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Frage von Klaus S. •

Frage an Hans-Georg Rieger von Klaus S. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Aus gegebenem Anlass frage ich Sie, was halten Sie von einem Militärischen Eingreifen des "Westens" in den Bürgerkrieg in Syrien? Sind sie dafür oder dagegen? Falls Sie dafür sind, befürworten Sie auch den Einsatz der Bundeswehr? Falls Sie gegen einen Militärisches Eingreifen sind, was denken Sie könnte die Weltgemeinschaft und im speziellen Deutschland statt dessen tun um das Morden zu stoppen?

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Sehr geehrter Herr Simon,

vielen Dank für Ihre gestrige Frage,
zum ersten Mal in meinem Leben beantworte ich eine polit. Frage hiermit per e-mail :

Eingreifen per Bodentruppen auf keinen Fall, aber:
Begrenzte militärische Schläge des "Westens" (Luftwaffe): Ja (aber nicht wegen der "roten Linie" des US-Präsidenten), aber nur auf militärische Ziele zur Eindämmung der verheerenden Luftangriffe oder auf Artilleriestellungen, nicht aber Einrichtung einer Flugverbotszone gegen das Assad-Regime mit dem Ziel eines Sturzes des alawitischen Herrscherhauses.

Warum keine Bodentruppen:

a) Längere Kämpfe erhöhen mit jedem Tag die Gefahr einer Ausweitung des Krieges (nicht Einsatz der Hisbollah/Libanon oder Kämpfer aus Irak, die mischen jetzt schon mit, aber z.B.Eingreifen des Iran droht)
b) Viele Opfer gerade bei der Zivilbevölkerung und auch den Soldaten, ich verweise auf die Opfer in Afghanistan und den anhaltenden Krieg dort
c) Jeder militär. Einsatz ist moralisch zudem an 3 Voraussetzungen zu messen, die allesamt vorliegen müssen:
1) Es muß sich um eine herausragend wichtige Sache handeln: diese Voraussetzung ist erfüllt: 1.300 Tote durch Giftgaseinsatz der syrischen Armee (und wir gehen davon aus, daß das syrische Regime auch der Täter war !)
2) Es muß ein Einsatz für die richtige Sache und Seite sein: Auch dies dürfte der Fall sein, denn hier sind hauptsächlich Zivilisten (sehr viele Kinder) zu Tode gekommen, und es geht nicht um militärische Verluste bei den- z.T. selbst grausamen - Rebellen
3) Der Einsatz muß geeignet und verhältnismäßig sein: Geeignet wäre der Einsatz von Bodentruppen wohl noch ja, das Regime würde evt. gestürzt (läßt man alle anderen Bedenken nach Ausweitung des Konflikts einmal außer Acht),
aber: verhältnismäßig wäre das m.E. auch nicht: Denn es gibt viel weniger einschneidende Möglichkeiten, um dem Regime die Lust an solchen Giftgasangriffen zu nehmen: das sind gezielte Schläge des hochtechnisierten Westens gegen militär. Einrichtungen des Regimes aus der Luft
(siehe Einsätze des "Westens" im Kosovo und in Libyen, hierbei nicht nachvollziehbaren, wenn auch versehentlichen Angriffen auf Zivilisten oder verbündete Soldaten)

Warum Unterstützung von gezielten Luftschlägen des Westens ?

Erstens: Wir können und dürfen nicht gleichgültig sein, und müssen daher auch über militär. Optionen sprechen, um den Schwachen gegen den Verbrecher, das Recht gegen das Unrecht zu verteidigen.
Ich meine: wo irgendwo großes Unrecht geschieht, leiden wir alle mit ! Wehe, wenn wir diese Fähigkeit der inneren Unruhe verloren haben und absolut gleichgültig geworden sind.
Sie, sehr geehrter Herr Simon, stellen sich selbst und mir die Frage, was (denn) die Weltgemeinschaft tun könnte, um das Morden zu stoppen.
Wer sich solche Fragen nicht stellt, wem Menschenrechte und Völkermord egal sind, stellt solche Fragen nicht.
Damit wird man letztlich schuldig, auch als Volk, als Politiker erst recht.
Vielleicht erinnern Sie sich noch an die sog. "Scheckbuchdiplomatie" des ehem. Außenministers Genscher, vielfach auch von deutschen Medien kritisiert, Motto salopp gesagt: Militärisch halten wir uns immer raus, keine Radmutter für einen Panzer stellen wir zur Verfügung, unsere Vergangenheit, und überhaupt...
aber finanziell unterstützen dafür um so mehr die Unterdrückten usw. …
Höhepunkt: Das Versagen der deutschen Außenpolitik in Libyen, Höhepunkt die Enthaltung in der UNO zu den Luftangriffen, welche letztlich das Terrorregime Gaddhafis beseitigt und einer (relativ) demokratischen Opposition zum Sieg verholfen hat.
Zweitens: Ein fauler"Friede" kann in manchen Fällen sehr wohl mehr Menschenleben kosten als ein Militärschlag !
Beispiel 20. Jahrhundert, Indochina (Vietnam, Kambodscha, Laos), 1975-1979. 1975 Rückzug der USA aus Indochina, Sieg der Kommunisten (Nordvietnames. Armee + chines. Truppenteile, Vietcong, Rote Khmer, Pathet Lao), Vietnam-Trauma der amerikan. Politik, keine Lust der USA mehr, Weltpolizist zu spielen.
Seit 1975 flüchten (meist Süd-)Vietnamesen mit Booten aus dem Land, hunderttausende Menschen sterben allein dabei 1975-1979.
Seit 1975 Völkermord der Roten Khmer an ihrem eigenen Volk, 2 Millionen Kambodschaner (von 5 Millionen Einwohnern) sterben, 1987 greift das Kommunist. Nordvietnam Kambodscha an und vertreibt die Roten Khmer, 1979 greift China Vietnam militärisch an (wochenlanger Grenzkrieg).
Der Westen wurde erst 1978 auf den Völkermord in Kambodscha aufmerksam durch 2 Journalisten(v. "Readers Digest": Buch: "Murder of an gentle land"), danach war die Empörung groß in weiten medialen Teilen des Westens (weniger bei der bundesrepublikanischen Linken in den alten Bundesländern).
Kurze Zeit danach vertrieb das kommunist. Regime Vietnams unter Beifall des Westens die Roten Khmer,
Drittens: Nicht entscheidend, aber hilfreich für den "Westen" ist die Tatsache, daß nahezu alle arabisch-sunnitischen Staaten einem Eingreifen des Westens eher positiv bis euphorisch entgegenstehen.
Es stellt sich in diesem Rahmen die weiter gehende Frage, ob der Westen gegen das Regime in Damaskus eine sog. "Flugverbotszone" legt ?
Eine solche Flugverbotszone und der massive Einsatz der Luftwaffen des "Westens", insbes. der USA, Großbritannien und Frankreich, haben den Rebellen in Libyen nach einigen Monaten zum sieg verholfen und ein verhasstes Terrorregime gestürzt.
Im Falle Syrien sollten wir aber nicht so weit gehen !

Was ist der Unterschied zu Libyen ?

Die Opposition in Syrien ist vielschichtig, zum Teil sehr zwiespältig. Und in sich uneinig, einig nur im Kampf gegen das Assad-Regime.
Radikale Islamisten, vorgeblich Sunniten, kämpfen gegen das alawitische (religiös den Schiiten nahestehende religiöse Minderheit in Syrien) syrische Herrscherhaus.
Während die libanes. Hisbollah Truppen für Assad stellt, kämpfen gegen Assad tatsächlich Al-Khaida-Aktivisten und andere radikal-islamischen Sunniten.
Da heißt m.E.: Ein Sturz des Assad-Regimes hieße eine Fortsetzung von Krieg und Morden. Zu befürchten ist sogar: Jeder gegen Jeden, ähnlich in Ex-Jugoslawien vor ca. 2 Jahrzehnten.
Kennen Sie den Spruch sunnitischer Oppositioneller: "Die Alawiten ins Grab, die Christen ins Meer" (vertreiben) ? Weiterhin gibt es in Syrien die Minderheiten der Drüsen, auch Kurden.

Was hätte die Weltgemeinschaft tun können, und welche Lehren müssen wir endlich ziehen ?

Sehr überspitzt formuliert: Es fehlt dem Wohlstands-Westen an Willen, an Kompetenz u. Wissen und vielfach auch an Werten, (schauerliche Befürchtung: sogar an Gewissen ?), um bereits im Vorfeld und frühzeitig zu handeln, das heißt:
Denn Willen, sich über die politische Lage und auch den Zustand der Menschenrechte in anderen Ländern zu interessieren und zu informieren.
Eine intensive Pflege von Kontakten zu demokratischen Oppositionsgruppen und Menschenrechtlern findet kaum statt, die Mahner und meist gut informierten Menschenrechtsgruppen im eigenen Land werden von unseren Politikern ohnehin als nicht wahlentscheidend ignoriert.
Ganz fatale Fehler auch unserer Außenpolitik !
Dagegen stehen Diktaturen aller Art - und "lupenreine Demokraten" (gemeint sind Staaten, deren Demokratie man mit der Lupe suchen kann !) - die gezielt und durchdacht Menschenrechte verletzen, de sich gegenseitig - z.B. bei den Vereinten Nationen - stützen, und die unsere Politiker allzu oft
hoffieren: Wir machen Geschäfte mit denen, auch Waffengeschäfte, und die Fragen nach Menschenrechten kommen nur sehr leise und selten (CDU, Merkel) oder so gut wie gar nicht (Steinbrück) vor, Beispiele liefere ich Ihnen gern.
Unser eigenes Finanzkapital macht beste Geschäfte mit Diktaturen, und Großkonzerne mit deutscher Beteiligung und deutscher (auch politischer) Prominenz stützen letztlich objektiv autoritäre, manchmal auch totalitäre Regime !
Ein kleiner Fakt aus unserer Region: Anfang 2013 haben 2 Pfarrer (ein evangelischer, Pfarrer S, und ein methodistischer, Pastor B.) und ich eine Unterschriftenaktion zur schlimmen Lage in Syrien begonnen, es wurden bis April 2013 über 100 Unterschriften gesammelt.
Angeschrieben (von meiner Kanzlei durch Frau Zietmann abgefaxt) wurden die Parteien im Kreis, und zwar die MdB`s (SPD und LINKE), sowie die Kreisgeschäftsstellen von CDU, FDP und GRÜNE.
Eine Antwort erfolgte von keiner Seite.
Ziel des Aufrufes war, auf die Lage in Syrien aufmerksam zu machen und (man möge) moralisch-politisch mit gewaltfreien demokratische Gruppen der syrischen Opposition Kontakt aufnehmen.

Was können wir tun gegen das Morden, heute und ganz allgemein ?

Ich denke, an keinem Unrecht, an keinem Leid vorüber gehen, und wenn möglich, kleine oder kleinste Schritte zu tun, um etwas zu ändern.
Ich selbst versage hier selbst zu oft, bin selbst zu oft zu bequem, wohl auch manchmal all zu vorsichtig. Ein Kind des Wohlstand eben.
Aber mit diesem etwas ausführlicheren Schreiben an Sie konnte ich wieder einmal meinem inneren Schweinehund einen auf die Nuß geben.

Dafür danke ich Ihnen herzlich, und wenn weitere Fragen sind (auch philosophische), hier nochmals meine Tel-Nr.: 033931/39131

Beste Grüße

Hans-Georg Rieger