Frage an Florian Toncar von Martin L. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehter Herr Toncar,
als deutscher Staatsbürger mit zahlreichen persönlichen Beziehungen nach Peru bin ich über die dortige politische Entwicklung zutiefst erschüttert. In den letzten Tagen sind bei Zusammenstößen zwischen indigener Bevölkerung und Polizei zahllose Menschen ums Leben gekommen.
In diesem Zusammenhang habe ich auch das Protokoll ihrer Rede in der 220. Sitzung des 16. Deutschen Bundestages am 07.05.2009 gelesen. Dort heißt es: "Die Regierung Perus versucht, auf relativ pragmatische Weise die Herausforderungen des Landes zu bewältigen und sieht sich dabei zahlreichen Hürden gegenüber."
Nach diesem kurzen Lob der Regierung Garcías gehen sie zu einer Kritik der Wirtschaftspolitik Boliviens über. Sicherlich gibt es in Bolivien viel und in Venezuela noch viel mehr zu kritisieren. Dennoch war ich nach der Lektüre der Rede recht ernüchtert. Lob und Kritik schienen mir entlang eingeübter Interpretationsmuster verteilt und darüber ging etwa die katastrophale Entwicklung in Peru in Vergessenheit. Daraus ergeben sich für mich zwei Fragen:
1) Die Politik der Andenländer wird häufig auf sehr einfache Weise rezipiert: Auf der einen Seite gibt es die Unterstützer der "Linken Regierungen", andererseits die Befürworter der "Bürgerlichen Regierungen". Ensprechend wird Lob und Kritik sehr selektiv verteilt. Sind Sie der Meinung, dass die deutsche Politik im allgmeinen und die FDP im speziellen in einem solchen Blockdenken verhaftet ist und daher nicht immer einheitliche Maßstäbe in der Bewertung anwendet?
2) Sie haben in Peru "pragmatische" politische Strategien ausgemacht. Was kann die deutsche Politik tun, um angesichts der aktuellen Lage dafür zu sorgen, dass ein pragmatischer Weg in Peru nicht verlassen bzw. eingeschlagen wird? Die aktuellen Konflikte hängen ja eng mit international genutzten und abgebauten Ressourcen zusammen. Was sind angesichts dessen die internationalen Einflussmöglichkeiten?
Herzlichen Dank und freundliche Grüße,
Martin Lopez.
Sehr geehrter Herr Lopez,
vielen Dank für Ihre E-Mail vom 12. Juni 2009.
Im Zuge einer Delegationsreise mit dem Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe des Deutschen Bundestages im September 2007 habe ich den Eindruck gewonnen, dass Peru ein pluralistisches Land ist.
Die aktuelle politische Situation in Peru, wo sich Teile der indigene Bevölkerung gegen die Förderung von Öl in ihren Gebieten wenden, ist äußerst angespannt. Die Regierung versucht, die auf beiden Seiten stark polarisierten Meinungen zu beruhigen, indem sie die Umsetzung eines Beschlusses verschoben hat, nachdem Unternehmen Lizenzen zur Förderung von Öl und Gas erhalten. Dieser Schritt soll die derzeit sehr polarisierten Auseinandersetzung vorerst beruhigen.
Den in Ihrer ersten Frage implizit unterstellte Vorwurf, bei der Bewertung der verschiedenen Regierungen des Anden-Raumes werde nicht immer mit einheitlichen Maßstäben zu messen, weise ich zurück. Die FDP ist nicht in einer Art Blockdenken verhaftet, sondern bewertet die Politik der betreffenden Staaten anhand von Kriterien wie der Achtung bürgerlicher und politischer Freiheiten, verantwortlicher Regierungsführung und der effektiven wirtschaftlichen Entwicklung zur Linderung der in der Region grassierenden Armut. In Lateinamerika gibt es keine Militärdiktaturen mehr, jedoch besteht weiterhin ein großer Aufarbeitungsbedarf bezüglich der Vergangenheit. Der Grund, warum ich die Regierung Perus als pragmatisch beschrieben habe, liegt darin, dass Peru im Vergleich zu seinen Nachbarn eine deutlich weniger ideologisierte Regierungsführung verfolgt. Das bedeutet nicht, dass das Vorgehen der Regierung García immer sinnvoll und unterstützenswert ist. Es soll lediglich verdeutlichen, dass Alan García weder den politischen Experimenten linker Regierungen wie in Venezuela oder Bolivien folgt noch sich klar an bürgerlich regierten Staaten wie Kolumbien orientiert.
Hinsichtlich der aktuellen Ausschreitungen in Peru ist festzustellen, dass Präsident García durch seine ungeschickte Wortwahl, die den Anführer der indigenen Protestbewegung mit den Guerillas des Leuchtenden Pfades verglich, den Konflikt noch unnötig angeheizt hat. Dies war eindeutig ein Fehler. Die Eskalation der Gewalt, bei der neben Demonstranten auch zahlreiche Polizisten ihr Leben verloren, ist sehr beunruhigend.
Die Regierung Perus steht vor der Aufgabe, einerseits das wirtschaftliche Potential des Landes zu entwickeln. Andererseits muss dies unter Berücksichtung der berechtigten Interessen der ansässigen Bevölkerung vonstatten gehen. Dies bedeutet konkret, dass die örtliche Bevölkerung angemessen an den Einkünften aus den Erlösen beteiligt wird und wesentlich in die wirtschaftliche Erschließung der Region einbezogen werden muss. Ein wichtiger Aspekt für die Akzeptanz des wirtschaftlichen Vorhabens der Regierung durch die Bevölkerung ist, dass die Belange des Umweltschutzes in der Region geachtet werden. Um dem Unmut der indigenen Bevölkerung zu begegnen, sollten die Unternehmen klar darlegen, dass sie die Rohstoffförderung auf eine verantwortliche Weise durchzuführen gedenken, die einen respektvollen Umgang mit dem Lebensraum der indigenen Bevölkerung einschließt.
Insgesamt ist es notwendig, die aktuelle Konfrontation durch einen Kompromiss zu entschärfen, der durch einen offenen und friedlichen Dialog zwischen allen Beteiligten erzielt wird. Dazu müssen alle Beteiligten auf die jeweils andere Seite zugehen und von anheizenden Äußerungen absehen. Wie eine solche Lösung aussehen kann, scheint zum jetzigen Zeitpunkt offen. Deutschland sollte sich nicht in die eigentlichen Verhandlungen einmischen, muss aber von den Beteiligten Kompromissbereitschaft einfordern.
Die so genannte ITT-Initiative in Ecuador, wo eine ähnliche Konfliktsituation entstanden war, zeigt jedoch, dass eine Kompromisslösung möglich ist. Sie sieht den Schutz des Nationalparks Yasuni und der darin lebenden indigenen Bevölkerung durch Verzicht auf Ausbeutung der dort befindlichen Erdölvorkommen vor. Für die entgangenen Einnahmen erwartet Ecuador eine Kompensation durch die internationale Gemeinschaft. Hier hat die internationale Gemeinschaft im Nachhinein einen erheblichen Beitrag zur Entschärfung geleistet, den auch Deutschland unterstützt.
Mit freundlichen Grüßen
Florian Toncar