Wie kann man den Mittelstand für die Alternative zum Kapitalismus, dem Sozialismus, überzeugen und gewinnen?
Ihre Partei, die MLPD, kämpft für einen echten Sozialismus und die Diktatur des Proletariats über die Produktionsmittel. Zur Zeit haben wir jedoch keine reine Klassentrennung zwischen den Konzernen und den Arbeitern. Eine breite Mittelschicht dominiert mit zum großen Teil kleinbürgerlichem Denken in Deutschland. Diese ist jedoch für den Aufbau eines echten Sozialismus notwendig, denn unter den Mittelständlern befinden sich zahlreiche Handwerksbetriebe, Freiberufler wie Ärzte, Ingenieure, Architekten, Rechtsanwälte u.v.a. Für viele dieser Mittelschicht ist Sozialismus und Kommunismus immer noch ein rotes Tuch, da nach deren Meinung damit Unfreiheit und Enteignung verbunden ist.
Diese These haben Sie in Ihrem Wahlprogramm aufgegriffen und eindeutig widerlegt. Nehmen wir einmal an, wir hätten jetzt den realen Sozialismus. Wie wäre dann die Situation eines kleinen Handwerkbetriebes mit keinen oder nur wenigen Beschäftigten? Oder eines Freiberuflers? Würden sie enteignet?
Lieber U. A.,
Vielleicht ist dir aufgefallen, dass ich den Begriff des »Mittelstands« bewusst nicht verwendet habe. Er ist Teil der bürgerlichen Ideologie und verschleiert die Klassenverhältnisse. Schließlich leben wir nicht in einer Stände-Gesellschaft, sondern in einer Klassengesellschaft. Ihre Entwicklung wird maßgeblich bestimmt durch den Kampf zwischen den beiden antagonistischen Hauptklassen, der Bourgeoisie und dem Proletariat. Wir sprechen deshalb von kleinbürgerlichen Zwischenschichten, die sich zwischen diesen beiden Hauptklassen bewegen.
Einerseits erhalten die kleinbürgerlichen Zwischenschichten einen täglichen Anschauungsunterricht, wie der staatsmonopolistische Kapitalismus kleine Selbstständige und sogar nichtmonopolisierte Unternehmen in den Ruin treibt, an die Wand drückt, aufkauft usw; wie die kleinen und mittleren Bauern in den Bankrott getrieben werden; wie die technische Intelligenz im unteren Bereich mehr und mehr auf einer Stufe mit der Arbeiterklasse steht, zum Teil schon in Leiharbeit gedrängt wird; wie in der Corona Pandemie die Krisenlasten auf den Arbeitern und ihren Familien aber auch kleinen Einzelhändlern, Künstlern und kleinen Selbstständigen abgewälzt wurde. Sie alle sind von der drohenden Umweltkatastrophe ebenso bedroht, wie von Krieg, der Ruinierung der städtischen Infrastruktur usw.
Auf der anderen Seite fürchten viele von ihnen bestimmte Privilegien zu verlieren, die ihnen der Kapitalismus noch gewährt, um sie als Massenbasis zu erhalten. Dazu gehört die bessere Bezahlung, zum Teil bessere Wohnverhältnisse, individuelle Nischen usw.
Zwischen der Gewinnung der entscheidenden Mehrheit der Arbeiterklasse für den Sozialismus und der Gewinnung der kleinbürgerlichen Zwischenschichten besteht ein enger Zusammenhang. Je mehr die Arbeiterklasse für die Zukunftsinteressen der Menschheit kämpft, desto mehr orientieren sich die Zwischenschichten an ihr. Und je mehr Angehörige der technischen Intelligenz, Intellektuelle, Bauern, Kultur- und Medienschaffende usw. sich dem Sozialismus öffnen, desto mehr gelingt es auch, die Staatsreligion des Antikommunismus zurückzudrängen.
Wir unterstützen alle Forderungen der kleinbürgerlichen Zwischenschichten, die sich gegen die Monopole richten. Wir kritisieren Forderungen, die zu Ungunsten der Arbeiterklasse wären. Ein gutes Beispiel findest du auf unserem Plakat: Erzeugerpreise rauf – Verbraucherpreise runter! Hier werden die Bauern und die Arbeiterinnen und Arbeiter zusammengeschlossen, gegen die Handels- und Agrarmonopole. Wir fordern außerdem in unserem Wahlprogramm, dass eine umsatzbezogene Sozialsteuer eingeführt wird, die Arbeiter und Arbeiterinnen und ihre Familien entlasten würde, ebenso wie kleine Betriebe mit hohem Lohnanteil und niedrigem Umsatz. Die großen Konzerne und Monopole, mit hohem Umsatz und Gewinn aus der Ausbeutung der Arbeiterklasse, würden entsprechend zur Kasse gebeten.
Was die Lage und Situation von Handwerksbetrieben oder Freiberuflern im Sozialismus angeht, hat die Kommunistische Partei Chinas, als Mao Zedong an ihrer Spitze stand, hier hervorragende Erfahrungen gesammelt, die in Maos bekannter Schrift über die richtige Behandlung der Widersprüche im Volk verarbeitet sind.
Der Widerspruch zwischen Handwerksbetrieben oder selbstständig Tätigen ist ein Widerspruch im Volk, solange sich diese nicht mit den Feinden des Volkes, den alten Ausbeutern oder ausländischen Kapitalisten verbinden. Entsprechend müssen die Widersprüche nicht-antagonistisch behandelt werden. D.h. schöpferisch gelöst und überwunden werden.
Eine Enteignung dieser Bevölkerungsteile kann und wird nicht erzwungen werden.
Gleichzeitig wird die marxistisch-leninistische Partei eine Politik betreiben, diese Kleinbürger oder (bei größeren Betrieben) auch Klein-Kapitalisten zu überzeugen, ihre Betriebe (bzw. Produktionsmittel) freiwillig oder gegen eine vertretbare Entschädigung in das gemeinsame Eigentum des werktätigen Volkes zu überführen. Das kann auch über Zwischenschritte erfolgen wie bei der Kollektivierung der Landwirtschaft, zunächst über Kooperativen und Ähnliches.
Mao Zedong machte in seiner Schrift allerdings auch darauf aufmerksam, dass die Entwicklung dieser Widersprüche sorgfältig beobachtet werden muss. Denn aus nicht-antagonistischen Widersprüchen können auch antagonistische entstehen. Wenn die Betreffenden gegen den Sozialismus zu arbeiten beginnen oder auch wenn die Kommunistische Partei sektiererische Fehler gegenüber diesen Bevölkerungsteilen macht.
Herzliche Grüße
Gabi Fechtner