Frage an Hans Joachim Schabedoth von Rolf W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Mehrere Bürgerinitiativen fordern zu Recht die Möglichkeit der Volksabstimmung. Ich habe mich als mündiger Bürger ebenfalls daran beteiligt. Warum greifen Sie das Thema nicht auf und setzen sich dafür ein, dass es umgesetzt wird?
Sehr geehrter Herr W.,
unsere Demokratie lebt von engagierten Bürgerinnen und Bürgern wie Ihnen, die sich für die Gesellschaft einsetzen und für ihre Rechte einstehen.
In unserem SPD-Regierungsprogramm haben wir festgeschrieben, dass wir die direkte Demokratiebeteiligung auf Bundesebene zur Unterstützung der parlamentarischen Demokratie stärken wollen. Das Petitionsrecht beim Deutschen Bundestag werden wir weiterentwickeln: durch barrierefreien Zugang für Menschen mit Behinderungen, durch bessere Einbindung von Kindern und Jugendlichen, durch mehr öffentliche Ausschusssitzungen. Wir wollen auch eine Absenkung der Mindeststimmenzahl für öffentliche Petitionen.
Meine Erfahrungen der vergangenen vier Jahre haben jedoch gezeigt, dass Volksabstimmungen nicht immer nur "vom Volk" initiiert werden, sondern oftmals von Verbänden oder Vereinen, die über gute politische, organisatorische und finanzielle Ressourcen verfügen. Auf diese Weise können Interessengruppen gezielt Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen.
Bürgerinnen und Bürger haben hingegen oft nicht die Möglichkeiten, sich umfassend über komplexe Fragestellungen zu informieren oder lassen die vorhandenen ungenutzt. Hinzu kommt, dass die Wahlbeteiligung in vielen etablierten Demokratien tendenziell zurückgeht. Empirische Untersuchungen zeigen, dass die Teilnahme an Volksabstimmungen auf lokaler, regionaler oder nationaler Ebene hinter der Beteiligung an allgemeinen Wahlen zurückbleibt. An Volksabstimmungen beteiligt sich demnach nicht die gesamte Bevölkerung, sondern nur ein bestimmter Teil. Wir sollten verhindern, dass die Reichen, Einflussreichen und Demagogen aller Couleur eine Art zweite Kammer bekommen, durch die sie Entscheidungen treffen können, die lediglich die Haltung eines Bruchteils der Bevölkerung widerspiegeln.
Zu den Eigenschaften unserer repräsentativen Demokratie zählt, dass politische Entscheidungen nicht unmittelbar vom Volk, sondern von den auf Zeit gewählten Volksvertretern getroffen werden. Unter den Parlamentariern sind Fachfrauen und -männer, die sich in ihren jeweiligen Ausschüssen, teilweise unter Beteiligung externer Experten, zu komplexen Fragestellungen austauschen und in ausführlichen Diskussionen zu Entscheidungen kommen. Es ist Aufgabe der Abgeordneten, wertgebundene Entscheidungen zu treffen und die Verantwortung für die daraus resultierenden Konsequenzen zu tragen. Diejenigen, die nicht den Mut dazu haben, sollten sich gar nicht erst zur Wahl stellen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Hans-Joachim Schabedoth