Frage an Günter Krings von Heinrich H. bezüglich Familie
S. g. Herr Krings,
in FAZ-net vom 10.8.2011 (Titel "Union rügt Karlsruhe") kritisieren Sie das BVerfG wegen dessen Rechtsprechung zur Gleichstellung der gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft mit der Ehe. Dabei verkennen Sie, dass das BVerfG sich in seiner abgewogenen Rechtsprechung maßgeblich auf das GG (Art. 3), die neuere Bundesgesetzgebung (LPartG, zunehmende Pflichten von Lebenspartnern) und das EU-Recht (Richtlinie 200/78/EG, EuGH-Rechtsprechung) stützt.
Ihre an das BVerfG gerichtete Belehrung: „Der Wortlaut des Grundgesetzes muss ernst genommen werden - auch vom Bundesverfassungsgericht“ ist daher unangemessen und fällt auf Sie zurück: Als Abgeordneter und Rechtsanwalt müßten Sie respektieren, dass das BVerfG die alleinige Kompetenz zur Auslegung des GG hat - eine Aufgabe, die es über Jahrzehnte hervorragend geleistet hat. Sein Ansehen in der Bevölkerung übertrifft diejenige der Parlamentarier und Parteien bei weitem.
Ebenso verkennen Sie, dass die Mehrheit der Bundesbürger die gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaft mit allen Rechten und Pflichten bejaht. Neben die Ehe sind längst andere Lebensformen getreten. Die Niederlande, Belgien, Spanien, Portugal, Dänemark, Schweden etc haben gleichgeschl. Lebensgemeinschaften und Ehe sogar gesetzlich gleichgestellt. Dass das deutsche Parlament sich in dieser Frage von den Gerichten (aller Instanzen) vor sich hertreiben läßt, ist kein Ruhmesblatt des deutschen Parlamentarismus. Vor allem die CDU/CSU schließt die Augen vor der gesellschaftspolitischen Entwicklung und zeigt sich wenig glaubwürdig, wenn ihre eigenen Spitzenmitglieder sich durch Scheidungen bzw. Eheschließungen im Greisenalter ohne Aussicht auf Familiengründung exponieren.
Wann wachen die Unionsparteien, zumindest ihre jüngeren Vordenker, endlich auf und gestalten eine Familienpolitik des 21. Jahrhunderts, nach dem Konzept: (1) Ehe ist, wo zwei Menschen sich lebenslang aneinander binden und füreinander einstehen; (2) Familie ist, wo Kinder sind?
Sehr geehrter Herr Haupt,
vielen Dank für Ihre Mail zu dem Beitrag der FAZ über meinen Aufsatz in der noch erscheinenden Festschrift für Karl Heinrich Friauf.
Selbstverständlich ist jedes Verfassungsorgan zur Auslegung des Grundgesetzes berufen und sogar verpflichtet. Unsere Verfassung sieht nämlich keine strenge Gewaltenteilung, sondern bewusst eine Verschränkung der Gewalten vor. Entsprechend darf das Verfassungsgericht natürlich auch von Abgeordneten kritisiert werden. Ohne Kontrolle könnte sich das Gericht zum „Ersatzgesetzgeber“ aufschwingen und eine „Diktatur der Juristen“ begründen.
Und es darf bei der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch nicht auf Mehrheitsmeinungen in der Bevölkerung ankommen. Unsere Verfassung ist vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte vor allem als Schutz des Individuums ausgestaltet und sie soll insbesondere die Minderheiten vor der Mehrheit schützen. Eine Auslegung der Verfassung unabhängig von Mehrheitsmeinungen ist daher gerade die Essenz des Verfassungsstaates.
Letztendlich werden die Gesetze und eben auch die Verfassungsänderungen in unserer Demokratie vom Parlament erlassen, das alle vier Jahre vom Volk gewählt wird und sich damit auch der gesellschaftlichen Entwicklung anpasst. Das Gericht hat hingegen die Aufgabe, unsere Verfassung neutral und zeitlos zu interpretieren. Eine Änderung des Grundgesetzes bzw. die Entscheidung über eine Gleichstellung von Ehe und Lebenspartnerschaft liegt ausschließlich beim Parlament.
Mit freundlichen Grüßen,
Dr. Günter Krings