Frage an Fritz Felgentreu von Inga W. bezüglich Raumordnung, Bau- und Wohnungswesen
Ich habe folgende Fragen zum Thema Wohnen und Mieten:
In Deutschland hat sich die Wohnsituation vor allem in Städten und Ballungsräumen für Mieter deutlich verschärft (auch und vor allem in Berlin).
Würden Sie sich, falls es für Ihre Partei für eine Regierungsbeteiligung reicht, für eine Mietbegrenzung einsetzen, vor allem auch bei Neuvermietungen?
Wollen Sie die meiner Ansicht nach viel zu hohen Provisionszahlungen an Wohnungsmakler begrenzen oder besser noch ein Gesetz unterstützen, dass es verbietet, Maklerprovisionen von Mietern zu verlangen?
Was tut Ihre Partei bzw. Sie persönlich, um den sozialen Wohnungsbau voranzubringen bzw. bezahlbaren Wohnraum für Menschen mit kleinem und mittlerem Einkommen zu schaffen?
Wieso werden genossenschaftliche Wohnmodelle nicht mehr unterstützt?
Wie stehen Sie zum Thema Gentrifizierung?
Wieso hat die Stadt Berlin über Jahre den Ausverkauf von städtischen Wohnungen an Großinvestoren betrieben, obwohl doch klar auf der Hand lag, dass es diesen Firmen nicht um das Wohl der Mieter geht sondern um Profitmaximierung?
Wieso wird eigentlich ein so wichtiges Grundrecht wie "Wohnen" zunehmend dem "freien Markt" überlassen, der ja gar nicht mehr "frei" ist und es auch nie war, da Grund und Boden nicht vermehrbare Güter sind und sich Angebot und Nachfrage in einer eklatanten Schieflage befinden?
Was ist Ihre Vision einer lebenswerten Stadt?
Und wie wollen Sie das erreichen?
Könnten Sie sich mit einer Vision anfreunden, die allen Menschen in dieser Stadt Teilhabe an Wohnraum und Wohneigentum möglich macht z.B. durch genossenschaftliche Wohnmodelle?
Oder wollen Sie lieber alles so lassen wie es ist und dabei zwangsläufig in Kauf nehmen, dass es immer einen Interessenkonflikt geben wird zwischen Profitmaximierung der Vermieter und den Interessen der Mieter nach bezahlbarem lebenswertem Wohnraum?
Wird dieser Fragenkomplex eigentlich auch mal grundsätzlich diskutiert in Ihrer Partei?
Ich freue mich auf Anworten,
beste Grüße,
Inga Weyel
Sehr geehrte Frau Weyel,
die SPD versteht sich in Berlin und weit darüber hinaus als Mieterpartei. Deshalb haben wir auch als einzige Partei die Miete zum Wahlkampfthema gemacht und bekennen uns -- z.B. auf großflächigen Plakaten -- zu unseren Vorstellungen von einer wirksamen Mietbremse. Die kann nämlich nur über das Mietrecht durchgesetzt worden -- ein bundespolitisches Thema, das im Bundestag bewegt werden muss.
Zu Ihren Fragen im einzelnen:
1. Wir wollen eine Mietbegrenzung bei Neuvermietungen erreichen, indem wir gesetzlich regeln, dass bei Neuvermietungen die ortsübliche Vergleichsmiete um maximal 10 % überschritten werden darf. Bisher ist die einzige Begrenzung eine Senatsvorschrift gegen Mietwucher, die bei 20 % eingreift und rechtlich sehr schwer zu handhaben ist. Wir wollen eine klare und einfache, mieterfreundliche Regelung im Mietrecht. Im Unterschied zu den Grünen wollen wir, dass diese Regelung generell gilt und nicht nur für besonders stark vom Mietanstieg betroffene Gebiete. Wir wollen den Spekulationsdruck nicht verlagern, sondern wegnehmen.
2. Die Maklerkosten soll nach unseren Vorstellungen derjenige tragen, der den Makler beauftragt hat -- also in der Regel der Vermieter. Eine Begrenzung ist nicht vorgesehen und meiner Meinung nach dann auch nicht mehr nötig.
3. Die Berliner SPD setzt sich vehement für einen Wiedereinstieg in den sozialen Wohnungsbau ein. Wir wollen, dass bis 2020 in Berlin 70.000 neue Wohnungen gebaut werden, davon ca. 8.000 in Neukölln. Wir halten das für notwendig, weil wir bis 2020 nach konservativen Schätzungen mit einem Zuzug von 250.000 Menschen rechnen müssen. Die brauchen alle irgendwo ein Dach über dem Kopf. Wenn wir nicht so schnell wie möglich in den Neubau einsteigen, wird das Bevölkerungswachstum bei gleichem Angebot für deutlich mehr Nachfrage sorgen -- also für schnell steigende Mieten. Wohnungsbau ist Mieterschutz. Stadtpolitisch ist unser Ziel, diese Wohnungen überall dort zu bauen, wo Freiräume dafür vorhanden sind. Denn es geht uns auch darum, dass die Menschen überall in der Stadt bezahlbare Wohnungen finden. Nur so bleibt die soziale Mischung erhalten und Menschen mit geringem Einkommen werden nicht einseitig in bestimmte, als unattraktiv empfundene Stadtteile verdrängt.
Aber dieser Kurs der SPD ist nicht unumstritten. Wohnungsbau ist in der jeweiligen Nachbarschaft unpopulär. Unsere Konkurrenten von der CDU und den Grünen versuchen, in den Kiezen Berlins damit zu punkten, dass sie ein schwammiges Bekenntnis zu Wohnungsbau im Allgemeinen damit verbinden, überall dort Nein zu sagen, wo es konkret wird. Deshalb wird nur mit einer starken SPD der notwendige Wohnungsbau auch tatsächlich in Gang kommen.
4. Ich persönlich setze mich schon jetzt als Stellvertretender Landesvorsitzender der SPD für den zu Frage 3 beschriebenen politischen Weg ein. Im Bundestag will ich dazu beitragen, dass das Mietrecht reformiert und dass die Wohnungsbau-Förderung des Bundes aufgestockt wird.
5. Genossenschaftliche Wohnmodelle halten wir neben dem Wohnungsbau durch städtische Wohnungsbaugesellschaften für besonders wichtig und unterstützungswürdig. Mir ist nicht klar, auf welchen von Ihnen empfundenen Mangel an Unterstützung Ihre Frage abzielt. Deshalb kann ich Ihnen an dieser Stelle nur versichern, dass ich Bauvorhaben von Wohnungsbaugenossenschaften generell begrüße und im konkreten Einzelfall zumeist positiv begleite. Trotzdem kann es natürlich vorkommen, dass eine Genossenschaft sich in ein unsinniges Projekt verrennt. Insofern ist eine Blanko-Zusage, jedes genossenschaftliche Bauvorhaben stets politisch zu unterstützen, nicht möglich.
6. Neuerdings interessieren sich in Neukölln finanzstarke Mieterinnen und Mieter für Kieze, in denen noch vor fünf Jahren die Menschen mit einem Einkommen aus Erwerbsarbeit eine kleine Minderheit waren. Unter dem Aspekt der sozialen Mischung hat diese Entwicklung viele positive Seiten. Nur in einem sozial durchmischten Kiez können die Menschen voneinander lernen und vor allem sozial Schwache neue Perspektiven für sich entdecken. Vor allem für Kinder und Jugendliche ist das sehr wichtig. Wer nur unter Menschen aufwächst, die von Hartz 4 leben, wird kaum verinnerlichen können, dass die Fähigkeit, sich und die eigene Familie zu ernähren, zu einem normalen Leben dazugehört. Urbanität und Aufstiegswille wachsen dort, wo Menschen aus verschiedenen sozialen Schichten zusammenleben.
Die offensichtliche Gefahr dabei: In einigen Stadtteilen im Norden Neukölln steigen die Mieten derzeit rasant an. Wenn die Entwicklung dazu führt, dass die sozial Schwachen nach und nach aus dem Kiez gedrängt werden, kommt es zu einer neuen Form der Entmischung, die das städtische Miteinander bedroht. Deshalb kommt gerade in Neukölln dem Mieterschutz eine so hohe Bedeutung zu. Der Mietspiegel verlangsamt den Anstieg der Bestandsmieten und schafft kurz- und mittelfristig Sicherheit für Mieterinnen und Mieter. Auf Dauer kann nur eine Mietbremse bei Neuvermietungen die Menschen wirksam vor Verdrängung schützen. Um die Balance zwischen notwendiger Erneuerung und Mieterschutz in den Nord-Neuköllner Kiezen zu bewahren, sind eine Reform des Mietrechts und der Neubau von Wohnungen erforderlich (s. Antwort 1, 2 und 3). Ob bezirkliche Instrumente wie die Ausweisung von Milieuschutzgebieten den Anstieg der Mieten bei Neuvermietung bremsen können, kann ergänzend ergebnisoffen geprüft werden.
7. Landeseigene Wohnungen hat Berlin immer nur notgedrungen verkauft. Wie Sie wissen, war Berlin (und ist es faktisch noch heute) in einer Haushaltsnotlage. Um die notwendigen Umstrukturierungen vorzunehmen (also vor allem, um nach und nach Stellen im Öffentlichen Dienst abzubauen), brauchte das Land Geld, konnte aber nicht im erforderlichen Umfang neue Schulden machen. Der Verkauf von Wohnungen war aus der Sicht der damals Verantwortlichen eine bittere Notwendigkeit (die uns im Übrigen jetzt dazu zwingt, die städtischen Wohnungsbestände durch Neubau und Ankauf wieder zu erhöhen). Bei der Vertragsgestaltung wurde immer auf umfangreiche und strenge Regeln für den Mieterschutz geachtet. Allerdings schützen diese Verträge in der Regel nur die Altmieter und leider oft auch nur die Mieterinnen und Mieter, die sich zu wehren wissen, wenn der gewinnorientierte Eigentümer versucht, die Bestimmungen des Kaufvertrags zu umgehen. Das tun aber natürlich nicht alle.
8. Das bezahlbare Wohnen ist ein Teil der Daseinsvorsorge, den die SPD, wenn es in ihrer Macht steht, nicht "zunehmend dem Freien Markt" überlassen wird. Zurzeit sind wir allerdings im Bund nicht an der Macht -- und dort spielt mietenpolitisch die Musik. Wer ein anderes Mietrecht will, das die Marktkräfte bändigt, muss bei der Bundestagswahl am 22. September SPD wählen. Und wer will, dass in Berlin mehr bezahlbarer Wohnraum im Besitz der Öffentlichen Hand entsteht, muss die Berliner SPD, ihre Abgeordneten und Senatoren stärken.
9. Meine Vision einer lebenswerten Stadt habe ich in Antwort 6 bereits skizziert. Neben den Annehmlichkeiten einer gepflegten und sicheren Umgebung mit Arbeits- und Erholungsqualität, mit Raum für Bildung, Sport und Kultur gehört dazu eine gute soziale Mischung aller Schichten, Altersgruppen und Ethnien. Wie ich das erreichen möchte ist das Thema fast aller Antworten, die ich hier gebe.
10. Ja. Aber genossenschaftliche Wohnmodelle können nicht die einzige Lösung sein (s.Antwort 5). Landeseigene und private Wohnungen gehören dazu.
11. Nein. Wie ich hier bereits umfangreich dargelegt habe, muss sich vieles ändern. Der Interessenkonflikt zwischen Vermietern und Mietern ist zwar im Prinzip unvermeidlich. Die einen wollen gerne viel einnehmen, die anderen gerne wenig bezahlen. Aber der Konflikt ist kontrollierbar und kann in einen Ausgleich münden, mit dem beide Seiten hochzufrieden sind. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass Politik sich um das Thema kümmert und im Zweifelsfall Partei für die schwächere Seite ergreift -- also die Mieterinnen und Mieter. Dafür steht die Mieterpartei SPD und dafür stehe ich auch ganz persönlich.
12. Das wird er, ständig und immer wieder. Wenn Sie mehr darüber wissen möchten, sehen Sie sich doch einmal den Dokumentationsteil auf www.spd-berlin.de an -- oder machen Sie einfach bei uns mit. In der Berliner SPD werden Sie viele Möglichkeiten entdecken, sich für das Politikfeld Mieten und Wohnen zu engagieren.
Mit freundlichem Gruß
Ihr Fritz Felgentreu