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Filiz Polat
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Stephan M. •

Frage an Filiz Polat von Stephan M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Polat,

die Grünen positionieren sich in der Asylfrage immer wieder mit der Aussage, dass das Recht auf Asyl nicht verhandelbar ist. Des Weiteren findet sich in Interviews mit Politikern und Politikerinnen der Grünen gehäuft die Aussage, dass sie „gegen jegliche Form der Diskriminierung“ eintreten. Ich bin mir bewusst, dass solche Aussagen positiv gemeint sind, halte sie aber nicht für zielführend.

Lassen Sie mich kurz erklären warum und in diesem Zusammenhang meine Fragen an Sie aufwerfen. Zu sagen, dass etwas nicht verhandelbar sei, bedeutet, dass es unbedingt gilt. Wie kann aber ein Recht, das von einem funktionierenden Rechtsstaat abhängt, unbedingt gelten? Auch die Aussage, dass man gegen jegliche Form der Diskriminierung auftritt, ist für mich nicht stimmig. Es kann keine diskriminierungsfreie Welt geben, gleichwohl kann es Unterschiede in der Qualität der Diskriminierung geben. Diese zu reduzieren, kann ein Ziel sein, also eine möglichst diskriminierungsfreie Gesellschaft anzustreben. Eine etwas tiefergehende Beschäftigung mit dem Begriff lässt erkennen, dass Diskriminieren auf der fundamentalen Ebene darin besteht, Unterschiede zu machen. Diskriminieren kommt vom lateinischen Verb „discriminare“, was „trennen, absondern, abgrenzen, unterscheiden“ bedeutet.

Wie wollen wir, ohne zu unterscheiden als Individuen bestehen können? Unser Denken vollzieht sich in diskreten Begriffen, ohne Unterschiede ist kein Denken, wie wir es kennen möglich. Auch hier ist also die Absolutheit „jegliche Form der Diskriminierung" letztlich eine irreführende Begriffswahl.

Wäre es nicht sinnvoll, die Grünen würden sich intensiver mit denen von ihnen verwendeten sprachlichen Bezugnahmen beschäftigen, um zu erreichen, keine Ansagen zu machen, die sich sowieso nicht erfüllen lassen, bzw. die in ihrer Absolutheit keinen Sinn machen? Würde hier nicht mehr Präzision dem Anliegen der Grünen letztlich zu zugute kommen?

Mit freundlichen Grüßen

S. M.

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr M.,

vielen Dank für Ihre Fragen und Ihr Interesse.
Unsere Aussage, dass das Recht auf Asyl nicht verhandelbar ist, beruht auf der Überzeugung, dass das Recht auf Asyl, und damit das Recht auf Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit, unbedingt gilt. Das Recht auf Asyl ist für uns ein grundlegendes und allgemeines Menschenrecht. Sie haben Recht, dass die Umsetzung und tatsächliche Wirkung der Menschenrechte an einen funktionierenden Rechtsstaat (und eine funktionierende internationale Gemeinschaft) gebunden ist. Das ist schon heute an vielen Stellen leider nicht mehr gegeben.
Allerdings bedeutet politische Kommunikation nicht nur, die bestehenden Verhältnisse wiederzugeben, sondern auch einen politischen Anspruch zu vermitteln. Wenn wir als Grüne also sagen, dass das Recht auf Asyl nicht verhandelbar ist, dann meinen wir damit, dass es unser - auf dem Bekenntnis zu universellen und unveräußerlichen Menschenrechten beruhender - politischer Anspruch ist, dass über grundlegende Menschenrechte nicht verhandelt wird. Es ist unsere Aufgabe, politische Verhältnisse zu schaffen, in denen dieser Anspruch Realität wird. Deshalb benutzen wir bewusst eine Kommunikation, die klar macht, wo wir politisch hinwollen, auch wenn sich nicht alle Ziele sofort umsetzen lassen. Eine Rhetorik, die sich an Notstand und Ausnahmezuständen orientiert, geht nicht nur an der Realität vorbei, sondern öffnet auch Tür und Tor für eine autoritäre Politik, die fernab der demokratischen Spielregeln operiert. Als überzeugte Demokratin sehe ich es als meine Aufgabe, mich einer solchen Verschiebung der politischen Debatte entgegenzustellen.

Des Weiteren beziehen Sie sich auf unsere Aussage „jegliche Form der Diskriminierung“ abzulehnen. Das ist richtig. Diskriminierung bedeutet in diesem Kontext nicht, dass einfach eine Unterscheidung stattfindet, sondern diese mit Benachteiligungen, Herabwürdigungen und/oder Ausgrenzungen einhergeht. Und genau dagegen richten wir uns als Grüne. Das Ziel von Antidiskriminierungspolitik ist nicht, jegliche Unterschiede zwischen Menschen unsichtbar zu machen. Allerdings leben wir in einer Gesellschaft, in der manche Eigenschaften - z. B. Herkunft oder sexuelle Orientierung - mit gesellschaftlichen Hierarchien verbunden sind und somit für bestimmte Menschen zu einer Besser- und Schlechterstellung führen. Unterschiede sind in diesen Fällen keine Formen freier Persönlichkeitsentfaltung, sondern gesellschaftsstrukturierende Momente, die für viele Menschen zur Einschränkung ihrer Freiheit oder auch zu Gewalt führen können. Diese Strukturen wollen wir aufbrechen. Antidiskriminierungspolitik ist die Grundlage dafür, dass Unterschiede frei gelebt werden können und nicht mehr versteckt werden müssen oder zu Nachteilen führen. Unser Einsatz „gegen jegliche Diskriminierung“ bedeutet, dass wir eine Gesellschaft gestalten wollen, in der jeder Mensch ohne Angst verschieden sein kann.

Mit freundlichen Grüßen
Filiz Polat

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