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Frage von Ottmar M. •

Frage an Gert Weisskirchen von Ottmar M. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Guten Tag Herr Weisskirchen, Sie haben die Rede des iranischen Präsidenten kritisiert. Deshalb folgende Fragen an Sie als sogenannten Außenexperten der SPD:
Ist die israelische Besetzung des Westjordanlandes durch internationales Recht gedeckt (UN-Resolution Nr.? o.ä.) ? Ja oder nein? Ist der israelische Siedlungsbau im Westjordanland durch internationales Recht gedeckt (UN-Resolution Nr.? o.ä.)? Ja oder nein? Wie stufen Sie die israelischen Maßnahmen ein, die Palästinenser im Westjordanland gegenüber jüdischen Siedlern benachteiligen, in dem Baugenehmigungen und Brunnenbauten erschwert oder ganz verboten werden, während solche Beschränkungen für jüdische Siedler nicht gelten? Ist das korrekt? Ist es eine zu vernachlässigende Maßnahme? Ist das eine Form von subtilem Rassismus? Ja oder nein? Ist der israelische Straßenbau, der die Bewegungsfreiheit der Palästinenser im Westjordanland massiv einschränkt, weil ihnen die Überquerung und Benutzung verboten sind, durch internationales Recht gedeckt? Ja oder nein? Wie sind die Maßnahmen der Stadtverwaltung von Jerusalem einzustufen, die palästinensische Häuser, zum Teil aus dem 19.Jh., abreißen lässt, weil angeblich keine Baugenehmigungen vorliegen? Ist es Rassismus oder nicht, wenn palästinensischen Flüchtlingen das Rückkehrrecht verweigert wird, während jüdische Siedler in den Palästinensergebieten angesiedelt werden? Handelt es sich beim systematischen Ausbau der jüdischen Siedlungen im Westjordanland um ethnische Säuberungen? Wenn nicht, was ist die systematische Landnahme dann?
Es geht hier im Übrigen nicht darum, dass Sie Ihre Meinung darlegen, sondern ganz konkret und präzise auf die gestellten Fragen antworten! Wenn Sie die Äußerungen des iranischen Präsidenten kritisieren, müssen Sie wohl auch jeden Verdacht des Rassismus widerlegen.
Angeblich war die Hamas für den jüngsten Gaza-Krieg verantwortlich. Warum geht dann der Siedlungsbau immer weiter?
Hochachtungsvoll
O. Müller

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Sehr geehrter Herr Müller,

als außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion beantworte ich gern Ihre Fragen.

Die israelische Besetzung des Westjordanlandes ist das militärische Ergebnis des sogenannten Sechstagekrieges von 1967, bei welchem Israel (nach einem erfolgreichen Präventivschlag gegen die ägyptische Armee) einen Angriff Jordaniens auf sein Staatsgebiet zurückschlagen konnte und das Westjordanland besetzte. Dieses Gebiet – das laut Resolution 181 der UN Generalversammlung von 1947 dem neu zu gründeten arabischen Staat zugeschlagen werden sollte – war im ersten Nahostkrieg 1948/49 völkerrechtswidrig von Jordanien worden. Da Jordanien den Teilungsplan der UNO nicht anerkannte, wurden keinerlei Anstrengungen unternommen, während dieser Zeit eine palästinensische Selbstverwaltung im Westjordanland aufzubauen, die den Grundbaustein für einen unabhängigen Staat Palästina hätte legen können.

Was den Siedlungsbau im Westjordanland durch Israel betrifft, fordert Resolution 242 des UN-Sicherheitsrates vom 22. November 1967 forderte Israel zum Abzug aus den besetzen Gebieten auf. Israel zog sich nach dem Sechstagekrieg jedoch lediglich von der Sinai-Halbinsel zurück. 2005 erst erfolgte der vollständige Rückzug aus dem Gaza-Streifen.

Bei der israelischen Besetzung des Westjordanlandes treffen zwei völkerrechtliche Vorgaben aufeinander. Die eine ist das Verbot der Gebietsgewinnung durch kriegerische Handlungen (wobei nie eine formelle Annektierung des Westjordanlandes durch Israel stattfand), welcher Israel mit dem Siedlungsbau im Westjordanland widerspricht. Die andere ist die Zusicherung aus Resolution 242, dass alle Staaten der Region das Recht haben "innerhalb sicherer und anerkannter Grenzen frei von Drohungen und Akten der Gewalt in Frieden zu leben". Die Grenzen, die Israel nach dem Teilungsplan von 1947 zugestanden wurden, wurden von den arabischen Anrainerstaaten nicht anerkannt, die Gründung des Staates Israel umgehend mit militärischer Gewalt beantwortet, die die Vernichtung des neuen Staates zum Ziel hatte. Israel sah es als einzige Möglichkeit zur Gewährleistung der Sicherheit seiner Bevölkerung an, Gebiete unter seine Kontrolle zu bringen, die eine erfolgreiche militärische Verteidigung des Kernlandes auf lange Sicht überhaupt erst möglich machte.

Die weiteren Fragen, die Sie in Ihrem Schreiben ansprechen, sind politische Fragen, zu denen ich, vermute ich, eine andere Meinung habe als Sie. Diese Punkte sind in einem Verhandlungsprozess zwischen Israel und den Vertretern Palästinas zu klären, deren Ergebnis ein vernünftiger Kompromiss sein muss. Ich wünsche mir, dass es beiden Seiten in naher Zukunft gelingen wird, sich aufeinander zuzubewegen.

Abschließend möchte ich noch auf den Anlass Ihres Schreibens eingehen. Sie suggerieren mit Ihren Nachfragen, dass der iranische Präsident mit seinen verbalen Entgleisungen Recht gehabt haben könnte. Sollte ich den Vorwurf des Rassismus nicht eindeutig widerlegen können, so gebe es an Ahmadinedschads Rede nichts zu kritisieren. Dazu folgendes:

Der (wiederholte) Vorwurf Ahmadinedschads das "zionistische Regime" sei rassistisch, bezieht sich weder auf einzelne konkrete Menschen- und Bürgerrechtsverletzungen israelischer Behörden und Militäreinheiten, noch auf spezifische Aussagen rechts-konservativer israelischer Politiker. Nein, der iranische Präsident brandmarkt in seinen Reden – so auch in Genf – den Staat Israel als solchen als rassistisches Gebilde! Damit spricht er dem (völkerrechtlich auf festem Fundament stehenden, pluralistisch-demokratisch verfassten) Staat Israel sein Existenzrecht ab.

Selbst wenn sich Ahmadinedschad auf konkrete Verbrechen der israelischen Seite beschränkt hätte, so wäre seine Rede immer noch von einer radikalen Einseitigkeit geprägt gewesen, die seine wahren Absichten, was die weltweite Rassismusbekämpfung angeht, entlarvt hätte. Wundern Sie sich denn kein bisschen, dass der iranische Präsident bei der Welt-Anti-Rassismus-Konferenz sich neben Allgemeinplätzen auf nur ein einziges(!) Land konzentriert hat? – und dieses war nicht sein eigenes! Angesichts weltweit grassierenden Rassismus´ und Diskriminierung von Minderheiten kann ich ein solches Verhalten nur als antisemitisch bezeichnen. Kein Wort von rassistischer und religiöser Diskriminierung im Iran; kein Wort von Rassenkonflikten in Afrika; kein Wort zur Situation der Sinti und Roma in Südosteuropa; kein Wort zur Ungleichverteilung entlang ethnischer Kriterien in Nordamerika – einzig und allein "die Zionisten" (lies: die Juden in Ihrem jüdischen Staat) machen sich auf dieser Welt des Rassismus´ schuldig. Wollen Sie diese Weltsicht wirklich verteidigen?

Ich jedenfalls werde solchen vorurteilsgeladenen, hasserfüllten und niederträchtigen Reden auch in Zukunft in aller gebotenen Deutlichkeit widersprechen!

Mit freundlichen Grüßen

Prof. Gert Weisskirchen