Frage an Helmut Holter von Jens B. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrter Herr Holter!
Sie waren am Montag zu Besuch in Rostock. Ich habe sie von meinem Fenster aus meine Straße im Stadtteil Toitenwinkel besichtigen sehen. Sie standen dort vor einem Grundstück, wo vor wenigen Monaten noch ein - inzwischen abgerissener - Wohnblock (Plattenbau) stand. Finden sie Abrisse dieser Art gut? Was haben sie gedacht, als sie dort standen? Würden sie solche Abrisse als Teil einer demokratisch-sozialistischen Wohnungspolitik bezeichnen wollen?
Bei uns hier in der Hausgemeinschaft ist die Meinung jedenfalls ungeteilt: Der Abriss ist eine Schande. Während immer noch viele Familien viel zu kleine Wohnungen haben, viele Menschen gar keine Wohnungen finden, werden da also vor unserer aller Augen Wohungen vernichtet und der Abriss aus Steuergeldern subventioniert während unsere Mieten immer weiter steigen.
Ich habe viele meiner Hoffnungen in die PDS (wie so viele meiner Bekannten) längst verloren, aber es würde mich nun doch brennend interessieren, was sie gedacht haben, als sie dort vor der Baulücke gestanden haben. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass ein Sozialist so etwas gut finden kann. Die Bundesregierung nennt das i.Ü. zynischerweise auch noch Wohnumfeldverbesserung (hat mein Vermieter mir jedenfalls geschrieben), wenn sie Schulen und Wohnungen abreissen. Wie weit weg von den Sorgen und Problemen der Menschen sind Leute, die sich solche Wörter ausdenken?
Sehr geehrter Herr Bantik,
Sie fragen einen Betonbauingenieur, was er beim Abriss von Häusern denkt, die er faktisch mit gebaut hat. Die Antwort können Sie sich denken. Doch darum geht es nicht -- nicht hier und nicht anderswo im Land. Es geht schlicht und ergreifend um eine Reaktion auf Wohnungsleerstände, die der demografischen Entwicklung geschuldet sind. Und es geht tatsächlich um die Aufwertung des Stadtteils, um Wohnumfeldverbesserung, auch wenn Ihnen der Begriff nicht gefällt. Dafür werden Millionen von Euro aufgewandt und dazu stehe ich als Minister.
Ich will diesen Standpunkt gern für Ihren Stadtteil beziffern. Toitenwinkel ist die jüngste Großwohnsiedlung Ostdeutschlands -- mit annähernd 8.800 Wohneinheiten, von denen jede zweite modernisiert wurde. Seit der zweiten Hälfte der 90er Jahre sind viele Menschen, darunter besonders viele Familien mit Kindern, weggezogen -- der Bevölkerungsverlust beträgt 28,2 Prozent. Es leben jetzt also 5.000 bis 6.000 Menschen weniger hier. Das sind die Fakten. Und darauf muss jegliche Wohnungspolitik reagieren, auch die "demokratisch-sozialistische".
Richtig ist, dass deshalb in den nächsten Jahren annähernd 750 Wohneinheiten abgerissen werden sollen. Denn schon heute beträgt hier der Wohnungsleerstand mehr als 16 Prozent, er ist fast doppelt so hoch wie im Landesdurchschnitt. Und Sie wissen, dass jede leer stehende Wohnung dem Vermieter Geld kostet. Wem sollte es nützen, wenn die Wohnungsunternehmen zahlungsunfähig sind? Ihnen als Mieter nützt das wahrscheinlich in keinem Fall.
Ich will nur der Vollständigkeit halber hinzufügen, dass seit den frühen 90er Jahren knapp neun Millionen Euro -- hauptsächlich Städtebauförderungsmittel -- in den Stadtteil geflossen sind. Zur Wohnumfeldverbesserung und Aufwertung, für Freiflächengestaltungen, soziale Infrastruktureinrichtungen und Verbesserung der Verkehrsanlagen. Und ich war kürzlich in Toitenwinkel, weil ich eingeladen war, mit örtlichen Akteuren und Vertretern über die Zukunft des Stadtteils zu beraten. Dies hier nun am Schluss, aber in der Rangfolge nicht am Ende: Gerade die schmerzlichen Abrisse sind mit den kommunalen Vertretern -- dem Ortsbeirat und dem Bauausschuss -- beraten worden.
Und das, sehr geehrter Herr Bantik, zähle ich schon zu demokratischer Baupolitik.
Mit freundlichem Gruß
Helmut Holter