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Gabriele Zimmer
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Frage von Matthias S. •

Frage an Gabriele Zimmer von Matthias S. bezüglich Frauen

Sehr geehrte Frau Zimmer,

ich wüsste mal gerne was sie von der Eu Verfassung bzw. dem EU-Reformvertrag allgemein halten ,wenn sie wie oben geschrieben selber schreiben "Leider ist noch immer keine konsolidierte Fassung des neuen Vertrages verfügbar, sondern lediglich dieses auch für Fachleute nur höchst mühselig zu bearbeitende Sammelsurium von Text, Querverweisen und zusätzlichen Erklärungen" ,da diese soweit ich es gelesen und verstanden habe ,doch einige sehr bedenkliche Knackpunkte hat die unter falschen Umständen zu Umständen führen können ,die warscheinlich der Grossteil in Deutschland lebenden Menschen nicht möchte .Und wäre es nicht besser wenn es einen Volkenscheid darüber geben würde ob die Bevölkerung diese überhaupt möchte ?

mfg

Matthias Streib

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Streib,

vielen Dank für Ihre Anfrage. Gerade heute will die Bundesregierung der Kanzlerin die Legitimation geben, dass sie am 13. Dezember in Lissabon für Deutschland den Reformvertrag unterschreiben kann, der dann entsprechend den in unserem Land geltenden Regeln ratifiziert werden soll. Das heißt ganz klar, dass es kein Referendum geben wird. Aus meiner Sicht ein erheblicher Mangel, der allerdings den Reformvertrag nicht wesentlich vom ursprünglichen Verfassungsvertrag unterscheidet. Auch dieser durfte nach geltendem Verfassungsrecht und nach dem Willen der politischen Mehrheiten nicht einem Volksentscheid unterzogen werden.

Lediglich in Irland muß nun ein Referendum zum Reformvertrag durchgeführt werden.
Ich gehe davon aus, dass es bis zum 13. Dezember keine entscheidenden Veränderungen am Text des Reformvertrages geben wird. Eigentlich müßte ich ja sagen, an den Formulierungen. Es handelt sich ja um einen Änderungsvertrag, der zu Artikeln, Abschnitten zweier bestehender Verträge Änderungen beinhaltet. Es ist also kein geschlossener Text, der den Bürgerinnen und Bürgern erlauben würde, auf Anhieb zu verstehen, was da jetzt beschlossen wurde.

Ich persönlich meine, dass die EU eine Verfassung benötigt, die in einem demokratischen und offenen Prozess unter Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger erarbeitet wird. Eine Verfassung, die sich als zukunftsoffen für demokratische und politische Veränderungen in ihren Mitgliedsstaaten erweist, die kein Wirtschaftssystem festschreibt. Eine Verfassung, die durch die Art ihrer Erarbeitung und Annahme die Herausbildung einer politischen Bürgerschaft der EU ermöglicht. Ein Vorgang, der nur demokratisch stattfinden kann. Identität kann nur erreicht werden, wenn Bürgerinnen und Bürger ihre EU bewußt mitgestalten können. Ansonsten bleiben alle hehren Ansprüche Sonntags- oder Fensterreden.
Dieser Anspruch kann und soll offenbar nicht durch die Annahme des Reformvertrags umgesetzt werden.
Sicher ist es richtig, dass mit der Umsetzung des Reformvertrags die Rechte des Europaparlaments wesentlich erweitert werden. Wir können nach wie vor keine Gesetzesintiativen als Abgeordnete starten, dürfen aber in wesentlich mehr politischen Bereichen als bisher nun mitentscheiden. Besonders augenfällig sind unsere gestiegenen Möglichkeiten, das üblicherweise Parlamenten zugehörige Haushaltsrecht auch voll auszuüben. Als Abgeordnete warte ich seit langem darauf.

Natürlich gibt es auch weitere Passagen, die einem notwendigen Regelungsbedarf zwischen den Mitgliedsstaaten und den EU-Institutionen entsprechen und die ich unterstütze.

Allerdings gibt es neben der schon von mir benannten Kritik an mangelnder Transparenz, mangelnder Demokratie beim Zusstandekommen und der verpassten Chance, aus der Union der Regierungen auch eine Union der Bürgerinnen und Bürger zu entwickeln, weitere Kritikpunkte.

Diese sind für mich so gravierend, dass ich als Demokratische Sozialistin selbst durch den Zugewinn an Rechten für das Europaparlament diesem Vertrag nicht zustimmen kann:

- die offene Marktwirtschaft und der freie ungehinderte Wettbewerb bleiben Bestandteil des Reformvertrags. Diese Kriterien sind zwar durch die Sarkozy-Formulierungen vordergründig aus den Ziel-Formulierungen für die EU herausgenommen wurden, sie tauchen aber im Vertrag wieder auf;
- die Grundrechtecharta wird zwar für rechtsverbindlich erklärt, allerdings ist sie nicht für alle in der EU lebenden Menschen gleichermaßen individuell einklagbar. Individuelle soziale und persönliche Freiheitsrechte für jeden und jede in der EU bleiben also eine Fiktion. Das bei einer EU, die anderen Staaten und Bevölkerungen ständig Demokratie und Menschenrechte erklären will?
- die zahlreichen "opt-outs" und "opt-ins" von Mitgliedsstaaten zum Reformvertrag, das heißt welche der Paragraphen/Artikel/Abschnitte der beiden Grundverträge der EU für welchen Mitgliedsstaat gelten oder nicht gelten, sind vielfach fast nur noch eine Frage für Experten und Expertinnen. Es ist fast wichtiger, die Protokolle zum Reformvertrag zu lesen als den Reformvertrag selbst. Die Protokolle enthalten wenigstens vollständige Sätze, die von ihrer grammatischen Konstruktion her verstanden werden können;
- die offensichtliche Militarisierung der EU wird durch den Reformvertrag befördert. Die Europäische Rüstungsagentur existiert bereits, der europäische Binnenmarkt für Rüstungsproduktion wurde ganz nebenbei während der Debatte um die EU-Verfassung und später um den Reformvertrag geschaffen. Die Verpflichtung zu einem stetig wachsenden Beitrag der Mitgliedsstaaten zur Verteidigungsfähigkeit der Union ist nach wie vor im Reformvertrag enthalten;
- ebenso wenig ist für mich der geplante Umgang mit den Migrationsströmen in der EU akzeptabel;

Aus all diesen inhaltlichen Gründen kann ich dem Reformvertrag persönlich nicht zustimmen. Ich unterstütze die Initiativen, die es zur Durchführung von Referenden in den Mitgliedsstaaten gibt und ich halte es für wichtig, dass die Debatte um alternative Vorstellungen für eine Verfassung für eine demokratische, soziale, ökologische und friedliche EU fortgesetzt wird. Ich denke dabei an die Arbeit, die im Rahmen des Europäischen Sozialforums für "Grundprinzipien der Charta für ein anderes Europa" oder auch an den Beitrag den Attac, Gewerkschaften oder eben auch linke Parteien in dieser Diskussion bereits leisten und noch verstärken müssen. Ein Zurück zu den Nationalstaaten will auch ich nicht.

Mit freundlichen Grüßen,
Gabriele Zimmer