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Gabriele Zimmer
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Frage von Christian B. •

Frage an Gabriele Zimmer von Christian B. bezüglich Wirtschaft

Sehr geehrte Gabriele Zimmer!

Mein Name ist Christian Bayer, ich bin Student der Informatik an der Uni Jena. Ich bin Unterstützer des FFII, Foundation for a Free Information Infrastructure ( www.ffii.org ), der sich für eine freie Informationstechnologie einsetzt. Diese Freiheit wird im Moment durch geheime Verhandlungen zum Handelsabkommen gegen Produktfälschung (Anti-Counterfeiting Trade Agreement, ACTA) bedroht. Im Zuge dessen hat die FFII diese geheimen Dokumente angefordert, um sie zu veröffentlichen, da der EU-Ministerrat die Dokumente erst nach einer Einigung darüber veröffentlichen will. Jedoch ist nicht einzusehen, warum diese Dokumente erst dann öffentlich werden sollen, zumal diese "nur" ein Handelsabkommen betreffen sollen. Es mehren sich jedoch die Gerüchte um den Inhalt, der dazu führen könnte, dass sog. Software-Patente legalisiert und damit der Druck auf mittelständische Unternehmen erhöht und eine Überwachung der Internet-Aktivitäten eines jeden Bürgers überwacht sowie Filesharing-Technologien generell kriminalisiert werden könnten. Solange der Inhalt nicht öffentlich ist, kann sich kein EU-Bürger von den tatsächlichen Bestimmungen ein Bild machen. Daher bitte ich Sie, mich und den FFII darin zu unterstützen, den Inhalt der Dokumente auf https://www.ffii.de/wiki/PmACTA081103De zu veröffentlichen.

Sollten diese Dokumente nicht vorab veröffentlicht werden, bitte ich Sie bei einer Abstimmung in JEDEM FALL dagegen zu stimmen, da ich das Verhalten des EU-Ministerrates in dieser Sache für undemorkatisch halte.
Mit freundlichen Grüßen
Christian Bayer

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DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Bayer,

leider ist das von Ihnen beschriebene Phänomen nicht neu. Trotz Transparenzinitiative seitens Kommission und Rat stößt nicht nur die europäische Zivilgesellschaft, sondern selbst das eigentliche Kontrollgremium, das Europäische Parlament, immer wieder auf geheime Dokumente und verschlossene Türen zu so manchem Beratungsraum. Das Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA) ist hierfür ein Beispiel, wie unter anderem auch die Antwort auf die Anfrage meines schwedischen Fraktionskollegen Jens Holm beweist (H-0089/09). Aus dieser Perspektive ist es besonders wichtig, dass das Europäische Parlament auf seine Rechte als Kontrollgremium pocht, wie es dies am 18. Dezember 2008 mit der Resolution P6_TA(2008)0634 getan hat.

Ich sehe gerade auch in solchen Verschleierungstaktiken, wie sie hier von den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten betrieben werden, eine der Ursachen für den Verdruss der Bürgerinnen und Bürger in Hinblick auf die Idee der Europäischen Einigung. Umso wichtiger ist es, diese Vorgänge schnellstmöglich in demokratisch kontrollierte Bahnen zu lenken, anstelle sich nur darüber zu beklagen, dass die Bevölkerung der Europäischen Union nicht voller Lust in die Wahllokale strömt.

Gerade aus dieser Perspektive freue ich mich, dass Sie sich nicht einfach abwenden oder gar resignieren (dadurch wird europäische Politik nämlich definitiv nicht besser), sondern aktiv für Ihre Belange und Wünsche eintreten.
Auch wenn das von Ihnen angesprochene Thema nicht zu meinen Fachgebieten gehört, hege ich grundsätzliche Bedenken nicht nur hinsichtlich der Geheimniskrämerei seitens Kommission und der Regierungen der Mitgliedstaaten im Rat, sondern auch aus bürgerrechtlicher Sicht.

Für mich prallen hier zwei Bürgerrechte aufeinander, die eine Abwägung bzw. eine gerechte Grenzziehung fast unmöglich machen. Auf der einen Seite besitzen Künstlerinnen und Künstler (dazu zählen für mich auch in gewisser Hinsicht Softwareentwicklerinnen und -entwickler) das Recht, dass sie selbst entscheiden, was mit den von Ihnen geschaffenen Werten geschieht. Gerade auch dann, wenn sie davon leben müssen und wollen. Hier besitzt das Urheberrecht durchaus einen den einzelnen Akteur/die einzelne Akteurin schützenden Sinn.

Zugleich hat auf der anderen Seite jede Bürgerin/ jeder Bürger ein Recht auf freien Zugang zu Information, zu der für mich auch das Recht auf Kunst(genuss) im weitesten Sinne zählt.
Zwischen beiden Ebenen zählt es, eine Balance zu finden.

Das diese aber zwischen beiden Gruppen gefunden werden könnte, verdeutlichen Projekte wie mySpace, auf denen Künstlerinnen und Künstler ihre Musik online zur Verfügung stellen oder findige Entwicklerinnen und Entwickler, die für alle Menschen zugängliche Freeware entwickeln.

Auch wenn ich glaube, dass nicht alle künstlerischen Projekte auf solchen Dimensionen arbeiten könnten, so zeigt dies doch durchaus, dass eine sinnvolle Lösung zu finden wäre. Hier kann es durchaus notwendig sein, auch über komplett andere Wege jenseits der reinen Kommerzialisierung nachzudenken.

Es gibt aber noch eine dritte Akteursgruppe, die eine solche Entwicklungsrichtung aus Selbstinteresse heraus nicht begrüßen kann: Die Musikindustrie und Softwareriesen wie Microsoft. Abgesehen von einigen Spitzenkünstlern mit Millionenumsätzen sind vor allem sie die Hauptprofiteure eines immer mehr eingeschränkten Zugangsrechts auf freien Zugang zu Kultur und Medien.

Sie sind die Hauptakteure, wenn es um die Patentierung geistigen Eigentums geht, weil sie so darauf hoffen können, ihre ohne schon nicht geringen Gewinne weiter zu steigern. Umso skandalöser ist, dass diese Konzerne und ihre Lobbygruppen direkten Zugriff auf die Verhandlungsunterlagen erhalten, während den Bürgerinnen und Bürgern und ihrer Vertretung, dem europäischen Parlament, diese vorenthalten werden! (Vgl. die Liste der Berater unter http://www.keionline.org/blogs/2009/03/13/who-are-cleared-advisors/ )

Hier zeigt sich, dass leider immer wieder an die Stelle effektiver demokratischer Beteiligung und Kontrolle der Zugang einiger weniger Lobbyisten gesetzt wird. Ich lehne diesen Zustand strikt ab und werde mich deshalb auch weiterhin für eine schnelle und weitgehende Demokratisierung der Europäischen Union einsetzen, die nicht bei den Rechten des Parlamentes stehen bleibt, sondern auch direkte Einflussmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger unter anderem über europaweite Bürgerbegehren einschließt.

Für weitere Rückfragen stehe ich Ihnen jederzeit gerne zur Verfügung:
e-mail: gabriele.zimmer@europarl.europa.eu

Mit freundlichen Grüßen,

Gabi Zimmer