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Frage von Daniel R. •

Frage an Gabriele Frechen von Daniel R. bezüglich Finanzen

Sehr geehrte Frau Frechen,

wir sind eine Wählergemeinschaft aus Berlin Prenzlauer Berg und bereiten momentan eine Verfassungsbeschwerde gegen die Belastung des selbstverdienten Existenzminimums der SV-Pflichtigen mit Sozialversicherungspflichtabgaben vor.

Die Diskussion um die Rentenvorschläge des NRW-Ministerpräsidenten Rüttgers macht diese Abgaben-Problematik besonders deutlich:
Wie Sie wissen, werden Millionen Niedrig- bis Mittelverdiener im gesetzlichen Rentenversicherungssystem einen Rentenanspruch unterhalb von Sozialhilfe haben, (wenn die Berechnungsformel der Rente nicht um einen Grundrentenfaktor erweitert wird - oder eine gesetzliche Mindestrente mittels Steuerzuschüssen realisiert wird).
Sie wissen ja selbst, dass die Rentenbeiträge auch aus dem Existenzminimum der SV-Pflichtigen erhoben werden - insofern ist der derzeitige Zustand schon äußerst paradox, dass die gesetzliche Rente dem SV-Beitrags-Einzahler weniger Rente zahlt, als einem Selbständigen,der in seinem Leben niemals SV-Zwangsabgaben aus seinem Existenzminimum abgeführt hat, aber als Senior auf die "Grundsicherung im Alter" angewiesen ist.

Sehr geehrte Frau Frchen, wie sehen Sie als SPD-Mitglied und stellvertretende Vorsitzende des Finanzausschusses des Bundestags diese Problematik?
Und erweiternd könnte man auch fragen, ob es überhaupt verfassungskonform ist, SV-Beiträge auch aus dem Existenzminimum der SV-Pflichtigen zu schöpfen (wenn daraus eher Nachteile als Vorteile erwachsen)?

Auf unserer "Verfassungsbeschwerden-Internetseite" dokumentieren wir die Antworten maßgeblicher Vertreter der politischen Parteien auf diese Fragen, um die verfassungsjuristische Problematik ausreichend zu beleuchten und mit Vertretern der Legislative zu diskutieren - und dann ggf. Verfassungsbeschwerde gegen diese Systematik einzulegen.

Wir danken Ihnen vielmals für eine Stellungnahme und verbleiben mit freundlichen Grüßen,

Daniel Röttger
Geschäftsführer der UWP

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Röttger,

vielen Dank für Ihre Frage. Es tut mir leid, dass die Beantwortung länger als gewöhnlich gedauert hat. Aber so ganz einfach ist Ihre Frage nicht.

Sie skizzieren zwei Probleme: Einerseits den Abzug von Sozialversicherungsbeiträgen auf das selbstverdiente Existenzminimum, andererseits das Problem der drohenden Altersarmut von Geringverdienern.

Vor dem Hintergrund des aktuellen Armuts- und Reichtumsberichts stellt sich einmal mehr die Frage, wie die Verteilung von Einkommen gerecht zu gestalten ist. Ihr Vorschlag, das selbstverdiente Existenzminimum von Beiträgen zur Sozialversicherung freizustellen, ist ein möglicher Weg zur Entlastung von Geringverdienern. Aber ist es auch der richtige?
Mit Steuerentlastungen kann man Geringverdiener nicht entlasten, da sie keine oder nur wenig Einkommensteuer bezahlen. Mit dieser Erkenntnis unterscheiden wir uns klar von den Steuersenkungsideen, die zurzeit wie Kraut aus dem Boden schießen. Damit werden Niedrigverdiener vorgeschoben um Steuerentlastung für Gutverdiener salonfähig zu machen. Das ist weder sozial noch gerecht. Die Lohnnebenkosten sind für diese Beschäftigten das wirkliche Problem. Da stimme ich Ihnen zu.
Trotzdem gilt für mich, dass grundsätzlich jeder Beschäftigte für seine Rente vorsorgen muss. Für abhängig Beschäftigte gibt es aus gutem Grund die Verpflichtung in die gesetzliche Rentenversicherung einzuzahlen. Wenn wir davon Abstand nehmen, ist das ein Signal für die Abschaffung der beitragsabhängigen Rente.

Dass es eine Grundsicherung im Alter gibt, bei der im Normalfall Kinder nicht zu Leistungen herangezogen werden, halte ich für eine großartige Leistung der rot- grünen Regierung unter Gerhard Schröder. Dass es sie auch für ehemals Selbständige gibt, ist für mich kein Argument gegen die gesetzliche Sozialversicherung, sondern für eine generelle Beschäftigtenversicherung, in der auch selbständig Beschäftigte pflichtversichert sind.

Das Grundproblem ist für mich ein anderes: Das „Niedrigverdienen“ ist doch das Problem an sich, sowohl dafür, dass Sozialversicherungsbeiträge aus dem Existenzminimum bezahlt werden müssen, als auch dafür, dass im Alter die Rente nicht reicht. Deshalb gilt es, das Übel an der Wurzel zu packen und nicht, die Folgen zu kaschieren. Menschen müssen von ihrer Arbeit leben können und sie müssen Rentenversicherungsbeiträge bezahlen, die zu einer angemessenen Rente führen. Wer zulässt, dass Menschen für 5 Euro und weniger in der Stunde arbeiten und sich den Rest zum Leben beim Sozialamt abholen müssen, sich gegen Mindestlöhne sperrt und sich dann wundert, dass am Lebensabend die Rente nicht reichen wird, macht aus populistischen Gründen die Akzeptanz der solidarischen Rentenversicherung zugunsten von den Unternehmen, die Gewinne auf Kosten von Hungerlöhnen maximieren, kaputt.
Und noch etwas wird bei dieser Argumentation übersehen: Ich halte es für fatal, Menschen, die gerade in einer prekären Arbeitssituation sind, einzureden, dass das ein Dauerzustand sein wird. Unser Bestreben muss doch gerade dahin gehen, dass einmal Niedrigverdiener nicht zwangsläufig immer Niedrigverdiener bedeutet. Was sind das denn für Zukunftsperspektiven, die damit vermittelt werden? Meine Politik heißt: Chancen geben, auch zweite und dritte und immer wieder neu, heißt Menschen rausholen aus dieser Situation und nicht, die Lage mit ein bisschen Farbe sprich Geld aufzuhübschen.
Sozial ist was Arbeit schafft, hieß einmal ein Slogan der CDU. Das stimmt aber nicht. Sozial ist was gute Arbeit schafft. Fairer Lohn für gute Arbeit. Dafür werde ich mit allen Mitgliedern der SPD und den Gewerkschaften weiter kämpfen.

Und noch einen Punkt möchte ich als Argument gegen Ihren Vorschlag vorbringen:
In vielen Familien ist es so, dass die Frauen während oder nach der Kindererziehungszeit nicht voll dafür mit Steuerklasse V arbeiten, was dazu führt, dass sie weniger verdienen und den Hauptteil der ehelichen Steuerlast tragen. Dabei kommt es sicher oft vor, dass diese Frauen am Monatsende weniger als das Existenzminimum ausbezahlt bekommen. Würden sie keine Sozialversicherungsbeiträge bezahlen müssen, also nicht selbst vorsorgen, würde sich das negativ auf die spätere Rente auswirken. Erst recht, wenn eine solche „freigestellte“ Tätigkeit zusammen mit einem 400 Euro Job netto mehr Geld einbringt als eine Ganztagsbeschäftigung. Ich denke, damit wäre dem Anliegen der Frauen, gleichberechtigte Partner in Familie und Beruf zu sein, ein Bärendienst erwiesen.
Ob und wieweit man Einstiegsszenarien entwickeln kann, ob es eine Beitragsprogression in den unteren Einkommensbereichen geben kann, kann ich Ihnen heute nicht sagen, da meine Antwort sicher auch neue Fragen aufgeworfen hat.
Ob eine Verfassungsklage Erfolg haben kann, vermag ich nicht zu beurteilen. Ich gehe allerdings fest davon aus, dass die gesetzliche Rentenversicherung die Prinzipien unseres sozialen, solidarischen und gerechten Rechtsstaates erfüllt.

Herzliche Grüße
Ihre
Gabi Frechen