Frage an Franz Rieger von Katharina K. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrter Herr Dr.Rieger,
die Regresse für Ärzte sind nicht nur wirtschaftlich unsinnig, sondern führen dazu, daß Patienten nicht mehr die benötigte Versorgung erhalten. Wissen Sie, ob auf Bundesebene schon eine Gesetzesänderung vorbereitet ist? Ihr Kollege Michael Meister hat sich schon dafür ausgesprochen. Was meinen Sie dazu? Sollte eine Gesetzesänderung auf jeden Fall realisiert werden?
Mit freundlichen Grüssen
K.Kapera-Krüger (nachdenkliche Ergotherapeutin)
Sehr geehrte Frau Kapera-Krüger,
das große Kunststück, das die Gesundheitspolitik vollbringen muss, ist, eine gute medizinische Versorgung zu bezahlbaren Preisen für alle zu realisieren. Auch wenn es sicherlich betrüblich ist, dass man auch medizinische Behandlungen dem Wirtschaftlichkeitsgebot unterwerfen muss, ist dies angesichts der begrenzten Mittel unabänderlich – kein Bürger möchte Beitragssätze zur gesetzlichen Krankenversicherung von 20 % zahlen.
Wirtschaftlichkeit bei Arzneimitteln heißt nun nicht, Menschen eine medizinisch notwendige Medikamentation vorzuenthalten, sondern stets sorgfältig zu prüfen,
- ob eine Leistung medizinisch notwendig ist,
- ob das Medikament auch zum Erreichen des Behandlungsziels geeignet ist und
- ob es nicht auch gleichermaßen geeignete, aber kostengünstigere Medikamente
gibt (sog. aut-idem-Medikamente).
Ich denke, gegen eine solche Überprüfung kann kein vernünftiger Patient etwas haben.
Das für die gesetzliche Krankenversicherung insgesamt geltende Wirtschaftlichkeitsgebot konkretisiert sich in Normen über Wirtschaftlichkeitsprüfungen. Im Mittelpunkt der vertragsärztlichen Wirtschaftlichkeitsprüfung steht die Prüfung veranlasster Leistungen. An erster Stelle betrifft das die Verordnung von Arzneimitteln. Gerade im Arzneimittelbereich waren in den letzten Jahren Kostenexplosionen zu verzeichnen, die sich weder im Hinblick auf die gestiegene Behandlungsbedürftigkeit der Patienten noch mit dem medizinischen Fortschritt erklären ließen. Der ökonomischen Bedeutung der Arzneimittelverordnungskosten entsprechend hat der Gesetzgeber eine Vielzahl von Instrumenten in das Vertragsarztrecht implementiert, um den Einsatz von Arzneimitteln möglichst effektiv und kostengünstig zu gestalten. Dazu gehört vor allem die Prüfung nach Richtgrößen (§ 106 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch - SGB V). Die Partner des Gesamtvertrags, also die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns und die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen gemeinsam, vereinbaren das Ausgabevolumen für Arzneimittel für einen bestimmten Zeitraum. Als Bestandteil dieser allgemeinen Vereinbarung sind Durchschnittskosten für verordnungsstarke Anwendungsgebiete zu vereinbaren, die je „definierter Dosiseinheit“ festgesetzt werden. Überschreitet das Verordnungsvolumen eines Arztes in einem Kalenderjahr die für ihn vereinbarte Richtgröße um mehr als 15 vom Hundert, ist nach § 106 Abs. 5a Satz 1 SGB V eine Beratung durchzuführen, es sei denn, die Prüfstelle muss aufgrund der vorliegenden Daten davon ausgehen, dass die Überschreitung in vollem Umfang durch Praxisbesonderheiten begründet ist (Vorab-Prüfung). Bei einer Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 vom Hundert hat der Vertragsarzt nach Feststellung durch die Prüfstelle den sich daraus ergebenden Mehraufwand den Krankenkassen zu erstatten, soweit dieser nicht durch Praxisbesonderheiten begründet ist (§ 106 Abs. 5a Satz 3 SGB V). Das Verfahren führen die paritätisch mit Vertretern der Krankenkassen und Ärzten besetzten Prüfgremien durch. Selbstverständlich steht dem Arzt auch der Weg zu den Sozialgerichten offen.
Ich habe Ihnen den Weg bis zur Erhebung einer Regressforderung deswegen ausführlicher geschildert, weil ich Ihr Verständnis dafür wecken möchte, dass die Regressforderungen durchaus nicht vorschnell, sondern in einem sehr sorgfältigen Prüfprozess erhoben werden bzw. qua Gesetzesgebot erhoben werden müssen. Weil wir aber wissen, dass die Ärzteschaft Wirtschaftlichkeitsprüfungen als bedrohlich empfindet, haben wir bei der Erarbeitung des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz - GKV-WSG) auf eine Verfahrensbeschleunigung gedrungen. Nunmehr muss ein Verordnungsregress innerhalb von zwei Jahren nach Ablauf des geprüften Verordnungszeitraums erfolgen. Es handelt sich hier um eine Ausschlussfrist, d. h. dass der die Prüfung der Verordnungsweise des Arztes abschließende Bescheid der Prüfstelle innerhalb dieser Frist dem Arzt bekannt gegeben sein muss; geschieht das nicht, kann kein Regress mehr festgesetzt werden. Ich denke, diese Änderung trägt erheblich zur Rechtssicherheit für den niedergelassenen Arzt bei. Darüber hinaus haben wir durchgesetzt, dass Prüfverfahren gestrafft und auf einschlägige Fälle von Ressourcenverschwendung konzentriert werden.
Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, dass nur knapp 10 Prozent der niedergelassenen Ärzte in Bayern einem Verordnungsregress unterzogen wurden. Davon konnte sich wiederum eine Reihe von Vertragsärzten über das Argument „Praxisbesonderheiten“ exkulpieren. Anders gewendet: Über 90 Prozent aller Vertragsärzte in Bayern kommen mit den gegebenen Verhältnissen im Arzneimittelbereich zurecht. Ihrer Ansicht, Wirtschaftlichkeitsprüfungen seien unsinnig und würden letztlich dazu führen, dass die Patienten nicht mehr die benötigte Versorgung erhalten, kann ich daher nicht beipflichten. Vielmehr muss ich Sie um Verständnis dafür bitten, dass in einem Kollektivvertragssystem, wie wir es in Deutschland haben, auf Wirtschaftlichkeitsprüfungen nicht verzichtet werden kann.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Franz Rieger