Frage an Florian Toncar von Tabea S. bezüglich Recht
Sehr geehrter Herr Toncar,
Sie sind Mitglied im Rechtsausschuss. Deshalb kennen sie natürlich einen der grunglegendsten Artikel unserer Verfassung:
Art.3, Abs.2 GG: NIEMAND darf aufgrund von Geschlecht, Herkunft,Religion etc. bevorzugt oder benachteiligt werden.
Meines Erachtens gibt es eine Reihe von Gesetzen, die sehr offensichtlich dagegen verstoßen:
1. NUR Männer sind wehrpflichtig, Frauen nicht.
2. Die Quotenregelung besagt, daß in öffentlichen Einrichtungen bei gleicher Qualifikation Frauen bevorzugt eingestellt werden dürfen. Sie gilt umgekehrt NICHT, z.B. in Kitas,Kindergärten und Grundschulen, wo oftmals mehr als 90% Frauen arbeiten.
3.Von der Wahl zur Gleichstellungsbeauftragten werden Männer ausgeschlossen, sie dürfen weder wählen noch gewählt werden.
Die Denkweise dahinter ist folgende: Weil vermutet wird (es bedarf keinerlei Nachweises!), daß eine Gruppe von Menschen (Frauen) allgemein, strukturell und scheinbar grundsätzlich benachteiligt wird, ist es legitim, Mitglieder der anderen Gruppe konkret, nachweislich und sogar per Gesetz zu benachteiligen. Rechtsstaatlich gesehen ein Unding: Bürgerrechte, Grundrechte, Menschenrechte gelten für jeden Einzelnen, siehe oben.: NIEMAND, keine einzige Person, darf bevorzugt oder benachteiligt werden.
Sie verstehen, welche zwei rechtsstaatlichen Probleme ich hier sehe?
1.VERMUTETE Diskriminierung einer Gruppe in der Vergangenheit darf in einem Rechtsstat nicht ausreichen, um in der Gegenwart NACHWEISLICH und absichtlich Mitglieder einer anderen Gruppe zu diskriminieren.
2. Die im Grundgesetz zugesicherten Grundrechte gelten nicht für Gruppen, sondern sie werden ausdrücklich jedem einzelnen Menschen zugebilligt: NIEMAND darf bevorzugt oder benachteiligt werden.
Ich weiß, daß es hierzu Gerichtsurteile gibt. Ich möchte Sie jedoch bitten, mir hier mit eigenen Worten zu erklären, ob und wie Sie die drei o.g. Gesetze mit dem Grundgesetz vereinbaren können.
Mit freundlichen Grüßen
Tabea Schüle
Sehr geehrte Frau Schüle,
vielen Dank für Ihre Nachricht vom 4. September 2009.
Das Grundgesetz bekennt sich zur Gleichberechtigung und verpflichtet den
Staat auf ihre aktive Förderung. In zahlreichen Bereichen sind Mängel
hinsichtlich der tatsächlichen Durchsetzung der Gleichberechtigung
empirisch nachweisbar. So ist die Benachteiligung von Frauen bei der
Bezahlung oder beim beruflichen Aufstieg ebenso eindeutig wie die
Vernachlässigung von Jungen in unserem Schulsystem. Jedoch stellt sich
stets die politische Frage, welches der richtige Ansatz zur Beseitigung
bestehender Defizite bei der Durchsetzung der Gleichberechtigung ist.
Lassen Sie mich auf die konkret von Ihnen angesprochenen Sachverhalte
eingehen.
1. Wehrpflicht ausschließlich für männliche Staatsbürger:
Der Gesetzgeber hat im Zuge der Wiederbewaffnung der Bundesrepublik
Deutschland den Art. 12a GG eingefügt, der die Wehrpflicht für Männer
beinhaltet und für Frauen verbietet. Dafür wurden zahlreiche Argumente
angeführt. Die Sicherung der Verteidigungsbereitschaft der
Bundesrepublik machte eine allgemeine Wehrpflicht notwendig. Die
Beschränkung dieser Pflicht auf Männer wurde mit der generell robusteren
körperlichen Verfassung von Männern sowie mit dem Argument, dass Frauen
im Gegenzug eine größere Belastung mit Pflege- und anderen sozialen
Tätigkeiten erbringen insbesondere bei der Erziehung von Kindern,
begründet. Somit war das soziale Rollenverständnis der Grund für die
Beschränkung der Wehrpflicht auf Männer.
Spätestens seitdem Frauen in Deutschland auch – freiwillig – der Dienst
an der Waffe gestattet ist, sind die oben angeführten Argumente
geschwächt. Insgesamt ist die Wehrpflicht aus liberaler Perspektive
nicht mehr notwendig. Die nach dem Ende des Kalten Krieges veränderte
Bedrohungslage erfordert keine Wehrpflicht mehr. Ferner ist auch unter
den von der Wehrpflicht erfassten Männern der Anteil der tatsächlich zur
Ableistung des Wehrdienstes herangezogenen Männer so gering, dass die
Wehrgerechtigkeit nicht mehr gegeben ist. Daher bin ich für eine
schnellstmögliche Abschaffung der Wehrpflicht. Damit wäre die von Ihnen
angesprochene Ungleichbehandlung erledigt.
2. Fehlen von Quotenregelungen für Männer:
Quotenregelungen – ganz gleich ob zugunsten von Frauen oder Männern –
wirken nicht den Ursachen von Gleichberechtigungsmängeln entgegen,
sondern versuchen lediglich deren Symptome zu begrenzen. Es ist
sinnvoller, den zugrunde liegenden Kern eines Problems anzugehen.
Konkret muss die Politik darauf hinwirken, die Rollenbilder, die dazu
führen, dass Mädchen und Jungs sich nach ihrem Heranwachsen für „typisch
männliche“ oder „typisch weibliche“ Berufe und Rollen entscheiden, zu
verändern.
3. Ausschluss von Männern vom Amt der Gleichstellungsbeauftragten:
Der Ausschluss von Männern vom Amt eines Gleichstellungsbeauftragten ist
ein Faktum, welches die FDP-Bundestagsfraktion bereits seit der
Diskussion um das „Gleichstellungsdurchsetzungsgesetz“ im Jahr 2001
kritisiert.
Wichtig ist, dass Gleichberechtigungsfragen unbefangen diskutiert
werden. Beide Geschlechter sind dann und wann benachteiligt und das ist
nicht gut.
Mit freundlichen Grüßen
Florian Toncar
abgeordnetenwatch.de schrieb:
> Sehr geehrter Herr Toncar,
>
> Tabea Schüle aus Tübingen hat als Besucher/in der Seite
> www.abgeordnetenwatch.de (Bundestag) bzgl. des Themas "Inneres und Justiz"
> eine Frage an Sie.
>
> Um diese Frage zu beantworten, schicken Sie diese Mail mit Ihrem
> eingefügten Antworttext an uns zurück (als wenn Sie eine normale Mail
> beantworten würden).
> ---------------------------------
>
> Sehr geehrter Herr Toncar,
>
> Sie sind Mitglied im Rechtsausschuss. Deshalb kennen sie natürlich einen
> der grunglegendsten Artikel unserer Verfassung:
>
> Art.3, Abs.2 GG: NIEMAND darf aufgrund von Geschlecht, Herkunft,Religion
> etc. bevorzugt oder benachteiligt werden.
>
> Meines Erachtens gibt es eine Reihe von Gesetzen, die sehr offensichtlich
> dagegen verstoßen:
>
> 1. NUR Männer sind wehrpflichtig, Frauen nicht.
> 2. Die Quotenregelung besagt, daß in öffentlichen Einrichtungen bei
> gleicher Qualifikation Frauen bevorzugt eingestellt werden dürfen. Sie
> gilt umgekehrt NICHT, z.B. in Kitas,Kindergärten und Grundschulen, wo
> oftmals mehr als 90% Frauen arbeiten.
> 3.Von der Wahl zur Gleichstellungsbeauftragten werden Männer
> ausgeschlossen, sie dürfen weder wählen noch gewählt werden.
>
> Die Denkweise dahinter ist folgende: Weil vermutet wird (es bedarf
> keinerlei Nachweises!), daß eine Gruppe von Menschen (Frauen) allgemein,
> strukturell und scheinbar grundsätzlich benachteiligt wird, ist es
> legitim, Mitglieder der anderen Gruppe konkret, nachweislich und sogar per
> Gesetz zu benachteiligen. Rechtsstaatlich gesehen ein Unding:
> Bürgerrechte, Grundrechte, Menschenrechte gelten für jeden Einzelnen,
> siehe oben.: NIEMAND, keine einzige Person, darf bevorzugt oder
> benachteiligt werden.
>
> Sie verstehen, welche zwei rechtsstaatlichen Probleme ich hier sehe?
>
> 1.VERMUTETE Diskriminierung einer Gruppe in der Vergangenheit darf in
> einem Rechtsstat nicht ausreichen, um in der Gegenwart NACHWEISLICH und
> absichtlich Mitglieder einer anderen Gruppe zu diskriminieren.
>
> 2. Die im Grundgesetz zugesicherten Grundrechte gelten nicht für Gruppen,
> sondern sie werden ausdrücklich jedem einzelnen Menschen zugebilligt:
> NIEMAND darf bevorzugt oder benachteiligt werden.
>
> Ich weiß, daß es hierzu Gerichtsurteile gibt. Ich möchte Sie jedoch
> bitten, mir hier mit eigenen Worten zu erklären, ob und wie Sie die drei
> o.g. Gesetze mit dem Grundgesetz vereinbaren können.
>
> Mit freundlichen Grüßen
>
> Tabea Schüle
>
>
>
>
>
> ---------------------------------
> Um die Frage direkt einzusehen, können Sie auch diesem Link folgen:
> http://www.abgeordnetenwatch.de/frage-650-5609--f222897.html#q222897
>
> Mit freundlichen Grüßen,
> www.abgeordnetenwatch.de
> (i.A. von Tabea Schüle)
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>
--
Florian Toncar MdB
Sprecher für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
der FDP-Bundestagsfraktion
Platz der Republik 1
11011 Berlin
Tel: 030 227 74226 / 74224
Fax: 030 227 76226
MdB 2.0 Das Bundestagstagebuch
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