Frage an Florian Toncar von Sven T. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Toncar,
ich möchte mich auch zur Internetzensur melden.
Im Internet gibt es einen kritischen Artikel zur Internetzensur ( http://www.heise.de/ct/Die-Argumente-fuer-Kinderporno-Sperren-laufen-ins-Leere--/artikel/135867 ) mit folgenden Argumenten:
* Da die Liste Links auf verbotene Seiten enthält muss sie geheim bleiben. Die Rechtmäßigkeit der Sperren kann nicht überprüft werden.
* Als Hauptargument für die Sperre wird die Steigerungsrate dieser Taten genannt. Diese beruht auf eine falsche Interpretation einer BKA-Statistik.
* Kommerzieller Handel von Kinderpornografie über das Internet ist sehr selten. Meist wird auf dem Postweg beliefert. Eine Bezahlung ist unüblich.
* Nach einer Schätzung sind 98% der Fotos und Videos seit mehr als 10 Jahren im Umlauf. Neueres Material scheine aus privatem Umfeld zu sein. -> Es gibt keine Kinderpornoindustrie.
* Youtube-Videos zeigen, dass die Sperre in 27 Sekunden kinderleicht umgangen werden kann.
* Es gibt keine belastbaren Zahlen zur Erfolgsquote aus den skandinavischen Ländern. Mit Bedauern gibt der Chef der Polizeiermittlungsgruppe zu, dass die Sperrmaßnahmen nicht zur Verminderung beigetragen haben.
* Solche Seiten könnten leicht per Aufforderung an die Provider gelöscht werden.
* Bei Verwendung von Filterlisten statt löschen: "So sind die Inhalte für den unbedarften Teil der Bevölkerung vielleicht nicht mehr sichtbar, aber für die Pädokriminellen umso besser und länger." -> Problem wird nur verdeckt
* Gesetz verfassungswidrig (Einschränkung Grundrechte)
* Keine richterliche Prüfung der Liste. BKA erstellt Liste allein.
* Strafbarkeit für User bereits, wenn nicht nachgewiesen werden kann, dass es sich um Versehen oder autom. Weiterleitung gehandelt hat. --> widerspricht Unschuldsvermutung
* Geschlossene Kritik von IT-Experten
* Bundesverbands Musikindustrie will Liste bereits ergänzen (UrhG-Verletz.)
Ich würde gerne von Ihnen wissen, ob Sie jetzt nach Kenntnis dieser Argumente immer noch für diese Sperre sind?
MfG
Sven Thorn
Sehr geehrter Herr Thorn,
vielen Dank für Ihre E-Mail vom 23. April 2009 zu den neuen Maßnahmen der Bundesregierung zur Bekämpfung der Kinderpornographie. Im Lichte der von der Bundesregierung avisierten Änderung des Telemediengesetzes ergibt aus meiner Perspektive folgendes Bild.
Kinderpornographie muss effektiv bekämpft werden. Kinderpornographie, bei der der Missbrauch von Kindern in Bild oder Film wiedergegeben wird, ist ein widerliches und schreckliches Verbrechen, denn der vorangegangene Missbrauch hinterlässt unheilbare Wunden an Seele und Körper der missbrauchten Kinder.
Notwendig ist die konsequente Verfolgung von Kindesmissbrauch und Kinderpornographie. Die Erfolge der Ermittlungsbehörden in Bund und Ländern in diesem Bereich müssen fortgesetzt werden. Insbesondere ist für ausreichende personelle und sächliche Mittel, gerade bei der IT-Ausstattung, bei Polizei und Staatsanwaltschaften, die richtigerweise sehr sensibel auf Anzeigen und Erkenntnisse in diesem Bereich reagieren, zu sorgen. Zudem muss die Prävention des Kindesmissbrauchs verbessert werden. Hier sind Eltern, Schulen, Kindergärten, Ärzte und Jugendämter ebenso gefordert wie die Gesellschaft insgesamt. Eine Kultur des Wegschauens darf es nicht geben, sondern jeder, der Hinweise auf Kindesmissbrauch hat, muss ermutigt werden, dies auch regelmäßig zur Anzeige zu bringen.
Den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Telemediengesetzes, nach dem die Zugangsprovider dazu verpflichtet werden sollen, Internetseiten nach Vorgabe einer Sperrliste des Bundeskriminalamts durch Umleitung auf eine Stopp-Seite zu sperren, lehne ich ab.
Das Internet ist kein rechtsfreier Raum. Straftaten, die im oder mittels des Internets begangen werden, müssen konsequent verfolgt werden. Zugleich müssen sich staatliche Maßnahmen an den geltenden rechtsstaatlichen Vorgaben messen lassen.
Schon die Gesetzgebungskompetenz des Bundes im Bereich der Gefahrenabwehr bei der Verbreitung von Kinderpornographie ist zweifelhaft. Gefahrenabwehr obliegt den Ländern, die in diesem Bereich hervorragende Arbeit leisten. Auch die Regulierung von Medieninhalten liegt in der Zuständigkeit der Länder, wohingegen der Bund nur für die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen von Telemedien zuständig ist. Insoweit stellt sich die Frage, ob der von der Bundesregierung eingebrachte Gesetzentwurf verfassungsgemäß ist.
Der Gesetzentwurf wirft darüber hinaus verfassungsrechtliche Fragen hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit auf. Von den geplanten Sperrungen können auch legale Internetseiten erfasst sein, wie die Bundesregierung selbst darlegt. Daher muss sehr sorgfältig geprüft werden, ob die vorgeschlagene Maßnahme verhältnismäßig ist. Betroffen von der Sperrung von Internetseiten sind die Telekommunikationsfreiheit, die Informations- und Meinungsfreiheit sowie die allgemeine Handlungsfreiheit. Selbstverständlich schützen die Grundrechte nicht rechtswidriges Verhalten. Das Verbreiten und das Sich-Beschaffen wie auch schon der Besitz von Kinderpornographie sind strafbar.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass mit den geplanten Sperrungen durch die Manipulation in den sog. Domain-Name-Servern (DNS), die dazu dienen, eine vom Nutzer eingegebene Internetadresse in die zugehörigen numerischen IP-Adressen aufzulösen, die gesperrten Seiten nach wie vor zugänglich sind, wenn z.B. ein anderer DNS verwendet oder aber die IP-Adresse direkt eingegeben wird. Wenngleich die Umgehbarkeit die Geeignetheit nicht grundsätzlich in Abrede stellt, muss jedoch bedacht werden, dass die Nutzung anderer DNS, z.B. einer Universität, gang und gäbe ist und so eine nicht unerhebliche Zahl der Nutzer gar nicht erfasst wird. Ebenfalls nicht erfasst werden sog. Peer-to-Peer-Netzwerke, da diese nicht in den Domain-Name-Servern verzeichnet sind. Insoweit wird ein für die Begehung von Straftaten im Bereich der Kinderpornographie wesentlicher Verbreitungsweg schon von vornherein nicht erfasst. Schließlich wechseln die Server nach Angabe des BKA häufig, teilweise nach nur wenigen Stunden. Sperrlisten, die binnen sechs Stunden wirksam werden müssen, verfehlen dann aber ihr Ziel.
Von der Bundesregierung wird vorgetragen, dass die Maßnahme aber deshalb erforderlich sei, weil ein strafrechtliches Vorgehen gegen die Betreiber ausländischer Server schwierig bis unmöglich sei. Nach Erkenntnissen aus anderen Ländern befindet sich die weit überwiegende Zahl der Server in den Vereinigten Staaten, die übrigen sogar vielfach in Europa. Hier ist Rechtshilfe regelmäßig möglich und auch Erfolg versprechend.
Meine Fraktionskollegen und ich haben das Vorgehen der Bundesregierung kritisiert, die Provider durch Verträge mit dem BKA zu Sperrungen zu verpflichten, da Grundrechtseingriffe stets einer gesetzlichen Grundlage bedürfen. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung wird aber unter keinem Gesichtspunkt den Anforderungen an eine verfassungsmäßige Rechtsgrundlage gerecht. So fehlen in dem Gesetzentwurf Vorgaben für ein rechtsstaatliches Verfahren oder für klare Haftungsregelungen der Provider. Auch die Ausweitung der Befugnisse des BKA im Bereich der Gefahrenabwehr ist abzulehnen.
Wir Liberale werden das nun anstehende parlamentarische Verfahren dazu nutzen, unsere Bedenken sachlich und kritisch vorzutragen, um eine ernsthafte Debatte anzustoßen. Es verbietet sich nach meiner Ansicht, das Thema in die eine oder andere Richtung zu instrumentalisieren.
Mit freundlichen Grüßen,
Florian Toncar