Frage an Gerhard Wächter von Jan W. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Wie stehen sie zum Beitritt der Türkei in die EU?
Sehr geehrter Herr Wacker,
ich bin fest davon überzeugt, dass der Beitritt der Türkei die EU überfordern würde. Und das nicht nur in finanzieller, sondern auch in kultureller Hinsicht. Durch die Vollmitgliedschaft der Türkei könnte die EU nicht mehr das sein, was sie bis heute gewesen ist und was sie auch immer sein wollte, nämlich eine Wertegemeinschaft. Unsere christlich-abendländische Tradition müssten wir dann als gemeinsame Wertebasis aufgeben. Das birgt meiner Meinung nach hohen Konfliktstoff und könnte das „europäische Haus“ letztlich sprengen.
Bis heute ist die Türkei nicht in der Lage, die 1993 von der EU formulierten Kriterien für einen Beitritt zu erfüllen. Danach müssten beispielsweise die Menschenrechte gewahrt werden. Doch an diesem Punkt hapert es bereits gewaltig: Allein von Januar bis Juni 2004 hat es in der Türkei rund 400 Einzelklagen hinsichtlich von Verstößen gegen Menschrechte gegeben. Und noch immer kommen viele Asylbewerber in Deutschland aus der Türkei. Zwischen 2003 bis Herbst letzten Jahres waren es sage und schreibe 11.100 Menschen türkischer Nationalität, die hier um Asyl nachfragten. Selbst die türkische Ministerin für Gleichstellungsfragen, Frau Güldal Aksit, musste noch im Frühjahr dieses Jahres zugeben, dass zwischen rechtlicher Theorie und gesellschaftlicher Praxis erhebliche Lücken klaffen. So könne von einer gesellschaftlichen Gleichstellung der Frau keine Rede sein. Zwangsverheiratungen, Polygamie und Mädchentausch seien in der Türkei leider noch immer eher die Regel als die Ausnahme.
Auch die beharrliche Weigerung der Türkei eines unserer EU-Mitgliedstaaten, nämlich Zypern anzuerkennen, spricht gegen ihre Aufnahme in unsere Gemeinschaft. Gleiches gilt für ihre Weigerung, den Völkermord an den Armeniern aufzuarbeiten.
Es gibt natürlich auch gute Gründe, die für eine Vertiefung der Partnerschaft mit der Türkei sprechen. Daher hat die Union ihr Modell der privilegierten Partnerschaft in die Diskussion eingebracht. Dieses sieht z. B. die Schaffung einer umfassenden Freihandelszone für alle Gütergruppen sowie eine verstärkte Zusammenarbeit z. B. in den Bereichen Umweltschutz, Gesundheit sowie Bildung und Forschung vor. Zudem könnte die Türkei verstärkt in die europäische Außen- und Sicherheitspolitik einbezogen werden.
Die privilegierte Partnerschaft ist nach Meinung der Union eine realistische Perspektive für eine zukünftige Kooperation mit der Türkei. Wir werden auch weiterhin intensiv für dieses Modell werben – sowohl bei unseren EU-Partnern als auch bei unseren türkischen Freunden.
Mit freundlichem Gruß
Gerhard Wächter