Frage an Florian Toncar von Jan M. bezüglich Finanzen
Sehr geehrter Herr Toncar,
in Ihrer Antwort an die deutschen Mittelstands Nachrichten zum Thema ESM schreiben Sie : "der Europäische Stabilitätsmechanismus mit einem strengen Parlamentsvorbehalt ausgestattet wird, der das Haushaltsrecht des Bundestages schützt" quelle: http://www.deutsche-mittelstands-nachrichten.de/2012/03/39893/
Wie ist dies möglich wenn ein Land unwideruflich zur Zahlung innerhalb von 7 Tagen verpflichtet ist bei Abruf durch den ESM ?
Wie sehen Sie das Thema, das den Mitgliedern des Gouverneursrates lebenslange Immunität gewährt wird, oder das der ESM zwar Klagen kann jedoch Immunität gegenüber allen genießen soll ?
Können Sie wirklich so ein Konstrukt kontrollieren ?
Viele Grüße
Jan Mißbach
Sehr geehrter Herr Mißbach,
vielen Dank für Ihre Anfrage vom 15. März 2012 über Abgeordnetenwatch zu meinen Äußerungen in den Deutschen Mittelstands Nachrichten zum Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM). Gerne gehe ich ausführlich auf Ihre Befürchtungen, Deutschland drohe ein Souveränitätsverlust, ein.
Der im ESM-Vertragsentwurf angeführte Passus im Artikel 9 Absatz 3 „Die ESM-Mitglieder verpflichten sich unwiderruflich und uneingeschränkt, Kapital, das der Geschäftsführende Direktor gemäß diesem Absatz von ihnen abruft, innerhalb von sieben Tagen ab Erhalt der Aufforderung einzuzahlen“, bezieht sich nur auf genehmigtes Kapital, welches durch den Deutschen Bundestag vorher zugesagt wurde. Diese Zusage, wie viel Geld in den gemeinsamen Topf gelegt wird, muss am Anfang des ESM verbindlich und unwiderruflich festgelegt werden.
Für unser Haushaltsrisiko ist aber allein entscheidend, welche Mittel aus dem gemeinsamen Topf entnommen und ausgeliehen werden. Hier ist im ESM-Vertrag umfassend Vorsorge getroffen: Der Gouverneursrat ist kein unabhängiges Gremium, welches autonome Entscheidungen über europäische Steuergelder treffen kann, sondern besteht aus den Finanzministern des Euro-Währungsgebiets, die gewählte Regierungen der Eurostaaten repräsentieren und ihren Parlamenten verantwortlich sind. Alle wesentlichen Entscheidungen, insbesondere die Gewährung von Finanzhilfen, werden somit durch die Finanzminister des Euro-Währungsgebiets getroffen. Deutschland hat dabei jederzeit ein Vetorecht. Zusätzlich erhält der Deutsche Bundestag im ESM einen umfassenden, europaweit einzigartigen Parlamentsvorbehalt, der sämtliche maßgebliche, die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Bundestages berührende, Entscheidungen von einer vorherigen Zustimmung des Bundestages abhängig macht. Stimmt der Deutsche Bundestag einem Hilfsprogramm nicht zu, so muss auch der deutsche Vertreter im ESM mit Nein stimmen und das Hilfsprogramm kommt nicht zustande. Das Geld bleibt dann im Topf. Deshalb ist es schlicht falsch, dass der ESM-Vertrag die Haushaltssouveränität des Deutschen Bundestages aushebelt.
Bei den Immunitäten des ESM handelt es sich um bei internationalen Finanzinstitutionen übliche Regelungen. Die Tätigkeit des ESM beinhaltet, so z.B. bei der Privatsektorbeteiligung, äußerst komplexe rechtliche Vorgänge, welche regelmäßig mit erheblichen Risiken behaftet sind. In der Regel handelt es sich um Immunitäten im Zusammenhang mit der Tätigkeit der Organisation. Handlungen der Bediensteten sind folglich nur dann geschützt, wenn sie offizieller Natur sind. Allerdings sind für die Spitze der Organisationen, also z. B. den Präsidenten, teilweise weitergehende Immunitäten vorgesehen. Diese Immunitäten entsprechen den Immunitäten, die den Diplomaten im zwischenstaatlichen Verkehr zukommen. Der Gouverneursrat des ESM, in dem die Finanzminister der Mitgliedstaaten der Eurozone vertreten sind, bzw. der Geschäftsführende Direktor können die Immunität der Amtsträger und Bediensteten bei Bedarf aufheben. Vergleichbare Regelungen gelten u.a. für den Internationalen Währungsfonds (IWF), die Weltbank sowie regionale Entwicklungsbanken wie z.B. die Afrikanische Entwicklungsbank (AfDB) und die Asiatische Entwicklungsbank (ADB).
Artikel 25 des ESM-Vertrags wird zudem gewährleisten, dass eine externe Finanzkontrolle des ESM umgesetzt wird. Der Gouverneursrat, in dem die Bundesrepublik Deutschland durch den Bundesminister der Finanzen vertreten ist, ist für die Bestellung der externen Prüfer verantwortlich und wird Einzelheiten der externen Kontrolle festlegen. Die Mitglieder des Gouverneursrates werden dafür Sorge tragen – allen voran der deutsche Gouverneur – dass die externe Prüfung so unabhängig und strikt wie möglich und im Einklang mit der für uns so wichtigen finanzpolitischen Stabilitätskultur ausgestaltet sein wird.
In Art. 8 Abs. 5 ESM-Vertag ist klar geregelt, dass die Haftung eines Mitgliedstaates unter allen Umständen auf seinen Anteil am genehmigten Stammkapital beschränkt bleibt. Die FDP im Deutschen Bundestag wird verhindern, dass der ESM - wie von der Opposition gefordert - eine Banklizenz erhält. Wir werden nicht zulassen, dass diese Krise mit der Notenpresse bekämpft wird.
Staaten, die den Schutz des ESM in Anspruch nehmen wollen, müssen außerdem zwingend die Vorgaben des so genannten Fiskal-Vertrages umsetzen. Der Fiskal-Vertrag ist eine Verschärfung des Vertrages von Maastricht. Er sorgt für stärkere Durchgriffsrechte bei Nichteinhaltung der Vorgaben und sieht die Einführung von Schuldenbremsen nach deutschem Vorbild durch die anderen Euro-Staaten vor. Das ist aus unserer Sicht entscheidend für die Stabilisierung unserer Gemeinschaftswährung. Die FDP war 1997 die erste Partei, die sich für die Einführung einer Schuldenbremse in Deutschland eingesetzt hat. Heute gilt die Schuldenbremse in ganz Europa als unverzichtbar. Nachdem der alte Stabilitäts- und Wachstumspakt durch die rot-grüne Bundesregierung 2004 aufgrund eigener Disziplinlosigkeit seiner Wirkung vollkommen beraubt wurde, stehen wir nun vor einer völlig neuen Stabilitätsarchitektur in Europa.
Zukünftig dürfen die Euro-Staaten neue Schulden maximal in Höhe von 0,5 Prozent ihrer Wirtschaftskraft aufnehmen. Verstöße dagegen sollen fortan automatisch sanktioniert werden. Die Einführung strenger und effektiver Defizitvorgaben in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Eurozone sowie acht weiterer EU-Staaten wird durch ein Klagerecht vor dem Europäischen Gerichtshof gewährleistet. Auch dem Schuldenstandskriterium von 60 Prozent wird wieder zur Geltung verholfen, indem ein konkreter Fahrplan zu dessen Erreichung vereinbart wurde.
Für die FDP-Bundestagsfraktion ist das ein wichtiges Signal auf dem Weg hin zu einer soliden Haushaltsführung in den EU-Mitgliedsstaaten. Nur so können die tatsächlichen Ursachen der Staatsschuldenkrise wirksam bekämpft werden. Mit der flächendeckenden Einrichtung nationaler Schuldenbremsen in allen Mitgliedstaaten der Eurozone wird das Problem an der Wurzel gelöst und die Weiche zu dauerhaft tragfähigen Staatshaushalten gestellt.
Der Fiskal-Vertrag und der Europäische Stabilitätsmechanismus bilden zwei Seiten einer Medaille ab. Beide Verträge zusammen sollen sowohl kurzfristig, als auch langfristig zu finanzpolitischer Stabilität in der Eurozone führen. Der ESM dient dabei zur kurzfristigen Stabilisierung von in Not geratenen Staaten zur Bewahrung der Stabilität in der Eurozone insgesamt und der Fiskal-Vertrag soll gewährleisten, dass es in Zukunft nur noch tragfähige Staatshaushalte in der Eurozone und damit letztlich keine Notfälle für den ESM mehr geben wird.
Mit unserem Ansatz der vernetzten Stabilität in der Eurozone tragen wir den durch zu hohe Staatsverschuldung entstandenen Problemen in angemessener Weise Rechnung. Anders als SPD und Grüne gehen wir die Probleme nicht durch eine Vergemeinschaftung aller Schulden, also durch Einführung von Eurobonds, sondern durch die Beseitigung der Verschuldungsursachen an.
Mit freundlichen Grüßen
Florian Toncar, MdB