allgemeinen Haushalts-Notlage´ wichtige und gesellschaftlich unverzichtbare Leistungsbereiche mit Kürzungen oder Streichungen zu belasten?"
3.) "Der in Wahlkampfreden verwendete Arbeitsbegriff ist m.E. heute nicht mehr zeitgemäß, da er nur die herkömmlichen Arbeitsverhältnisse (sprich: Erwerbsarbeit) berücksichtigt. Wie stehen Sie persönlich zum tradierten Begriff ´Arbeit´? Werden Sie Sich persönlich als Volksvertreter für eine Neuausrichtung des Arbeitsbegriffes auf Themenwelten wie Familienarbeit, soziales Engagement, kulturelle Wertschaffung und Ähnliches unter Berücksichtigung einer angemessenen Entlohnung einsetzen? Wie ist Ihre Meinung zu dem Vorschlag eines allgemeinen ´Bürgergeldes´, bzw. einer ´Grundsicherung für Alle´?"
Wir danken für Ihre aufrichtigen Antworten.
i.A. Ralf Randau, Hamburg.
Sehr geehrter Herr Randau,
Sie haben drei Fragen gestellt, zu denen man jeweils eine kleine Abhandlung schreiben könnte. Hier meine Antworten in aller Kürze. Die Linke ist eine plurale Partei, die sich nach manchmal kontroversen Diskussionen auf bestimmte Positionen verständigt und diese dann gemeinsam vertritt. Die von uns im Wahlprogramm formulierten Alternativen zur neoliberalen Politik der letzten Jahre und Jahrzehnte werden von der zukünftigen Fraktion geschlossen vertreten und -so wie es aussieht- in konsequente Oppositionspolitik übersetzt werden. Ich teile diese Positionen voll und ganz. Den von Ihnen angenommenen Dissens zur Mehrheitsmeinung in der Partei und Fraktion kann ich mir zur Zeit gar nicht vorstellen. Sollte er dennoch einmal eintreten und ich zu der Auffassung gelangen, dass eine Entscheidung der Fraktion elementaren Grundsätzen linker Politik widerspricht, werde ich nicht zögern, dagegen zu stimmen. Aber wie gesagt: das ist aus meiner Sicht alles sehr hypothetisch.
Der von Ihnen angesprochene Schuldenberg ist in der Tat gewaltig. Dennoch gibt es aufgrund der aktuellen Krisenkonstellation und des Rückgangs der Steuereinnahmen keine Alternative zum Instrument der Neuverschuldung. Langfristig entscheidend ist eine sozial gerechte Steuerreform, die die Einnahmen der öffentlichen Hand nachhaltig stärkt durch eine energische Besteuerung des immensen Reichtums in diesem Land, also Besteuerung des Vermögens (Millionärssteuer), großer Erbschaften, der Finanzmarktgeschäfte und der Unternehmen. Die Umsetzung unserer Steuerreformvorschläge würde zu zusätzlichen Steuereinnahmen von jährlich 160 Mrd. führen. Nicht zu vergessen ein konsequenter Steuervollzug. Durch Steuerhinterziehung (z.B. mittels "Steueroasen") würden zusätzlich etwa 100 Mrd. jährlich hereinkommen (diese Zahl stammt von Steinbrück, und der muss es ja wissen.). Mit diesen Mehreinnahmen könnte mittelfristig der Schuldenberg getilgt UND ein Zukunftsinvestitionsprogramm auf den weg gebracht werden, dass diesen Namen verdient. Dass für die riesigen Verluste des Finazcrashs vor allen Dingen diejenigen, die mit diesen dubiosen Geschäften zuvor gewaltige Profite eingefahren haben, aufkommen müssen, sei nur am Rande erwähnt. Auch dazu haben wir Vorschläge unterbreitet.
In der Tat ist es ein Problem, dass "Arbeit" nur als Erwerbsarbeit im kapitalistischen Sinne wahrgenommen wird. Im Rahmen des Konzepts vom bedingungslosen Grundeinkommens werden die von Ihnen angeschnittenen Fragen (was ist eigentlich Arbeit?) in der LINKEN seit einiger Zeit diskutiert. Meiner Ansicht nach weisen solche Fragestellungen über die Enge der kapitalistischen Wirtschaftsordnung hinaus, was richtig und notwendig ist. Im Wahlprogramm konzentrieren wir uns allerdings auf die drängendsten Fragen des Hier und Jetzt und auf den Abbau der ökonomischen und sozialen Verwüstungen, die die Agenda 2010-Politik von Rot-Grün, fortgeführt durch die große Koalition, angerichtet haben. Einmal geht es um die Ausweitung des in den letzten Jahren drastisch abgebauten öffentlichen Dienstes in Bereichen wie dem Gesundheitswwesen, der Altenpflege, der Bildung einschließlich Kitas und anderen gemeinnützigen Diestleistungen vorwiegend auf kommunaler Ebene. Und das zu Bedingungen, von denen man auch leben kann. Zur Finanzierung siehe oben. Dabei orientieren wir uns stark an den skandinavischen Ländern. Auf diese weise könnten und müssten 1 Mio. Arbeitsplätze geschaffen werden. Außerdem wollen wir vorrangig Hungerlöhne und prekäre Beschäftigungsverhältnisse zurückdrängen, vor allem durch die Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns von 10 Euro. Darüber hinaus soll für die erwerblos Gewordenen eine bedarfsdeckende und sanktionsfreie Mindestsicherung eingeführt werden, die das entwürdigende Hartz IV-System ersetzen soll.
Ich hoffe, dass ich ihre Fragen einigermaßen zufriedenstellend beantworten konnte und verbleibe
mit freundlichen Grüßen
Herbert Schulz