Wie stehen Sie zum Ukrainekrieg und dem Konflikt Israel und Hamas?

Hallo Herr M.,
danke für Ihre Frage, zu der ich mich gern näher auslassen werde.
Vorweg: Ich bin keine geostrategische Expertin - und schreibe bewusst aus einer nicht/anti- "geostrategischen" Perspektive.
Ich stehe in erster Linie persönlich auf keiner "Staatenseite", sondern konsequent auf der Seite der Menschen, die den Irrsinn und die Gewaltspiralen selber nicht (mehr) mitmachen wollen - egal ob diese Menschen Israelis, Ukrainer, Palästinenser, Russen, Deutsche etc. sind. v.a. mit Desertierenden aller Länder fühle ich eine prinzipielle Verbundenheit - ebenso mit Fliehenden, die sich nicht für den Irrsinn, den andere angezettelt haben, verheizen lassen oder an den Folgen zugrunde richten lassen wollen.
Was aus Sicht einer (traumatisierten oder in ihrem Existenzrecht schwer erschütterten) Einzelperson als individueller Rachefeldzug nachvollziehbar (wenn auch nicht gut zu heißen) scheint, ist aber aus einer Staatsperspektive, die Allgemeingültigkeitsanspruch erhebt, nicht in Ordnung: Ein Staat wird entgegen der Vielfalt seiner "Insassen" zu einem "Korpus" und die Bevölkerungen zu Schachfiguren derer, die nach Schachspielregeln (im übertragenen Sinne) die Menschlichkeit völlig vergessenden Taktikregeln entscheiden. Ich möchte niemanden als Machthaber*in über mich, der in solcher Schachspiel- oder Spielfigurenmanier über mich und meine wie auch immer gefasste "Gruppe" denkt und urteilt und sollte mir das als Politikerin auch nicht anmaßen!
Daher im Folgenden zwei Teilantworten:
a) was ich - sofern ich eine Repräsentantin wäre - anstreben würde im Falle einer (neuerlichen) Entscheidung zu einer Kriegsbeteiligung (durch Waffenlieferungen)
und b) was ich als "Bürgerin der Bevölkerung" als "persönliche Meinung habe".
Also hier:
a) bei einem äußeren Drängen auf Kriegsbeteiligung allgemein:
Ich kann zwar als zu 99% Steinzeitmensch verstehen, dass Menschen ihre Wut und Solidarität in einem aufgeschaukelten Konflikt ggf. einseitig parteiisch/betroffen ausdrücken. Doch gerade weil es darüber so krass unterschiedliche Befinden innerhalb der Bevölkerung eines/dieses Landes gibt und weil es vom (vermeintlichen) Vernunfthochsitz aus keinen "großen Phaser auf Betäubung für alle" gibt, um ein Kriegsgeschehen einzufrieren und aufzulösen, jedes Eingreifen hier oder da einen Brandherd eskalieren statt befrieden kann, darf Steuergeld dafür nicht so eben hergegeben werden - zumindest nicht ohne dies:
- Ausschöpfen aller Kanäle, die gewaltsame Eskalationen verhindern oder aufbrechen, inkl. "sozialer Verteidigung" (bisher nicht geschehen)
- Bereitschaft derjenigen, die für Kriegsbeteiligungen stimmen, selber in den Krieg zu ziehen (bisher nicht geschehen).
- Volksentscheid, lieber einmal zu oft und einmal mehr wiederholt als einmal zu wenig, v.a. wo eindeutig Dissens im Bundestag und in der Bevölkerung herrscht (bisher nicht geschehen - ich hätte nur eine Stimme genau wie Sie/Du. Vielfältige Expert*innen würden über die Hintergründe aufklären - nicht jemand wie ich überzeugen oder abschrecken mit "seiner Meinung".)
b) persönliche Ansichten, zu denen mich Ihre Frage führt:
Ich bin der Einstellung nach antimilitaristisch - erwarte aber von keinem Menschen als Individuum einen "jesushaften Pazifismus". Wie jemand mit einem einen selber betreffenden oder unmittelbar triggernden Konflikt umgeht, ist ein höchst individueller Prozess und kein Staat hat das Recht, dem vorzugreifen!
Es gibt viele Konflikte auf der Welt und millionenfach schweres Unrecht, das aber meist nur dann, wenn es "organisiert" in Uniformen passiert, lähmende Betrachtung findet.
Kriege machen es einfach, den anderen als Teil eines feindlichen Körpers und nicht mehr individuell zu betrachten.
Wir neigen dann zu verkürzten Fragen wie "Ukraine gegen Russland" statt "welche Gruppe kämpft hier eigentlich gegen wen?" Eine Betrachtung senkrecht zur "Staatsparteienlogik" lohnt!
So sehr ich einzelne Akteur*innen aus ihrer jeweiligen Perspektive verstehen kann, die in ihrer Wut oder Verzweiflung oder ihrem (angetriggerten oder verführten) Solidargefühl zu den Waffen greifen, so sehr sehe ich mich in der Verantwortung, kein Öl ins Feuer zu kippen.
Als Individuelle-Grundrechte-Vertreterin sehe ich in Kriegen v.a. Geiseldramen - also Aggressionen zu Lasten Dritter. Geiseldramen fallen in den Bereich Strafrecht. Ich fände korrekt, kriegsauslösende Vorfälle würden konsequent in dem Rechtskreis so behandelt. Also strafrechtlich-ermittlerisch und situativ-begrenzend statt im "Rachemodus". Wenn z.B. Leute bei einem Festival brutal überfallen werden, wird man also die Täter*innen verfolgen, nicht aber deren Kinder und Nachbarn mit Raketen beschießen - dito umgekehrt werden keine Hausenteignungen, Landnahmen usw. rückabgewickelt, wenn Menschen gekidnappt oder beschossen werden.
Was macht "der weiße Ring" im Opferschutz? Nun, sehr vieles! jedoch verteilt er keine Messer, damit man sich am Peiniger rächen oder ihn effektiv aus seinem Haus jagen kann!
Auch wenn nachzuvollziehen ist, dass Menschen ihr Haus nicht aufgeben wollen, wenn andere daherkommen und darauf schießen: wie würde aus Katastrophenschutz- und Strafrechtlicher Sicht damit verfahren werden? Wegen ""Haus besetzt" durfte keine Bombardierung stattfinden" - das funktioniert wenn dann wohl nur in einem "Millieu der sozialen Verteidigung" niemals im Kriegsrecht, wo sich Länderführungseliten gegenseitig den Krieg erklärt haben...
Von (Gruppen)psychologischen Prozessen im Vorfeld noch einmal abgesehen, die natürlich schon viel früher beginnen müssen, wenn sich Konflikte häufen oder chronifizieren... so dass gruppentherapeuthisch bzw. präventiv an friedlichen Alternativen gearbeitet werden könnte... lief mal ganz gut z.B. bei "Dancing in Jaffa" 2014...
Ich sehe in Kriegen organisiertes Unrecht - oft missbräuchlich aufgebaut auf dem Leidensdruck oder dem Befreiungswunsch einer Bevölkerung oder Gruppe gegen eine andere. Wäre es kein Missbrauch, wären die Kriegsbeteiligten alle freiwillig im Kriegsgeschehen, um sich momentan gewaltsam auszudrücken - und es hätte jeder und jede jederzeit das Recht und die reale Möglichkeit, aus dem Kriegsgeschehen auszusteigen.
Hätten die Individuen alle diese Möglichkeit, allein schon durch real praktikable Streiks im Falle einer Besatzung, müsste und würde auf sämtliche zwischenmenschlichen Kanäle gesetzt anstatt auf Führungsfiguren und deren Schachspiellogik.
Eine komplette Hierarchieumkehr wäre vermutlich befriedend im Sinne:
"Würde an der Front geredet, bräuchte es oben keine Diplomaten". In dem Sinne sehe ich auch die Bevölkerungen in der Pflicht, sich nicht dafür herzugeben. Macht setzt sich nicht von allein durch - nur durch das Wechselspiel, dass es "unten" welche gibt, die Befehle ausführen oder sich vor den Karren spannen lassen.
Allein wegen die Diskrepanz von Kriegsrecht zum individuellen Menschenrecht kann ich keine Gesetzeslage in Deutschland oder anderswo unterstützen, die Menschen per Gesetz oder Dekret zum Kriegsdienst verpflichtet. Ich unterschreibe dazu als Bürgerin sämtliche mir über den Weg laufende Petitionen...
Es gab mal von einem früheren Bundestagsbewerber eine Empfehlung für ein weltweites Kriegswaffenproduktionsverbot - das ist ein guter Ansatz - erfordert natürlich ein Bündnis "vorbei" an vielen (derzeitigen) Führungs"riegen", die noch immer, wenn auch oft "nur" als "ultima ratio", auf die Durchschlagskraft ihres militärischen Geräts setzen.
NGOs wie Friedensbewegungen sprechen mir aus dem Herzen, wenn sie z.B. "Rheinmetall entwaffnen" wollen. Diese sollten wegen meiner auch in den USA, dem Iran, Russland etc. pp. gestärkt werden.
Zudem hat sich in der Vergangenheit die sog. schon unter a) erwähnte "Soziale Verteidigung" als effizienter gegen aufgenötigte Regime oder aufgenötigte Herrschaftsformen erwiesen als die militärische.
Dazu empfehle ich die Lektüre vom "Bunde für soziale Verteidigung".
Es gab mal eine Demo "Weder Putin noch die Nato" - das sprach mir ebenfalls aus dem Herzen.
Am Fall Ukraine sehe ich u.a. folgendes: Putin ist zwar der meistgehasste Kriegstreiber, andererseits der beste "Kassenknüller", den die NATO kriegen konnte. Hätten wir überall auf der Welt in ihren INDIVIDUELLEN GRUNDRECHTEN wirtschaftlich abgesicherte Menschen, würden sich ganz andere Fragen zum Umgang mit Ressourcen, Kulturgut, Fairness etc. untereinander stellen! Denn wer "ginge dann noch in den Krieg"?
Zudem kann man (nicht nur, aber exemplarisch) am Fall Putin gut beobachten, wie er seine Identität als Fehlidentität über "ein Land" ausdehnt und wie das kollektiv mitgetragen wird - ein psychodrama das niemandem hilft - außer der Waffenindustrie "hüben wie drüben"... und dass jetzt leider auch viele, die zuvor westliche Militärgewalt und deren Irrsinn anprangerten, diese berechtigen oder deren (frühere) Verbrechen relativieren (angesichts der Bedrohung jetzt).
Man stelle sich einmal vor, Putin hätte damals statt eines Überfalls einfach dem Westen, aka auch "uns hier" das Gas abgedreht... wer weiß, vielleicht wäre er heute sogar "Klimaheld" für so einen Denkzettel?
Sollte ich Mitspracherecht und Gehör im Bundestag erlangen, kann ich hier für einen Rückzug der NATO werben, bräuchte aber in Russland Verbündete, die es umgekehrt bei sich genauso machen.
Wenn Sie da einen Draht haben: ich würde alle Drähte nutzen, die gewaltfreies Entmachten von Kriegstreibern befördern.
Zudem bin ich für eine außenpolitische Position, den "Lügenboykott", der die Möglichkeiten, sich militärisch zu ergeben, nicht mehr wie üblich gleichsetzt mit einem sich "inhaltlich" ergeben oder gar "wirksam" zu etwas zuzustimmen. Jede Kriegspartei - v.a. Angegriffene, aber auch Aggressoren - können ihr Scheitern zum Schutz der betroffenen Geiseln erklären, ohne zivilrechtlich ihre Interessen automatisch aufzugeben! Unter Folter erpresste Geständnisse sind ungültig, wenn man sie später anschaut - ebenso sollte mit "per Kriegsgewalt ausgelöster Kapitulation" verfahren werden! Es ist sittenwidrig, wenn Verträge (zudem oft zu Lasten Dritter) mit Waffengewalt unterzeichnet werden! Warum gilt das nicht schon lange auch bei Kriegsparteien?
Das alles als ein paar Ansätze meiner vielleicht etwas exotisch anmutenden (?) Sicht, die ich nicht mit Absolutheit anderen überhelfen will, die aber einige meiner Gedanken zu Kriegen ausdrücken sollen. Ich bin der Ansicht, dass weltweites BGE viele Kriege verhindert - weil im Idealfall "einfach keiner hinginge" ergo auch keiner gezwungen wäre, sein eigenes Haus zu verteidigen. Der "heilige Krieg" ist die "heilige (innere) Anstrengung".