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Filiz Polat
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Günter S. •

Frage an Filiz Polat von Günter S. bezüglich Soziale Sicherung

Sehr geehrte Frau Polat,

hier erreicht Sie unser fünfter und letzter Wahlprüfstein verbunden mit einem herzlichen Dank für Ihre rege Beteiligung an unserem sozialpolitischen Kandidatencheck.

Diesmal geht es darum, welche Antworten Sie und Ihre Partei auf die Herausforderungen einer alternden Gesellschaft anzubieten haben. Angesichts der demographischen Entwicklung muss Pflege zu einem gesellschaftlich breit diskutierten Thema werden. Die Tatsache, dass etwa 67 % der Menschen Angst vor Pflegebedürftigkeit haben, kann auch als Ausdruck der Sorge um nicht geklärte Zukunftsfragen in diesem Zusammenhang gewertet werden.
Was wollen Sie bzw. Ihre Partei aktiv dazu beitragen, dass die Pflege zu einem
gesellschaftlich breit diskutierten Thema wird?

Die Tatsache, dass die Pflegesätze in Niedersachsen immer noch um bis zu 17% unter dem Bundesdurchschnitt liegen wird auf dem Rücken der Mitarbeitenden ausgetragen. Wir fordern, gesetzlich zu regeln, dass alle Vertragspartner nach dem SGB XI verpflichtet sind, ihre Mitarbeitenden „tariftreu“ zu bezahlen.
Wie stehen Sie bzw. Ihre Partei zur Forderung des Caritasverbandes f.d. Diözese Osnabrück nach einer tarifgebundenen Entlohnung der Pflegenden?

Mit besten Grüßen

Ihr Caritasverband für die Diözese Osnabrück

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Sandfort,

vielen Dank für Ihre Anfrage vom 14.01.2013. Anbei meine Antworten:

Das Thema der Alterung der Gesellschaft und der Zukunft der Pflege ist auch in der Partei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und insbesondere in den grünen Parlamentsfraktionen ein intensiv diskutiertes Thema. Die Bundestagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat zu der letzten Gesetzesnovelle des Bundesgesundheitsministeriums (Pflegeneuausrichtungsgesetz) mehrmals kritisch Stellung genommen und eine zukunftsfähige nachhaltige Reform der Pflegeversicherung angemahnt, die die schwarzgelbe Koalition bisher nicht zustande gebracht hat. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben darüber hinaus ein Konzept einer Pflegebürgerversicherung entwickelt, in die in Zukunft alle - auch die Privatversicherten und Beamten - einbezogen werden sollen.

Zum Tarifgeschehen in der Pflege:

Sie können davon ausgehen, dass sich BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für Verbesserungen im Pflegebereich, auch bei der Entlohnung, einsetzen werden. Zuständig sind allerdings die Tarifpartner, also die Pflegekassen und die Einrichtungsträger.

Wir würden einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag für Pflegeberufe sehr begrüßen und hoffen sehr, dass sich die Mehrheit der Arbeitgeber möglichst bald auf einen Tarifvertrag einigen wird, der dann für allgemeinverbindlich erklärt werden kann.

Leider hat die Bundesregierung mit dem Pflege-Neuausrichtungsgesetz die Lohnstruktur in der Pflegebranche geändert.
Arbeitgeber in der Pflegebranche sollen nicht mehr, wie bisher, die mindestens ortsüblichen Gehälter zahlen müssen. Seit 2008 gilt, dass Pflegeeinrichtungen nur dann einen Versorgungsvertrag erhalten, wenn sie ihren Beschäftigten mindestens die ortsübliche Vergütung bezahlen. Diese Koppelung ist nun aufgehoben worden. Künftig soll ein Versorgungsvertrag mit einer Pflegeeinrichtung auch dann abgeschlossen werden können, wenn die Einrichtung ihren Pflegekräften den Pflege-Mindestlohn zahlt. Dieser aber liegt oft weit unter tariflichen Regelungen vor Ort. In Westdeutschland erhalten examinierte Altenpflegekräfte tariflich zwischen 12,31 Euro und 16,73 Euro pro Stunde. Der Pflege-Mindestlohn beträgt hingegen nur 8,75 Euro. Die Bundesregierung will mit ihrem sogenannten Pflege-Neuausrichtungsgesetz also das Lohngefüge in der Pflegebranche aufweichen.
Es ist aus unserer Sicht ein völlig falsches Signal, in Zeiten eines sich abzeichnenden Mangels an qualifizierten Pflegekräften, für Beschäftigte nur noch den Mindestlohn als unterste Auffanglinie zu erhalten. Mit einer solchen gesetzlichen Regelung kann eine Lohnspirale nach unten in Gang gesetzt werden. Die Regelung verschafft Einrichtungen Anreize, ihre Beschäftigten schlechter zu bezahlen als andere. Sie können Leistungen billiger anbieten und haben damit einen Wettbewerbsvorteil gegenüber Einrichtungen, die ortsübliche Entgelte zahlen. Das war nicht Sinn der Einführung eines Mindestlohnes in der Pflege. Ein Mindestlohn soll die Beschäftigten schützen und nicht zum Wettlauf um die niedrigsten Löhne führen.
Gutachten und Vorschläge zur Erweiterung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs liegen der Bundesregierung seit Jahren vor, werden aber nicht umgesetzt. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wollen diesen Reformstau, der auf dem Rücken der Betroffenen ausgetragen wird, nach der nächsten Bundestagswahl so schnell wie möglich aufheben.

Ein solcher neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff würde unmittelbare Auswirkungen auf die Personalsituation in den Einrichtungen haben. Flankierend ist aus meiner Sicht erforderlich ein valides Personalbemessungssystem zu etablieren. In Niedersachsen besteht das besondere Problem, dass die Pflegesätze etwa 20 % unter den Durchschnittswerten der westlichen Bundesländer liegen, wodurch sich die Situation in unserem Bundesland noch einmal verschärft. Zwar werden die Pflegesätze nicht politisch festgelegt, sondern in Verhandlung zwischen Kostenträger und den Trägern der Einrichtung verhandelt. Wir begrüßen, dass das Sozialministerium als Moderator in Gesprächen mit den Kostenträgern deutlich macht, das eine Angleichung der Pflegesätze politisch gewollt ist. Die Einrichtungen sollen sich unterstützt sehen, in Verhandlungen einzutreten. Wir setzen uns hier für eine Konvergenzphase ein, in der die Pflegesätze in Niedersachsen an den Bundesdurchschnitt angeglichen werden sollen.

Insgesamt müssen wir als Gesellschaft die Frage beantworten, wie viel uns eine gute und würdige Pflege wert ist. Ich persönlich bin der Meinung, dass dies nur gewährleistet werden kann, wenn insgesamt mehr Geld ins System kommt.

Freundliche Grüße

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