Frage an Harald Gindra von Monika W. bezüglich Soziale Sicherung
In Schöneberg möchten inzwischen viele wohnen. Der Bezirk gilt als hip und Häuser werden modernisiert, Mieten steigen, es gibt viele Alteingesessene, die sich die hohen Mieten nicht mehr leisten können. Es gibt einen großen Leerstand (Spekulation!) und viele Wohnungen werden als Ferienwohnungen zweckentfremdet. Ein Haus mit vielen kleinen Wohnungen in der Barbarossastr. 59/60 soll abgerissen werden. Der Investor plant einen protzigen Neubau mit Eigentumswohnungen und Tiefgaragen. Die Quadratmeterpreise für "Normalmenschen" sind unerschwinglich. Die alten Mieter sollen umgesetzt werden, allerdings nicht in Schöneberg, weil es dort keinen "Raum" für sie gibt. Der Verdrängungsprozess geht stetig voran. Was wollen Sie dagegen tun, zumal während Ihrer Regierungszeit (Rot/Rot) die Wohnungspolitik in Berlin zum Desaster geworden ist?
Liebe Frau Welke,
ich danke Ihnen für die ausführliche Problemanalyse, die sich in vielen Innenstadt-Kiezen ausbreitet und Nord-Schöneberg erreicht hat. Ich teile Ihre Ansichten und Bewertungen insbesondere zu dem Neubauprojekt am Barbarossaplatz.
Die Planungshoheit hat in diesem Fall der Bezirk. In Ausübung meines Bezirksverordneten-Mandats habe ich mich intensiv seit über einem Jahr mit diesen Planungen beschäftigt und Mieter sowie Anwohner in ihrem Widerstand unterstützt.
Es stimmt, eine mit öffentlichen Mitteln damals im Wiederaufbauprogramm der 1960´er Jahre errichtetes Gebäude soll abgerissen werden. Seit Jahren wurde es von Eigentümern vernachlässigt und seit knapp 2 Jahren entmietet. Es sind dort 107 kleine, barrierefreie Wohnungen (um die 30 m² meist), die auch mal als Seniorenwohnungen genutzt wurden. Sie boten lange Zeit Menschen mit kleinen Einkommen ein bescheidenes Zuhause.
Im Jahre 2008 wurde aus der SPD-Fraktion die Frage eines Konzepts zur "Aufwertung" des Barbarossaplatzes in der BVV thematisiert. Ein Jahr später tauchte der Investor HOCHTIEF mit Plänen in der Tasche auf, wie er "aufwerten" will. Schon in den Vorgesprächen im Bauamt muss HOCHTIEF klargemacht haben, dass für sie eine Bebauung in der derzeitigen Nutzung des Geländes nicht in Frage kommt und die Grenzen der Bebauung beträchtlich anzuheben sind. Die großen Fraktionen SPD, CDU und Grüne waren sich im Stadtplanungsausschuss 2009 schnell einig über die Aufstellung eines Bebauungsplanverfahrens um diesen Wünschen entgegenzukommen. Versüsst wurde das der Grünen Partei mit weitgehenden Auflagen zur ökologischen Ausgestaltung des Gebäudes (Dachbegrünung, Warmwasser aus Sonnenkollektoren ...) und einem "Sozialplanverfahren". Gerechnet wurde aber nicht mit Widerstand von Mietern, die keine Chance sahen im angestammten Wohngebiet wieder eine vergleichbare Wohnung zu bekommen und auch den unsinnigen Abriss "ihres" Gebäudes ablehnten. Das selbe in der Nachbarschaft (in 2 Beteiligungsverfahren wurden über 180 und dann 139 Einwendungen eingereicht und im wesentlichen verworfen).
Es wurde eine Planung angeschoben, der es HOCHTIEF erlaubt die dreifache Wohnfläche zu bebauen und anschließend zu verkaufen (oder zu vermieten). Statt 107 kleine Wohnungen, dann 80 große mit durchschnittlich ca. 120 m². Dazu war ein massiger geschlossener Bau notwendig mit einer Verdreifachung der Masszahlen der Bebauung, gegenüber der für die Wohngegend üblichen. Die Steigerung der Rendite, durch wesentlich intensivere Nutzung eines Grundstücks ist eigentlich kein städtebauliches Argument (das notwendig ist für einen neuen Bebauungsplan!). Aber wer suchet, der findet: Wiederherstellung der Blockrandbebauung (Heranrücken des Gebäudes an die Grenzen des Grundstücks) und städtebaulich gewünschte Verdichtung, wurden nun zur Lyrik der Planung. Selbst zum Nelly-Sachs-Park soll dieses Argument ziehen, obwohl sich dort die Bebauung an keiner Straßenführung mehr orientiert. Der bescheidene Antrag der Grünen, doch wenigstens auf diesen Südflügel zu verzichten, wurden von SPD+CDU abgelehnt. So werden dort 29 gesunde alte Bäume dem Beton weichen und weitere Bäume im Park sind gefährdet!
Am 31.8.2011 beschloss die BVV (noch schnell vor der Wahl) mit 36 Ja-Stimmen (CDU, SPD, Graue) den von HOCHTIEF gewünschten Bebauungsplan. Wenn alle verbliebenen Mieter rausgeklagt sind, soll dann über 4 Jahre gefällt, abgerissen und neugebaut werden und nach einem weiteren Jahr soll mit Ausgleichsgeldern der Park umgestaltet sein. Kurz zum "Desaster" unter Rot-Rot: Es wäre unter jeder Regierung und dann noch schlimmer so gekommen. Berlin hat Wirtschaftswachstum und Zuzug meist Besserverdienender. Aber es gibt viele Arme, die nicht davon profitieren und sich die Mietsteigerungen nicht leisten können.
90 % des Mietrechts ist Bundesrecht: So die Abwälzung von "Modernisierung" mit Mietaufschlägen, so die Gestaltung von Mietspiegeln. Dazu haben wir Bundesratsinitiativen gestartet, die drohen von der Länder-Mehrheit verworfen zu werden. Unsere SPD-Stadtentwicklungssenatorin weigert sich einen "angespannten Wohnungsmarkt" festzustellen, der würde Mietspiegel anders wirken lassen und Massnahmen gegen Zweckentfremdung und Leerstand möglich machen. Sie bezieht sich darauf, dass gesetzlich dieser nur für die Gesamtgemeinde Berlin festgestellt werden kann, Wohnungsmangel und Verdrängung sich aber nur innerhalb des S-Bahn-Rings zuspitzt. An DIE LINKE liegt es jedenfalls, dass es überhaupt noch 270.000 städtische Wohnungen gibt (CDU, FDP und Grüne waren zu den letzten Wahlen angetreten, den Bestand zu verkaufen um Schulden zu senken). Dieser Bestand muss aber nun besser zur Dämpfung der Mieten eingesetzt werden!