Frage an Florian Toncar von Karen E. bezüglich Frauen
Sehr geehrter Herr Toncar,
ich engagiere ich mich seit einigen Jahren stark zum Thema Prostitution.
Meine Frage an Sie, die ich auch allen KandidatInnen stellen werde, und die für mich in der Tat stark wahlentscheidend sein wird:
Das Europaparlament hat 2014 auf Initiative der Abgeordneten Mary Honeyball eine Resolution verabschiedet, die allen Mitgliedsstaaten die Übernahme des sogenannten Nordischen Modells empfiehlt (Kriminalisierung der Freier und Profiteure, Entkriminalisierung der prostituierten Personen, individuelle Ausstiegshilfen, antisexistische Erziehung, Öffentlichkeitskampagnen, ...) Im Gesetzgebungsprozess wurde dieser Politikansatz nicht berücksichtigt, ExpertInnen nicht angehört. Das neue Gesetz sieht nun eine Evaluation nach drei Jahren vor.
Können die VertreterInnen des Nordischen Modells in Deutschland, sollten Sie MdB werden, mit Ihrer Unterstützung rechnen? Dies meint konkret: Anhörung von Prostitutionsüberlebenden, NGOs die sich für das Nordische Modell einsetzen, ExpertInnen aus den Ländern, die hier führend sind, wie sich das in einem demokratischen Meinungsfindungsprozess gehört.
Unabhängig davon würde mich Ihre persönliche Positionierung zur Thematik interessieren.
Vielen Dank im Voraus
K. E.
Sehr geehrte Frau E.,
Vielen Dank für Ihre Frage. Für mich ist es eine Selbstverständlichkeit, dass in einem Gesetzgebungsverfahren alle Sichtweisen zu Wort kommen und alle Argumente einbezogen werden. Das würde auch für eine Anhörung zu der Frage gelten, wie in Deutschland mit Prostitution umgegangen werden soll.
In der Sache bin ich gegen die Schaffung neuer Strafvorschriften und für eine konsequente Durchsetzung des geltenden Rechts. Strafrecht darf aus rechtsstaatlichen Gründen nur ultima ratio sein, um konkrete Rechtsgüter zu schützen. Es findet daher dort seine Grenze, wo einwilligungsfähige Menschen aufgrund eigener Entscheidungen ohne äußeren Druck handeln – und nur unter diesen Voraussetzungen ist das Aufsuchen einer Prostituierten in Deutschland heute rechtlich zulässig. Alle anderen Fälle - Menschenhandel, insbesondere wenn er zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung des Opfers begangen wird, Zwangsprostitution, sexueller Missbrauch und Vergewaltigung, Zuhälterei und sexuelle Ausbeutung - sind schwere, menschenverachtende Straftaten, durch die das Selbstbestimmungsrecht des Opfers verletzt wird und bei denen der Staat daher strafrechtlich eingreifen muss. Auch ein Freier, der sexuellen Verkehr mit minderjährigen Prostituierten hat oder der eine Prostituierte sexuell missbraucht oder vergewaltigt, begeht nach geltendem Recht eine schwere Straftat, und das Aufsuchen einer Prostituierten in Kenntnis ihrer Zwangslage bzw. Ausbeutung kann aus Sicht des Freiers strafbare Beihilfe zu Straftaten Dritter, etwa eines Zuhälters, darstellen. Solcherlei Kriminalität aufzudecken und rigoros zu verfolgen halte ich für dringend geboten. Dazu bedarf es ausreichender Ressourcen in Polizei und Justiz, eines wirksamen Zeugenschutzes, der für die Opfer dieser Straftaten die Hemmschwelle absenkt, eine Anzeige zu erstatten sowie geeigneter Konzepte zur Integration von früheren Prostituierten in die Gesellschaft und den Arbeitsmarkt. Auch die auf diese Straftaten anzuwendenden Strafrahmen erscheinen mir in einigen Fällen als zu niedrig (beispielsweise in § 232 Abs. 1 StGB für Menschenhandel oder in § 180a StGB für die Ausbeutung von Prostituierten).
Mit besten Grüßen
Florian Toncar