Frage an Harald Ebner von MarieLuise D. bezüglich Politisches Leben, Parteien
Guten Tag Herr Ebner,
mich besorgt die Nachricht, dass Ihre Partei bundesweite Volksentscheide aus dem Grundsatzprogramm streichen möchte, sehr. Bitte - wie ist Ihre Haltung dazu? Wie werden Sie bei dieser Frage abstimmen?
Falls Sie zu den Streichbefürwortern zählen sollten - was sind Ihre guten Gründe? Und falls nein (was schön wäre): wie wird es von den Befürworter:innen in Ihrer Partei begründet? Wieso wird das Anliegen einer direkten Demokratie jetzt aufgegeben? Nach 40 Jahren?
Schöne Grüße,
MarieLuise Stiefel
Sehr geehrte Frau D. S.,
vielen Dank für Ihre Mail zu bundesweiten Volksentscheiden.
Ich hätte mir einen anderen Ausgang bei der Abstimmung gewünscht. Deshalb habe ich für entsprechende Änderungsanträge geworben und gestimmt. Eine knappe Mehrheit der Delegierten hat sich nun für einen Text entschieden, der als Beispiel für mehr direkte Demokratie lediglich die Bürger*innenräte nennt. Gleichzeitig ist der Text offen und schließt auch Volksabstimmungen nicht aus.
Es kann sinnvoll sein, vor einem Volksentscheid immer einen Bürger*innenrat zum betreffenden Thema einzuberufen, damit dieses auch Reichweite in die Bevölkerung bekommt und eine echte Chance auf eine ausgewogene Gewichtung aller Argumente besteht.
Wir GRÜNE fordern seit vielen Jahren Instrumente der direkteren Beteiligung und Mitbestimmung der Bürger*innen. Denn die Essenz unserer Demokratie ist, dass Perspektiven aktiv eingebracht werden können. Eine vielfältige Demokratie braucht Einmischung, Repräsentanz, Lust zur Auseinandersetzung und Kompromissfähigkeit. Wir wollen, dass unsere Bevölkerung die Möglichkeit bekommt, die politische Agenda stärker selbst zu gestalten. Dieses Grundprinzip grüner Politik spiegelt sich auch in unserem neuen Grundsatzprogramm wieder.
Direkte Beteiligungsmöglichkeiten bereichern die repräsentative Demokratie. Mit Bürger*innen-Räten soll die Möglichkeit geschaffen werden, bei ausgewählten Themen die Alltagsexpertise von Bürger*innen noch direkter in die Gesetzgebung einfließen zu lassen.
Zufällig ausgewählte Bürger*innen beraten in einem festgelegten Zeitraum über eine konkrete Fragestellung und erarbeiten Handlungsempfehlungen und Impulse für die öffentliche Auseinandersetzung und die parlamentarische Entscheidung. Es gilt sicherzustellen, dass die Teilnehmenden sich frei, gleich und fair eine Meinung bilden können und dass ihnen ausreichend Raum für eine intensive Auseinandersetzung mit der Fragestellung gegeben wird.
Auf Landesebene haben Bündnis 90 / Die Grünen schon viel erreicht:
Kein anderes Bundesland hat in den letzten Jahren eine so rasante Entwicklung durchgemacht wie Baden-Württemberg. Das betrifft nicht nur direktdemokratische Instrumente, die wir eingeführt bzw. erleichtert haben. Das betrifft viele Formen der Bürgerbeteiligung.
Bereits 2015 konnten die Landesgrünen mehrere Reformen im Bereich der direkten Demokratie umsetzen:
• Die Hürden für Volksbegehren wurden durch niedrigere Quoren, freie Unterschriftensammlung und längere Fristen gesenkt.
• Die Hürden für Volksabstimmungen haben wir durch ein geringeres Zustimmungsquorum gesenkt.
• Als neues direktdemokratisches Instrument haben wir den Volksantrag eingeführt. Wenn ein Volksantrag von 0,5 Prozent der Bürger*innen (ca. 39.000 Unterschriften) unterstützt wird, muss sich der Landtag mit ihm befassen.
• Auch auf kommunaler Ebene haben wir die Mitbestimmung erleichtert: In der Gemeindeordnung wurden Quoren abgesenkt, die Fristen verlängert und der Themenkatalog erweitert.
Diese Maßnahmen wirken insbesondere auf kommunaler Ebene: Die Zahl der zulässigen Bürgerbegehren ist deutlich angestiegen. Im Jahr 2020 hat sich der Landtag auch erstmals mit einem erfolgreichen Volksantrag zum Artensterben beschäftigt. Trotz dieser Erfolge sind wir noch nicht am Ziel: Das Volksabstimmungsgesetz wollen wir weiterentwickeln, um weiter Hürden abzubauen. Daneben wollen wir unbedingt auch auf Landkreisebene Bürgerbegehren ermöglichen. Dies hat die CDU bisher blockiert. Es ist kein Grund ersichtlich, warum Landkreise hier ausgenommen werden sollten.
Mir persönlich ist auch sehr wichtig, dass Kinder und Jugendliche mit einbezogen werden. Es hängt oft vom Wohlwollen einzelner Akteure ab, ob junge Menschen bei Entscheidungen mitreden dürfen. Wir Grüne fordern die Bundesregierung daher auf, einen Nationalen Aktionsplan für Kinder- und Jugendbeteiligung aufzulegen. Wir wollen klare Regeln, dass Kinder und Jugendliche altersgerecht mitentscheiden können. Dies muss dann auch nachvollziehbare Konsequenzen haben. Beteiligungsangebote sollen niemanden ausschließen, sondern allen jungen Menschen Teilhabe ermöglichen – unabhängig von Bildungsgrad oder sozialer Herkunft. Qualitätsstandards für die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen müssen umgesetzt und bekannt gemacht werden. Mit einer Informationskampagne sollen Kinder und Jugendliche sowie Eltern und Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen und Schulen über die Rechte und Partizipationsmöglichkeiten, sowie über Beschwerdemöglichkeiten informiert werden.
Nur wer früh ernst genommen wird und spürt, dass man Dinge selbst verändern kann, lernt Demokratie und geht als Erwachsener sicherer durchs Leben. Es ist an der Zeit, auch junge Menschen mehr zu beteiligen!
Mit freundlichen Grüßen
Harald Ebner