Frage an Fritz Rudolf Körper von Stefan G. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrter Herr Körper,
zur Regelung der Patientenverfügung (PV) gibt es inzwischen drei Anträge, welche sich in ihrer Position deutliche unterscheiden:
1. Antrag "Stünker"
Dieser Antrag räumt dem Patientenwillen absolutes Vorrecht ein, selbst wenn es durch Unwissenheit oder ungeschickte Abfassung der PV zu einer vom Patienten ungewollten und letztlich tödlichen Entscheidung kommen kann.
2. Antrag "Bosbach"
Dieser Antrag versucht , die Balance zwischen dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten und der Fürsorgepflicht des Staates zu finden. Durch das Einziehen gewisser Hürden wird der Patient vor einer Fehlentscheidung bewahrt.
3. Antrag "Zöller"
Dieser Antrag versucht den Patientenwillen, selbst wenn keine PV vorliegt, dialogisch zu ermitteln. Dies hat auch eine deutliche Stärkung der ärztlichen Stellung zur Folge und birgt duch die Hinzuziehung auch mündlicher Äußerungen ein gewisses Risiko der Fehlinterpretation des Patientenwillens.
Wie ist Ihre Position zu diesem Thema und welchen Antrag werden Sie im Bundestag unterstützen ?
Inwieweit unterstützen Sie den Ansatz einer medizinischen Vorsorgevollmacht als Ergänzung oder Ersatz der PV ?
Mit freundlichen Grüßen
Stefan Grieser-Schmitz
Sehr geehrter Herr Grieser – Schmitz,
haben Sie Dank für Ihre Anfrage, die ich gerne beantworte.
Sie haben Ihre Frage mit einer Charakteristik der drei Gesetzesinitiativen versehen, die zwar Ihre eigene Position sehr deutlich macht, jedoch den jeweiligen Entwürfen in keiner Weise gerecht wird. Ich bin daher froh, bei diesem wichtigem Thema zur Klarstellung der wirklichen Unterschiede beitragen zu können.
Um es gleich zu sagen: ich unterstütze den Gesetzesantrag, der maßgeblich von meinem Fraktionskollegen Joachim Stünker erarbeitet wurde. Wir möchten den Menschen die Option geben, ihr Schicksal zu akzeptieren und auf ärztliche Eingriffe zu verzichten. Die Frage, ob das Leben nach derartigen Eingriffen (z.B. Amputationen, Wiederbelebung nach Schlaganfällen) mit zum Teil tiefgreifenden Folgen gerade auch im Alter lebenswert ist, kann und darf - nur – der Betroffene entscheiden. Niemand sonst. Es gibt keine Schutzpflicht des Staates gegen den Willen des Betroffenen. Eine derartige Schutzpflicht entmündigt die Menschen und läuft auf eine Zwangsbehandlung hinaus. Es kann auch nicht sein, dass die persönliche Einstellung des Arztes über das Schicksal seiner Patienten entscheidet. Wir möchten niemanden zur Abfassung einer Patientenverfügung animieren. Wir wollen, dass die Menschen die Wahl haben und nicht umgekehrt gegen ihren Willen einer Zwangsbehandlung unterworfen werden.
Meine Einschätzung der drei Gesetzesanträge im Einzelnen:
Der „Entwurf eines dritten Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts“, der federführend von meinem Fraktionskollegen Joachim Stünker erarbeitet wurde, und der Entwurf für ein „Patientenverfügungsverbindlichkeitsgesetz“, welcher unter anderem auf den Kollegen Wolfgang Zöller zurückgeht, liegen nahe beieinander. Beide wollen dem Willen des Patienten vorrangig Geltung verschaffen – unabhängig von Art und Ausmaß der Erkrankung. Beide Entwürfe wenden sich somit gegen die Ansicht, der Staat habe das Leben auch gegen den Willen des Betroffenen zu schützen. Ein wesentlicher Unterschied zwischen beiden Entwürfen liegt darin, dass der sog. Zöller-Entwurf für die Gültigkeit der Patientenverfügung keine Schriftform verlangt.
Entgegen Ihrer Charakterisierung soll niemand wegen einer „ungeschickten“ Abfas-sung der Patientenverfügung oder wegen Unwissens an einer letztlich ungewollten Patientenverfügung festgehalten werden. Diese irrige Auffassung geht von der An-nahme aus, dass der Wortlaut einer Patientenverfügung irgendwie „automatisch“ umgesetzt würde. Dies spiegelt eine häufig geäußerte Befürchtung, ist jedoch nicht richtig. Vielmehr muss in jedem Fall eine Patientenverfügung dahingehend ausgelegt werden, ob sie auf die konkrete Situation passt und ob die Folgen wirklich vom Patienten gewollt sind. Hierzu sollen auch nach dem Stünker-Entwurf sämtliche Erkennt-nisquellen über spätere Äußerungen des Patienten ausgeschöpft werden – also auch die Erfahrungen von Angehörigen. Erst wenn feststeht, dass der Patient an seiner Verfügung festhalten wollte, wird sie im Sinne des Patienten umgesetzt.
Beide Entwürfe sehen daher vor, dass zur Ermittlung des in der Patientenverfügung niedergelegten Willens Angehörige, Vertrauenspersonen etc. hinzuzuziehen sind. Es gibt keine „automatische“ Umsetzung des Wortlauts. Gemäß dem Stünker-Entwurf ist genau zu prüfen:
- Ob die Voraussetzungen einer gültigen Patientenverfügung vorliegen: Schriftliche Verfügung eines einwilligungsfähigen Volljährigen; die Verfügung muss ohne Irrtum oder Zwang zustande gekommen sein.
- Ob die P-Verfügung auf die konkrete Krankheitssituation passt.
- Ob die Verfügung aktuell ist oder ob Anhaltspunkte für einen Widerruf oder Änderungen bestehen.
Grundsätzlich anders ist der sogenannte Bosbach-Entwurf eines Patientenverfügungsgesetzes. Dieser Entwurf schafft zwei Klassen von Patientenverfügungen (PV):
1. Eine lediglich schriftlich abgefasste PV. Mit dieser PV können Verfügungen über den Abbruch bzw. die Nichteinleitung lebenserhaltender Maßnahmen nur dann verfügt werden, wenn
a) nach ärztlicher Prognose eine unheilbar tödlich verlaufende Krankheit vorliegt oder
b) ein Fall des Wachkomas, aus dem „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kein Erwachen möglich ist. Ansonsten ist die PV – im Hinblick auf lebenserhaltende Maßnahmen wirkungslos. Folge: am Patient werden alle ärztliche Maßnahmen auch gegen seinen Willen ausprobiert, wenn auch nur die Chance einer Lebensverlängerung besteht. Welcher Preis hierfür vom Patienten zu zahlen ist (ein Leben mit Amputationen, Lähmungen, künstlicher Ernährung etc.) spielt keine Rolle.
2. Eine qualifizierte PV. Hier wird scheinbar der Weg eröffnet, auch über lebenserhal-tende ärztliche Maßnahmen zu verfügen. Allerdings unter so engen Vorausset-zungen, dass der Anwendungsbereich praktisch gegen Null tendieren wird. Die Voraussetzungen:
- „Zeitnahe“ ärztliche Beratung gerade über das später eingetretene Krankheitsbild. Das setzt voraus, dass Arzt und Patient hiervon überhaupt Kenntnis haben.
- Zusätzliche Aktualisierung durch den Betroffenen alle 5 Jahre
- Notarielle Beurkundung. Diese muss ebenfalls alle 5 Jahre wiederholt werden.
Sogar bei Einhaltung dieser Bedingungen ist auch die qualifizierte Patientenverfügung unverbindlich, wenn sie erkennbar in Unkenntnis der Möglichkeiten medizinischer Behandlung oder späterer Entwicklungen abgegeben wurde, bei deren Kenntnis eine andere Entscheidung getroffen worden wäre. Da spätere Entwicklungen in aller Regel vorher unbekannt sein dürften, ist dies ein Einfallstor dafür, die PV für unwirksam zu erklären.
Diesen Bosbach-Entwurf lehne ich strikt ab. Ich sehe keineswegs, dass er eine „Balance zwischen Selbstbestimmungsrecht des Patienten und der Fürsorgepflicht des Staates“ darstellt. Dieser Satz aus der Eigenwerbung des Entwurfs ist in doppelter Hinsicht unzutreffend. Zum einen gibt es überhaupt keine Fürsorgepflicht des Staates gegen den freien Willen des Betroffenen. Die Erfinder dieser Pflicht verkehren das Recht des Menschen auf Schutz seines Lebens durch den Staat in ein Recht des Staates, von den Menschen ein Weiterleben auch mit Hilfe von schwersten ärztlichen Eingriffen zu erzwingen. Zweitens gehört es zum Kern des Selbstbestimmungs-rechts, auf ärztliche Eingriffe zu verzichten und das Schicksal eines natürlichen Todes anzunehmen. Gerade lebensverlängernde Eingriffe stehen im Zentrum der Sorge derjenigen, die eine Patientenverfügung geschrieben haben. Diese Eingriffe sind besonders tiefgehend und stemmen sich gegen das Schicksal eines natürlichen Todes. Wer den Willen des Patienten gerade in diesem Punkt an gesetzlichen Hürden scheitern lässt, missachtet den Kern menschlicher Selbstbestimmung.
Kurz: Es ist unbestritten und selbstverständlich, dass kein Arzt einen Patienten gegen seinen Willen behandeln darf. Die Entscheidung über ärztliche Eingriffe liegt beim Patienten und nicht beim Arzt. Dies gilt auch dann, wenn der Arzt einen Eingriff für sinnvoll hält, der Patient dies aber anders sieht. Nichts anderes darf für den Fall gelten, dass der Patient nicht mehr ansprechbar ist und genau für diesen Fall seinen klaren Willen vorher niedergelegt hat. Wer Bedenken hiergegen hat, mag von einer Patientenverfügung für sich selbst absehen. Auch wir Abgeordnete haben jedoch nicht das Recht, für andere Menschen zu entscheiden, dass sie wegen allerlei Bedenken zwangsbehandelt werden müssen. Denn die Alternative zur Patientenverfügung ist ja nicht ein aktueller freier Wille, sondern die Entscheidung anderer.
Eine Vorsorgevollmacht ist immer sinnvoll, damit eine Person meines Vertrauens meine Rechte für mich wahrnehmen kann. Wichtige Entscheidungen sollten jedoch zusätzlich durch eine Patientenverfügung getroffen werden, damit der Bevollmächtigte, die Ärzte und womöglich das Gericht eine klare Entscheidungsgrundlage haben.
Herzliche Grüße nach Koblenz
Fritz Rudolf Körper