Frage von Patrick G. • 15.08.2021
Wäre es im Sinne der Chancengleichheit und des Umweltschutzes aus Ihrer Sicht sinnvoll für kommende Wahlen ein Plakatierungsverbot einzuführen? (Plakate =Sondermüll und teuer. )
Antwort von Felix Lederle DIE LINKE • 15.08.2021
Sehr geehrter Herr Gläser,vielen Dank für Ihre Frage! Bei dieser Gelegenheit zolle ich Ihnen meinen Respekt, dass Sie sich über Jahre ehrenamtlich kommunalpolitisch für den Bezirk Reinickendorf engagieren.Ihre Frage beantworte ich mit einem klaren JA! Aus meiner Sicht „wäre es im Sinne der Chancengleichheit und des Umweltschutzes … sinnvoll für kommende Wahlen ein Plakatierungsverbot einzuführen“ und mir fallen auch noch weitere Gründe ein, die ich im Folgenden zusätzlich mit ein paar Anmerkungen gerne darstellen möchte. Aus meiner Sicht handelt es sich bei der Plakatierung um ein unökologisches und alleine schon deshalb nicht mehr zeitgemäßes, weitgehend sinnentleertes Ritual von dem die meisten Bürgerinnen und Bürger ebenso genervt sind, wie die Parteimitglieder, die ehrenamtlich mitten in der Nacht bis in die Morgenstunden plakatieren, um dann vom Ordnungsamt Bußgelder zu erhalten, weil ein Plakat 20 cm zu tief hängt oder eine Stunde zu früh aufgehängt wurde und meines Erachtens ist der Erkenntniswert durch die Plakate und das ist der entscheidende Punkt so gering, dass die Plakatierung kaum einen relevanten Beitrag für die politische Willensbildung leistet. Was hat der politisch aufgeklärte Citoyen im Hinblick auf die Rationalität seiner Wahlentscheidung davon, wenn auf dem einen Plakat steht, die Stadt solle schöner oder besser werden und auf dem anderen, dass ein Politiker seinen Bezirk liebhat oder auch innig liebt? Auch bspw. der Hinweis, dass eine Partei das Sozialstaatsprinzip befürwortet, was ohnehin bereits im Grundgesetz für alle Zeiten festgeschrieben ist, ersetzt nicht die konkrete sozialpolitische Forderung, mit der man sich auseinandersetzen könnte.Rationale politische Positionierungen sind oft das Ergebnis eines Abwägungsprozesses, der der Komplexität der Wirklichkeit Rechnung trägt. Darstellen lässt sich dies in der Regel nicht mit fünf Worten, die auf einem Plakat stehen dürfen, um gerade noch in großen Lettern gelesen werden zu können. In einer Zeit in der der ex-US-Präsident bis vor Kurzem politische Entscheidungen mit Auswirkungen für Millionen Menschen im Rahmen eines Informationshäppchens per Twitter verkündet hat, mag diese unterkomplexe Verkürzung und Verallgemeinerung en vogue sein, der Politisierung der Bevölkerung kann dieses Format aber kaum dienen. Klar bevorzugt, sind da rechtspopulistische Parteien, die die Welt simplizistisch in Gut und Böse und in schwarz und weiß einteilen und in erster Linie Emotionen hervorrufen wollen, anstatt zum Nachdenken und zur Auseinandersetzung mit konkreter Politik anzuregen. DIE LINKE Reinickendorf und DIE LINKE Berlin waren und sind jederzeit bereit, sich mit den anderen relevanten Parteien darauf zu verständigen, auf die Plakatierung generell zu verzichten. In der Vergangenheit ist das daran gescheitert, dass die besonders finanzkräftigen Parteien nicht dazu bereit waren, weil sie aus ihrer Sicht auf einen Wettbewerbsvorteil in der Materialschlacht verzichten müssten. Was wir als DIE LINKE allerdings nicht machen können, ist, ohne eine solche über-parteiliche Verständigung oder ohne das von ihnen geforderte Plakatierungsverbot einseitig komplett auf Plakatierung zu verzichten. Denn schon jetzt und bei jedem Wahlkampf ist es so, dass sich Wählerinnen und Wähler unserer Partei verunsichert oder empört bei uns melden, dass aus ihrer Sicht bspw. zu viele Plakate der Partei X und zu wenige Plakate unserer Partei in ihrer Nachbarschaft hängen. Einseitig komplett auf Plakatierung zu verzichten, während dann alle anderen relevanten Parteien wie eh und je die ganze Stadt mit ihren Plakaten zupflastern, würde dazu führen, dass sich gleich am nächsten Tag hundert unserer Wählerinnen und Wähler in der gesamten Stadt bei uns in der Landegeschäftsstelle melden, ob wir denn überhaupt noch zu den Wahlen antreten. Es geht in erster Linie darum, gesehen zu werden, wie bei einem Pflichttermin, wo man sich kurz zeigen muss, damit man sich später nicht rechtfertigen muss, weshalb man nicht da war. Die Demokratie der BRD ist die beste, die es in unserem Land je gab und sie funktioniert besser als in zahllosen anderen Ländern auf der Welt. Meines Erachtens richtigerweise hat aber einer der Vordenker der Demokratie, Jean-Jacques Rousseau, seinerzeit gesagt, dass Demokratie ein Ideal sei, das es stets anzustreben gilt, ohne dass es jemals vollkommen realisiert werden kann. Soll heißen: auch bei uns ist nicht alles Gold, was glänzt und auch wir könnten meines Erachtens an der ein oder anderen Stelle noch mehr Demokratie wagen. Ein Beispiel hierfür sind die Spenden juristischer Personen an Parteien, die immer weiter ansteigen (insbesondere aus der privaten Wohnungswirtschaft), um immer teurere Wahlkämpfe zu finanzieren. Selbstverständlich sind kleine Parteien in Deutschland mit Blick auf die seit Jahren immer teurer werdenden Wahlkämpfe und allein schon mit Blick auf die 5%-Klausel, für die es allerdings auch gute Gründe gibt, benachteiligt. Benachteiligt sind mit Blick auf die enormen Wahlkampfkosten (nicht nur für Plakatierung und Großflächenplakate, sondern v.a. auch mit Blick auf Anzeigenschaltungen und Werbung in Funk, Kino, sozialen Medien und Fernsehen) präziser formuliert, alle weniger finanzstarken Parteien. Die FDP ist auch eine kleine Partei, hat aber aufgrund der gewaltigen Spenden aus der Privatwirtschaft, die ihr zufließen, kein Problem mit hohen Wahlkampfkosten und kann hier kaum als benachteiligt gelten.Insgesamt 800.000 Euro erhielt der Berliner Landesverband der CDU im letzten Jahr alleine nur von dem Berliner Immobilienunternehmer, Christoph Gröner, der mit seinen Bauprojekten für die Gentrifizierung linksalternativer Straßenzüge u.a. in Friedrichshain mitverantwortlich ist. Im März 2020 hatte er der Partei als Privatperson 300.000 Euro überweisen, am 30. Dezember folgten weitere 500.000 Euro über die Vermögensverwaltung Gröner Family Office, die Christoph Gröner mehrheitlich gehört und von seinem Bruder geführt wird. Diese 500.000 Euro-Spende an die CDU Berlin war die höchste Einzelspende an alle Parteien im Jahr 2020. Ansonsten fiel Herr Gröner öffentlich in 2020 v.a. mit seinem „heroischen und sicherlich völlig uneigennützigen“ (Achtung: Ironie!) Einsatz gegen Mieterschutz und insbesondere den Mietendeckel auf. Der renommierte Berliner Staatsrechtler Ulrich Battis kommentierte die Gröner-Spenden im Tagesspiegel: „Wenn ein Landesverband einer Partei von einem Immobilienunternehmer 800.000 Euro für Fragen der Baupolitik erhält, muss er damit rechnen, dies von der Konkurrenz und der Presse vorgehalten zu bekommen. Das höchste Gut der Politik ist die Glaubwürdigkeit und die leidet.“DIE LINKE ist die einzige relevante Partei in Deutschland, die von sich aus überhaupt keine Spenden juristischer Personen (Konzerne, Unternehmen…) annimmt, um sich ihre politische Unabhängigkeit zu bewahren. Diese Vorgehensweise, auf die ich stolz bin und die einer der Gründe ist, weshalb ich mich für DIE LINKE engagiere, führt allerdings zu einem großen Wettbewerbsnachteil meiner Partei in jedem Wahlkampf, weil unser Wahlkampfetat zwangsläufig nur ein Bruchteil desjenigen unserer Mitbewerber entspricht. Mir ist es lieber, wenn meine Partei mit wehender Fahne für Mieterschutz in der Hand aufgrund dieses selbst gewählten Wettbewerbsnachteils zugrunde geht, als noch eine Partei, die das Lied der profitorientierten privaten Wohnungswirtschaft singt, dessen Brot sie isst. Für die Qualität der Demokratie in Deutschland und die Unabhängigkeit politischer Entscheidungen wäre es freilich besser, die Spenden an juristische Personen gänzlich zu verbieten (hier kann man sich zunächst an der Schweiz orientieren).Abschließend noch ein paar Anmerkungen rund um das Thema Plakatierung: Während sich die Parteien in Charlottenburg-Wilmersdorf verständigt hatten, am Samstag bereits ab 15 Uhr zu plakatieren, um sich die ungeliebte Nachtschicht zu ersparen, die notwendig ist, um am nächsten Tag überhaupt noch ein freies Plätzchen für ein Plakat zu finden und während auch in den Bezirken Pankow oder Mitte die Plakatierung gegen 18 Uhr bereits in vielen wichtigen Straßen abgeschlossen war, wurde in Reinickendorf ein Großeinsatz des Ordnungsamtes gefahren, um zu verhindern, dass vor Mitternacht plakatiert wird. Warum ist Berlin eigentlich dauernd ein Flickenteppich unterschiedlicher Vorgehensweisen? Selbst die erforderliche Höhe für ordnungsgemäß aufgehängte Plakate ist unter den Bezirken unterschiedlich. Sind wir nicht eine Stadt und können sich die regelmäßig treffenden hierfür zuständigen Bezirksstadträte nicht ein einziges Mal auf eine einheitliche Vorgehensweise einigen, damit überall die gleichen Wettbewerbsbedingungen herrschen?Am Samstagabend hat der zuständige AfD-Stadtrat, Hr. Maack, das Ordnungsamt auf Streife geschickt, um zu kontrollieren, ob die Parteimitglieder (oder bei finanzkräftigen Parteien die professionellen Plakatierungsunternehmen) zwischen 24 Uhr und bis in die Morgenstunden plakatieren und im Gotteswillen nicht bereits vor Mitternacht beginnen. Meine Nachfrage in der letzten BVV, wo ich ja Vorsitzender der Linksfraktion bin, hat meine Befürchtung bestätigt, dass dieser Einsatz des Ordnungsamtes an anderer Stelle eine Lücke gerissen hat. Am Folgetag konnten dann halt Dinge wie Falschparken oder illegale Müllentsorgung nicht in dem Maße kontrolliert werden. Aus meiner Sicht ist das eine falsche Prioritätensetzung des AfD-Stadtrats!Aus den vergangenen Wahlkämpfen weiß ich, dass bei Bußgeldverfahren für nicht ordnungsgemäß gehängte Plakate des Ordnungsamts Reinickendorf die Beweislast umgekehrt ist: Wenn Partei A ein Plakat vorschriftsgemäß hoch aufgehängt hat und dann später ein Plakat der Partei B darüber gehängt wird, wobei das Plakat von Partei A heruntergeschoben wird, erhält Partei A ein Bußgeld, wenn sie nicht beweisen kann, dass ihr Plakat ursprünglich ordnungsgemäß aufgehängt wurde. Unsere Plakate werden erfahrungsgemäß sehr häufig einfach heruntergeschoben. Viele Plakate der Parteien von Bündnis 90/Die Grünen, SPD und DIE LINKE wurden bereits sehr zeitnah wieder heruntergerissen (bestimmt auch von anderen Parteien) – wie in jedem Wahlkampf. Mir ist nicht bekannt, dass das Ordnungsamt ein einziges Bußgeld gegen diesen Vandalismus verhängt hat. Wenn das Thema Plakatierung für den AfD-Stadtrat, Hr. Maack, eine so herausragende Bedeutung hat, wäre es aber doch wünschenswert, einmal gezielt in der Folgenacht nach der Plakatierung im Hinblick auf Sachbeschädigung von Plakaten Streife fahren zu lassen. Ein Teil der Plakate meiner Partei sind aus Kunststoff, der zu 100% recycelbar ist und der andere Teil ist aus Pappe, die trotz der Farbbeschichtung ebenfalls voll recycelbar ist, wobei ich nicht glaube, dass sich daraus Altpapier herstellen lässt, sondern stattdessen nur erneut Pappe. Es war meiner Partei sehr wichtig, dass für unsere Plakate nur Materialien verwendet werden, die recycelbar sind. Nicht recycelbar sind allerdings die Kabelbinder, die alle Parteien verwenden. Ökologisch im Sinne von ressourcensparend ist das Ganze dennoch nicht.Fazit: Ich mache drei Kreuze, wenn das Plakatieren endlich verboten würde. Weitaus wichtiger wäre mir aber im Sinne der Chancengleichheit der Parteien und Unabhängigkeit von Politik ein Verbot der Spenden juristischer Personen an Parteien. Viele GrüßeFelix Lederle