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Gabriele Zimmer
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Frage von Olaf S. •

Frage an Gabriele Zimmer von Olaf S. bezüglich Umwelt

Liebe Frau Zimmer,

in meiner Frage geht speziell um europäische Atompolitik.
Am Beispiel dieses Themas würde ich aber auch gerne etwas über die Möglichkeiten und Befugnisse des EU-Parlaments im Allgemeinen erfahren. Denn offenbar ist die EU-Kommission das eigentliche Machtzentrum der EU, das EU-Verordnungen oder Richtlinien erläßt. Welche Kontrollmöglichkeiten hat das EU-Parlament. Gibt es die Möglichkeit aus dem Parlement heraus initiativ zu werden, oder beschränken sich die Möglichkeiten des Parlaments nur darin Initiativen der Kommission zu kontrollieren, zu verändern oder zurückzuweisen? Was hätte übrigens der Lissabon-Vertrag daran geändert?

Nun zur Atompolitik:

Unter
http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:52008DC0776:DE:HTML

fand ich z.B. von der Kommision der Europäischen Gemeinschaften
eine

"Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, ..."

zur

"Aktualisierung des hinweisenden Nuklearprograms im Zuge der zweiten Überprüfung der Energiestrategie"

ein Text der sich also offenbar an das EU-Parlament richtet.

> Auf die Bedenken der Allgemeinheit hinsichtlich der nuklearen
> Sicherheit und der Entsorgung radioaktiver Abfälle muss noch
> stärker eingegangen werden.

Dieses Eingehen auf Bedenken, könnte natürlich auch geschehen,
indem diese Bedenken übernommen würden,
und die Politik entsprechend geändert wird.

Die im gleichen Dokument aufgeführte

"2.3. Übersicht über neue und geplante KKW"

spricht aber eine deutlich andere Sprache.

Welche Möglichkeiten hätte eine starke linke Fraktion im Parlament um den genannten Bedenken durch eine geänderte EU-Politik Ausdruck zu geben?

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Swillus,

Das eigentliche Machtzentrum der EU ist gar nicht so einfach zu bestimmen. Es ist richtig, dass die Kommission im Bereich der Binnenmarktsbelange bzw. EG (sog. Erste Säule) das Initiativrecht für Richtlinien und Verordnungen besitzt. In der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP, Zweite Säule) und in der Polizeilichen und Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS, Dritte Säule) bestimmt hingegen allein der Rat als Vertretung der mitgliedsstaatlichen Regierungen. Aber auch in der Ersten Säule obliegt dem Rat die grundlegende Richtlinienkompetenz, in dem er die Kommission beauftragen kann initiativ zu werden. Hinzu kommt, dass das Vertragswerk der EU nur durch die Mitgliedstaaten geändert werden kann, sie bestimmen also auch die Grundlage auf der die Kommission überhaupt arbeiten darf. Deshalb würde ich auch immer vorrangig den Rat als das Machtzentrum betrachten, oder anders: Keine Initiative der EU findet ohne Zustimmung des Rates der Mitgliedstaaten Umsetzung.

Das Europäische Parlament (EP) besitzt inzwischen mit dem Mitentscheidungsverfahren in der Ersten Säule eine ganze Reihe von Gestaltungsmöglichkeiten. Wir können dort, wo uns das Recht dazu durch die Mitgliedstaaten in den Verträgen zugestanden worden ist, Richtlinien verändern, Kompromisse erzwingen und in einigen wenigen Fällen bei entsprechender Mehrheit im EP auch durch Nichteinigung im Vermittlungsausschuss Initiativen des Rates und der Kommission verhindern (zuletzt ein großer Erfolg aus unserer Sicht war die Verhinderung der Neugestaltung der Arbeitszeitrichtlinie im April). Was uns aber fehlen, sind die grundlegenden demokratischen Rechte eines jeden nationalen Parlaments: die Möglichkeit, selbstständig Richtlinien und Verordnungen zu entwickeln und in den Gesetzgebungsprozess einzubringen (Initiativrecht) und eine vollständige Kontrolle der EU-Haushalte. Hinzu kommt die nicht gegebene Kontrolle der GASP und PJZS durch das EP - hier gibt es nur eine Berichtspflicht seitens des Rates.

Der Lissabon-Vertrag hätte die Kontrollrechte des EP in einigen Teilen ausgeweitet (Haushalt und PJZS z. Bsp.), würde aber unter anderem das Initiativrecht als grundlegendes parlamentarisches Erfordernis weiterhin zurückhalten und eine Kontrolle der GASP durch das EP nicht zulassen. Eine solche "halbe Demokratisierung" bleibt hinter den aktuellen Notwendigkeiten der Europäischen Einigung weit zurück. Dies ist, neben anderen Punkten wie der grundsätzlich falschen Ausrichtung der EU auf eine weitere Liberalisierung und Marktvorherrschaft und der zunehmenden Militarisierung der EU, eine unserer Hauptkritiken am Vertrag von Lissabon.

Nach dieser längeren Vorrede möchte ich nun zu ihrer Hauptfrage im Bereich der Atompolitik kommen:
In Kommission und Rat herrscht momentan eine klare Pro-Atomstimmung, die sich leider momentan auch im EP mit einer zwar knappen, aber dennoch ausreichenden Mehrheit niederschlägt. Hauptträger dieser Mehrheit sind die Konservativen (EVP, deutsche Mitgliedspartei ist die CDU), die Liberalen (ALDE, deutsches Mitglied FDP) und auch Teile der Sozialisten / Sozialdemokraten (SPE, deutsches Mitglied SPD), vor allem hierbei die französischen Sozialisten. Diese Mehrheit kann mit den kommenden Europawahlen gekippt werden - hier liegt eine gewaltige Chance für einen Umschwung zu regenerativer, dezentraler Energieversorgung in der kommenden Wahlperiode, für den auch meine Partei DIE LINKE und unsere Linksfraktion in Strasbourg und Brüssel GUE/NGL stehen.
Es ist ein politischer Skandal, dass in der Periode 2007 - 2011 im Rahmen der Europäischen Atomgemeinschaft (EAG) über drei Milliarden Euro für Forschung und Betrieb der wohl gefährlichsten Energiequelle der Welt verwandt werden, anstelle diese Gelder in einen ernsthaften Energiewechsel zu investieren. Die von der Kommission in dem von ihnen zitierten Dokument vorgebrachten Argumente für Nachhaltigkeit und Energiesicherheit sind Augenwischerei: Eine Technik, die noch Jahrhunderte nach ihrer Nutzung schwerste Umweltschäden durch ihren Müll produzieren kann als nachhaltig zu bezeichnen, ist bewusste Fehlinformation und die steigende Energiesicherheit ist ebenso ein Hohn, schaut man sich die realen Importquoten des benötigten Urans an, welches unter anderem aus Südafrika und Russland kommt.

Geht es also der Kommission in ihrem Papier um die "Bedenken der Bevölkerung", so heißt das im Klartext nicht etwa ein Ende der EAG und ein Eintreten für atomfreies Europa (militärisch wie zivil), sondern um eine bessere Verkaufsstrategie des Ganzen gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern.
Hier hat die aktive Lobbyarbeit der Atombranche erfolgreich gewirkt! Ich empfehle Ihnen dazu auch den sehr interessanten Artikel der Deutschen Welle "Strippenziehen für die Atome" vom 18.05.2009 (online unter www.dw-world.de ).

Eine starke Linksfraktion im EP würde sich diesem Druck nicht beugen. Unsere Lobby sind die Verbraucher_innenschutz-Organisationen, Naturschutz- und Umweltverbände. Eine Stärkung DER LINKEN bedeutet eine Stärkung der Kräfte im Kampf gegen die militärische und zivile Nutzung von Atomtechnologie. Sollten sich die Mehrheiten in der kommenden Legislatur zugunsten der linken, grünen und fortschrittlichen sozialdemokratischen Kräfte verschieben, kann es uns gelingen hier andere Akzente zu setzen, auch wenn die Frage eines atomaren Ausstiegs am Ende den Mitgliedstaaten vorbehalten bleibt. Ein sich gegen die Atomlobby stark machendes EP kann aber ein wichtiger Unterstützer für die nationalstaatlichen Kämpfe und internationalen Aktionen der Umweltbewegung sein. Dafür brauchen wir jede Stimme.

Mit freundlichen Grüßen,

Gabi Zimmer