Portrait von Gert Weisskirchen
Gert Weisskirchen
SPD
Zum Profil
Frage stellen
Die Frage-Funktion ist deaktiviert, weil Gert Weisskirchen zur Zeit keine aktive Kandidatur hat.
Frage von Gerhard R. •

Frage an Gert Weisskirchen von Gerhard R. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrter Herr Prof. Weisskirchen,

warum behaupten Sie - zuletzt am 10.11. geschehen -, daß es in Afghanistan um die Sicherheit Deutschlands geht?

Allgemein bekannt ist: Die Terrorgruppen operieren unabhängig voneinander, haben in verschiedenen Staaten Stützpunkte und sind schon seit langem nicht auf Afghanistan angewiesen.

Warum halten Sie die NATO-Ziele auch jetzt noch für erreichbar?

Einige Sätze aus "der Standard.at" vom 10.11.08, "Das afghanische Dilemma":
"Ohne Sicherheit kein erfolgreicher Wiederaufbau" lautet eine viel zitierte Erkenntnis. Umgekehrt gilt, daß es ohne Wiederaufbau keine Sicherheit geben kann. Inzwischen bezweifeln immer mehr westliche Militärs, daß sie den Krieg militärisch gewinnen können. Ein militärisches Patt mit hohen menschlichen und finanziellen Kosten ist wegen der in den Entsendeländern bröckelnden Unterstützung nicht lange aufrecht zu erhalten.".

Laut Herrn Ströbele (18.10.08 in Abgeordnetenwatch) muß geprüft werden, ob auch deutsche Abgeordnete die Möglichkeit eines Waffenstillstands erkunden sollten.

Was werden Sie tun, um das sinnlose Blutvergießen zu beenden?

Mit freundlichen Grüßen
Gerhard Reth

Portrait von Gert Weisskirchen
Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Reth,

habe Sie vielen Dank für Ihre Anfrage vom 11.11.08 zum Thema Afghanistan. Gern will ich Ihnen meine Position zu diesem in der Tat sehr umstrittenen und schwierigen Thema erläutern.

Sie nehmen Bezug auf ein Zitat von mir vom 10.11.08 und fragen, warum ich einen Zusammenhang zwischen den Vorkommnissen in Afghanistan und der Sicherheitslage in Deutschland sehe und führen an, es bestünde „allgemein bekannt“ kein Zusammenhang (mehr) zwischen den verschiedenen Terrorgruppen in der Welt. Lassen Sie mich hierzu zunächst einmal sagen, dass es sehr schwer ist, die Strukturen so genannter Terrornetzwerke oder Terrorgruppen zu durchschauen, zumal auch bei nicht direkter Zusammengehörigkeit Kooperationen, Unterstützungen oder indirekte Zusammenhänge und Beeinflussungen möglich sind. Insofern halte ich eine Beurteilung darüber, was allgemein bekannt ist und noch mehr was davon richtig ist – zumal ich auch nicht weiß, welcher Quelle Sie dieses Wissen entnehmen wollen - für äußerst schwierig. Ich kann Ihnen aber sagen, wo ich ganz direkte Gefahren für die Sicherheit in Deutschland durch den Terror bzw. die Lage in Afghanistan sehe: Zunächst einmal: Erinnern Sie sich noch an 9/11? Dann werden Sie wissen, dass zwei der Attentäter in Hamburg gelebt haben. Und Sie wissen auch, dass es Deutsche gibt, die sich – wie mittlerweile ein Großteil der Terroristen weltweit - in der Region ausbilden lassen, um sich auf terroristische Aktionen vorzubereiten, die sie auch in Afghanistan, vielleicht in Deutschland oder anderswo ausüben wollen. Der zweite Punkt betrifft den Drogenanbau in Afghanistan – 95% des weltweiten Drogenhandels stammen mittlerweile aus Afghanistan -, dieser gefährdet Deutschland in doppelter Hinsicht: Zum einen eben durch die Einfuhr von Drogen auch nach Deutschland, zum anderen dadurch, dass die Einnahmen hiervon größtenteils an Terroristen fließen und was diese dann damit machen, unklar ist. Auch Anschlagspläne in Deutschland oder die (finanzielle) Unterstützung von Gruppen, die dies tun, kann dementsprechend nicht ausgeschlossen werden.

Insofern stimme ich Peter Struck zu, der als Verteidigungsminister sagte, dass am Hindukusch Deutschland verteidigt wird. Ich möchte aber noch hinzufügen, dass eine internationale Verantwortung ebenfalls besteht: Wir wollen – wie ich in meinem Beitrag von 10.11. bereits erwähnte – durch den Einsatz in Afghanistan verhindern, dass das Land wieder ein sicherer Hafen für Terroristen wird, denn dies würde erstens möglicherweise neue Terroranschläge bedeuten, die es – unabhängig davon, welches Land sie treffen würden – zu verhindern gilt. Zweitens würden ohne die internationalen Streitkräfte vor Ort, die Taliban wieder die Macht ergreifen, wovor sich gerade die afghanischen Frauen fürchten. Insofern besteht also auch dem afghanischen Volk gegenüber eine gewisse Verantwortung und wie ich ebenfalls bereits schrieb, eine Notwendigkeit des Engagements.

Ihre zweite Frage bezieht sich auf die Möglichkeit bzw. Unmöglichkeit eines militärischen Sieges. Wenn Sie das ISAF-Mandat sich anschauen, das der Bundestag beschlossen hat, werden Sie rasch feststellen, dass sein wesentlicher Zweck ist, die afghanischen Institutionen zu sichern. ISAF soll das Grundmaß an Sicherheit produzieren, das nötig ist, damit die zivile Entwicklung des Landes vorankommt. An diesem Ziel soll solange festgehalten werden, bis die politisch Verantwortlichen in Afghanistan entscheiden, dass sie aus eigenen Kräften ein hinreichendes Maß an Sicherheit durch die nationale Armee und Polizei selbst gewährleisten können. Deshalb beteiligt sich Deutschland intensiv am Aufbau der afghanischen Armee und Polizei. Aus meiner Sicht zielt unser Engagement insofern gar nicht auf einen militärischen Sieg. Unser Engagement zielt, meine ich, darauf ab, die Herzen der afghanischen Bürgerinnen und Bürger dafür zu gewinnen, dass sie so rasch als möglich das Heft des Handelns in ihre eigenen Hände nehmen. Solange die von ihnen gewählten Repräsentanten die internationale Gemeinschaft jedoch darum bitten, dass wir sie in ihrer Arbeit unterstützen, wird der Bundestag immer dann diese Bitte um Unterstützung kritisch prüfen, wenn die Bundesregierung die Abgeordneten dazu auffordert.

Der Wiederaufbau eines Landes ist natürlich schwierig und langwierig, und ich gebe auch zu, wie ich ebenfalls bereits am 10.11. geschrieben habe zu, dass es Fehlentwicklungen und Probleme gab, die Frage ist nur, wie geht man damit um: Sagt man deshalb, man gibt das ganze Projekt auf – nur wem wäre denn dann damit geholfen? – oder arbeitet man an den Fehlern, die man erkennt, um es künftig besser zu machen? Ich persönlich sehe die in Afghanistan vorhandenen Missstände deshalb als Zeichen dafür, das noch etwas bzw. was noch getan werden muss.

Denn es sind eben auch bereits Erfolge im Wiederaufbau es Landes zu verbuchen, zum Beispiel im Bereich der Bildung (Bau von 3.500 Schulen seit 2001), des Gesundheitswesens (85% der Afghanen haben Zugang zu medizinischer Versorgung) und in Bezug auf die Kindersterblichkeit. Dies habe nicht nur ich bereits am 10.11. erwähnt. sondern gesteht auch der von Ihnen zitierte Zeitungsartikel zu.

In Bezug auf Ihre Frage, ob nicht auch deutsche Politiker Verhandlungen in Betracht ziehen sollten, kann ich nur sagen: deutsche Abgeordnete sollen alles tun, um Verhandlungsprozesse zwischen den am Konflikt in Afghanistan Beteiligten zu ermöglichen. Das Führen solcher Verhandlungen sollten wir jedoch den afghanischen Verantwortlichen selbst überlassen.

Mit freundlichen Grüßen

Gert Weisskirchen