Frage an Florian Toncar von Jochen W. bezüglich Landwirtschaft und Ernährung
Sehr geehrter Herr Toncar,
der Milchsektor erlebt die derzeit schlimmste Krise seit Bestehen der BRD. Viele Höfe stehen vor dem Aus!!!!
Drei von vier Milcherzeugern sehen ihre Lage, laut Infratest, als "schlecht" oder "sehr schlecht" ein. Von diesen Befragten erwarten zwei Drittel, daß sie die kommerzielle Milcherzeugung innerhalb der nächsten 12 Monate aufgeben müssen.
Angesichts der Tatsache, daß bis zu 250000 Arbeitsplätze mit vor und nachgelagertem Bereich, auf dem Spiel stehen, frage ich Sie: Wie kann die Existenz der Milchbauern langfristig gesichert werden?
In Deutschland zeichnet sich die Milchversorgung durch kurze Wege und eine gesicherte Qualität aus. Woher soll zukünftig die Milch kommen?
Wollen wir uns in Deutschland tatsächlich von der Milchviehhaltung verabschieden? Wer soll dann unsere Kulturlandschaft, z.B. die vielgepriesenen Streuobstwiesen, pflegen?
Wie kann Ihrer Meinung nach ein vernünftiger Milchpreis für Verbraucher und Milcherzeuger erreicht werden?
Wie stehen Sie zu einer flexiblen Mengen- bzw. Quotenregelung des Milchmarktes auf EU-Ebene, die einen existenzsichernden Milchpreis ermöglicht?
Die Molkerei Campina in Heilbronn, die 95% der Milch aus dem Kreis BB verarbeitet, hat jetzt im April 24Cent ausbezahlt. Für Mai wurden 23Cent angekündigt. Laut Berechnungen des Rinderreport 2008 der LEL Schwäbisch Gmünd braucht der "sehr gute Betrieb" in Ba-Wü allerdings 39Cent zur Deckung der Vollkosten. In Schleswig-Holstein wird vereinzelt schon 16 Cent ausbezahlt.
Zum Vergleicht: In Neuseeland hatte die dortige Großmolkerei Fontera im April noch umgerechnet 21Cent Auszahlungspreis.
Müssen sich die deutschen Milcherzeuger noch fit für den "Weltmarkt" machen?
Für Ihre Ausführungen bedanke ich mich schon im Vorraus.
MfG Jochen Welk
Sehr geehrter Herr Welk,
vielen Dank für Ihre E-Mail vom 17. Mai 2009, in der Sie auf die derzeit schwierige Situation der Milchbauern insbesondere auch bei uns im Kreis Böblingen hinweisen.
Die Milchquote sollte seinerzeit nicht nur Milchseen beseitigen, sondern auch den Milchbauern helfen. Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen jedoch, dass die Milchquote den Bauern weder einen auskömmlichen Milchpreis garantiert, noch das Höfesterben beendet hat. Während es 1984 noch rund 380.000 Milcherzeuger gab, sind es heute nur noch knapp 100.000.
Interessant ist, dass schon während der letzten großen Koalition (1967) das Bundeslandwirtschaftsministerium – unter dem CSU-Minister Hermann Höcherl – ausführlich Quotensysteme für die Milch geprüft hat und zu dem Urteil kam, dass sie nicht funktionieren könnten. Nahezu alle Kritikpunkte des Ministeriums haben sich seit Einführung der Milchquote bewahrheitet. Deshalb muss man die Einführung der Milchquote als Fehler bezeichnen.
Die Bauern müssen sich auf den Markt einstellen. Wo staatliche Vorgaben die Wettbewerbschancen deutscher Bauern verschlechtern, entweder fairer Wettbewerb geschaffen oder es müssen durch staatliche Ausgleichszahlungen Nachteile ausgeglichen werden. Dies ist meiner Meinung nach die gesellschaftspolitische Rechtfertigung für die Flächenprämie.
Die Hauptursache für den historischen Tiefstpreis für Milch ist, dass trotz des laufenden Umstrukturierungsprozesses und der massenhaften Aufgabe von Milchbauern in den letzten Jahrzehnten immer noch zuviel Milch in Europa produziert wird. Durch Fortschritte bei der Zucht von Milchkühen wird heute fast ebenso viel Milch produziert wie vor 15 Jahren. Zudem ist die Nachfrage nach Milch und -produkten eingebrochen.
Die deutsche Politik kann den Bauern vor allem dort helfen, wo die Produktionskosten durch staatliche Vorgaben und Steuern höher sind, als bei unseren europäischen Nachbarn. Daher fordern wir Liberale ein stringentes Konzept für die Landwirtschaft und insbesondere für die Milchbauern. Die Milchgipfel, die Landwirtschaftsminister Seehofer und Aigner abgehalten haben, waren nichts als Augenwischerei und Symbolpolitik.
Zwar unterstützen wir Liberalen den Plan der Bundesregierung, die Auszahlungen von EU-Beihilfen vorzuziehen und zinsverbilligte Kredite zu gewähren, doch reicht das bei weitem nicht aus. Entscheidend ist, die Landwirte auf der Kostenseite zu entlasten. Dazu sind vier Dinge notwendig, bei denen die Regierung sofort handeln könnte:
1. Gleichbehandlung beim Agrardiesel: Trotz der kurzfristig beschlossenen Senkung der Agrardieselbesteuerung zahlen deutsche Landwirte weiterhin den höchsten Steuersatz in Europa. Ferner ist die beschlossene Senkung auf zwei Jahre befristet. Wir brauchen daher eine dauerhafte, spürbare Entlastung bei der Agrardieselbesteuerung.
2. Entlastung bei der Ökosteuer.
3. Beschränkungen bei Fütterungsverboten aufheben.
4. Bürokratieabbau, um die Landwirte bei den Verwaltungskosten zu entlasten.
Des Weiteren sollte sich die Bundesregierung bei der Industrie dafür einsetzen, dass wieder Butter und Milch in der Lebensmittelindustrie verwendet werden und nicht pflanzliche Fette. Auch das Schulmilchprogramm muss konsequent ausgeschöpft werden.
Die Situation der deutschen Milcherzeuger muss sich rasch verbessern. Auch im Interesse der Milcherzeuger im Kreis Böblingen werde ich mich dafür einsetzen, dass die Bundesregierung schnell Entlastung schafft.
Mit freundlichen Grüßen
Florian Toncar