Frage an Gert Weisskirchen von Peter K. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Prof. Weisskirchen, lieber Gert,
ich schreibe Ihnen, weil Sie in der SPD-Bundestagsfraktion als außenpolitischer Sprecher tätig sind und mir vielleicht bei der Antwort meiner Frage behilflich sein könnten.
Ich interessiere mich sehr für die Republik China -auch als Taiwan bekannt- und wollte wissen, wie die Positionen der SPD-Bundestagsfraktion hinsichtlich der von Hu Jintao prppagierten Ein-China-Frage und der von Chen Shui-Bian propagierten Zwei-Staaten-Theorie gelagert sind, auch ininsichtlich bilateraler oder trilateraler Beziehungen.
Welche Ansätze werden durch die Bundestagsfraktion verfolgt, welche faktischen oder informellen Beziehungen bestehen und wie wird das Verhältnis allgemein beurteilt?
Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mir eine - je nach Möglichkeit- kurze oder nähere Erläuterung zu den Positionen geben könnten.
Mit den freundlichsten Grüßen und besten Wünschen,
Peter Kesselburg
SPD-Mitglied, Offenburg
Sehr geehrter Herr Kesselburg,
Ich danke Ihnen für Ihr Schreiben zu Taiwan. Seit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur VR China im Jahr 1974 verfolgt Deutschland eine Ein-China-Politik, die auch von der SPD getragen wird. Dies bildet auch den Konsens innerhalb der EU und in der Mehrheit der Völkergemeinschaft. Nur 23 Staaten erkennen Taiwan an.
Trotzdem ist Deutschland durch das Deutsche Institut in Taipeh vertreten und Taiwan verfügt über die „Taipeh-Vertretung“ in Berlin. Daneben unterhält die DIHK das „Deutsche Wirtschaftsbüro“, und das Goethe-Institut betreibt ein „Deutsches Kulturin-stitut“. Die wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen haben sich so in den letzten drei Jahrzehnten positiv entwickelt. Taiwan ist der fünftgrößte Handelspartner Deutschlands in Asien. Taiwan hat sich von einer Militärdiktatur seit 1987 zu einem demokratischen Gemeinwesen entwickelt. Die Regierung wechselt regelmäßig nach friedlichen demokratischen Wahlen – im letzten Jahr von der Demokratischen Fortschrittspartei zur Kuomintag.
Auch mit der VR China haben sich die Wirtschaftsbeziehungen in den letzten Jahren vertieft. Ein Großteil der Auslandsinvestitionen in der VR China stammen aus Taiwan. Gut eine Million der 23 Millionen Taiwanesen sollen dauerhaft in der VR China arbeiten. Aber dennoch bestehen weiterhin politische Spannungen zwischen der Republik und der VR China. Unter Präsident Chen Shui-bian haben sich diese zwischen 2000 und 2008 sogar eher noch vertieft, weil dieser mit dem Anspruch einer Zweistaatentheorie und dem Ziel der Unabhängigkeit angetreten war.
Seit der Wahl Ma Ying-jeou’s von der Kuomintan (KMT) zum Präsidenten am 22.03.2008 ist es zu einer Entspannung und zu einigen positiven Entwicklungen in den Beziehungen zwischen den beiden gekommen. Nach einem langjährigen Stillstand der Gespräche haben bereits zwei Spitzentreffen stattgefunden, in Taiwan und zuletzt im November 2007 in Peking. Ermöglicht wird dies durch die Plattform von Präsident Ma, der eine Politik der „drei Neins“ (nein zur Unabhängigkeit, zur Wiedervereinigung, zum Einsatz von Gewalt) vertritt. Der chinesische Präsident Hu Jintao hat am 31.12.2008 in einer Rede aus Anlass des 30. Jahrestags des Übergangs von eine Strategie der „bewaffneten Befreiung“ Taiwans zu einer Politik der „friedlichen Vereinigung“ auf den Wandel der taiwanesischen Politik reagiert. Die sechs Punkte aus Hu’s Rede lauten wie folgt:
1. Achtung des „Ein-China-Prinzips“
2. die Stärkung von Handelsbeziehungen, einschl. von Verhandlungen über ein Wirtschaftskooperationsabkommen
3. die Förderung persönlicher Kontakte
4. die Betonung der kulturellen Beziehungen zwischen den beiden Seiten
5. Taiwan soll eine „sinnvolle“ Teilnahme in globalen Organisationen ermöglicht werden
6. Verhandlungen über ein Friedensabkommen
Bis vor kurzem war in der VR China im Hinblick auf die Beziehungen zu Taiwan von der Formel „Ein Land, zwei Systeme“ die Rede, d.h. es wurde von einer Wiedervereinigung nach dem Vorbild Hong Kongs ausgegangen. Nun wird eine konzilianteren Formulierung zu hören: Die Volksrepublik und Taiwan seien Teil Chinas. Auf der anderen Seite hat sich Taiwan in der Namensfrage unter Präsident Ma flexibler gezeigt und als „chinesisches Taipeh“ an den Olympischen Spielen in Peking teil genommen.
Als erste praktische Frucht dieses neuen Dialogs ist die Ausweitung des Flugverkehrs, einschl. direkter Flugverbindungen zu sehen. Seit Anfang 2009 gibt es Direktflüge auf vielen Routen. Die Passagierzahlen sind jedoch auf eine Quote von max. 3000 pro Tag begrenzt, auch auf Grund taiwanesischer Bedenken vor einem ungeregeltem Zustrom festlands-chinesischer Besucher.
Damit besteht die Chance, dass sich hier durch auch der Spielraum der deutschen und der EU-Außenpolitik in Zukunft vergrößern wird. Eine Reihe von SPD-Abgeordneten verfügt über gute und enge Kontakte zur Taipeh-Vertretung und besucht Taiwan gelegentlich. Wir haben Sympathie für die Bestrebungen Taiwans, in internationalen Organisationen mitzuarbeiten. Dies gilt insbesondere für die WHO. Vor dem Hintergrund von Epidemien wie der asiatischen Hühnergrippe und der SRAS-Epidemie sollte in diesem Zusammenhang eine pragmatische Lösung gesucht werden. Auch die Bundesregierung setzt sich in enger Abstimmung mit den EU-Partnern dafür ein, die Mitarbeit Taiwans in der WHO auf fachlicher Ebene zu fördern und zu vertiefen. Die Teilhabe an höchstmöglichen Gesundheitsstandard gehört zu den fundamentalen Menschenrechten, wie sie auch in den Prinzipien der WHO-Verfassung verankert sind. Auch die Bundesregierung unterstützt eine pragmatische Lösung, um Lücken bei der grenzüberschreitenden Seuchenbekämpfung zu vermeiden. Über die EU wird diese Position auch gegenüber der Regierung der VR China vertreten. In der Praxis läuft dies eher auf ein Beobachterstatus als auf eine Mitgliedschaft in der WHO hinaus, da diese wiederum die Frage des völkerrechtlichen Status aufwerfen würde.
Welche konkrete Form diese pragmatische Lösung annimmt, muss jedoch in den Verhandlungen zwischen Taiwan und der VR China vereinbart werden. Dazu ist derzeit eine Verhandlungsrunde im April bzw. Mai 2009 avisiert. Querschüsse aus Europa dürften in Peking nicht wirklich wirksam werden, wenn überhaupt, dann eher negativ.
Im übrigen möchte ich Sie daran erinnern, dass die Bundesrepublik Deutschland bis zum UN-Beitritt in den 70-ern Jahren einen Alleinvertretungsanspruch gegenüber der DDR erhoben hat. Insofern gibt es eine gewisse Parallele zur Ein-China-Politik der VR China. Bis zur Vereinigung 1990 erhielten die damalige DDR und die Bundesrepublik Deutschland sog. Ständige Vertretungen in Bonn und Ost-Berlin. Damit erkannten die beiden sich „de facto“, aber nicht „de jure“ an. Egon Bahr, einer der sozialdemokratischen Architekten dieser Entspannungspolitik beschrieb die Strategie wie folgt: „Wer den Status quo verändern will, der muss von ihm ausgehen.“ Nun hat China eine ganz andere historische Entwicklung als Deutschland genommen und auch die geographischen Rahmenbedingungen sind völlig andere. Deshalb verbietet es sich hier direkte Parallen zu ziehen oder Empfehlungen abzugeben.
Wir hoffen jedoch, dass sich die aktuelle Entspannung in den beiderseitigen Beziehungen fortsetzt. Möglicherweise können dann schon in naher Zukunft Gespräche über ein Freihandelsabkommen, wie es zunächst Präsident Ma vorgeschlagen hatte, und später auch über ein Friedensabkommen geführt werden. Um diesen Prozess zu befördern, sollte die Aufrüstung auf beiden Seiten nicht weiter voran getrieben werden. Weitere Waffenlieferungen im Rahmen eines Abkommens mit der Bush-Regierung sind dabei ebenso wenig hilfreich wie die über 1000 Raketen und der Ausbau der Marine auf Seiten der VR China. Als Ende 2004 ein Gesetz zur Wiedervereinigung mit Taiwan in der VR China verabschiedet wurde, haben wir dies im Bundestag parteiübergreifend heftig kritisiert. Glücklicherweise sind die Weichen fünf Jahre später anders gestellt worden, und wir hoffen, dass es Taiwan und der VR China gelingen wird, ihre Beziehung auf eine neue Grundlage zu stellen. Wo wir hilfreich sein können, wollen wir dazu gerne gemeinsam mit unseren EU-Partnern einen bescheidenen Beitrag zu diesem Prozess leisten.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Gert Weisskirchen