Guten Tag Herr Drossmann, laut Anwort vom 1.7., kann nur geliefert werden, was verfügbar ist. Marder-Panzer stehen bei Rheinmetall auf dem Hof. Warum trotzdem keine Lieferung an die Ukraine?
Joachim Gauck hat gesagt, die Regierung Olaf Scholz tue das Richtige. Allerdings sehr langsam (und viel zu spät?). Sollte man dies in Bezug auf Waffenlieferungen in die Ukraine nicht ändern? Die Marder-Schützenpanzer wäre doch ein gutes Beispiel um guten Willen zu zeigen, da sie verfügbar sind und auch von der Ukraine angefordert werden.
Sehr geehrter Herr R.,
vielen Dank für Ihre Rückfrage.
Bei dem gesamten Thema der Lieferung schwerer Waffensysteme steht Deutschland vor einem ganz zentralen Problem: Alles was wir ab jetzt in die Ukraine liefern, wird als militärische Fähigkeit der Bundeswehr und damit auch der NATO für die nächsten Jahre verloren sein. Eine militärische Unterstützung des Baltikums oder Polens, sollte sie in Zukunft erforderlich sein, wird dann nicht mehr effektiv möglich sein. Selbst bei einem reibungslos verlaufenden Beschaffungsprozess würde es aufgrund der begrenzten Produktionskapazitäten der Rüstungsindustrie Jahrzehnte dauern, bis wir diese Lücken wieder auffüllen könnten. Sie lesen richtig: Jahrzehnte, nicht Jahre. Grund dafür ist, dass die Industrie derzeit einfach nicht die Kapazitäten hat, mehrere Aufträge, die verschiedene Systeme betrifft, zu bearbeiten.
Nehmen wir den Schützenpanzer Marder als Beispiel: Rheinmetall hat entgegen vieler Medienberichte den Marder in einstelliger (!) Stückzahl einsatzfähig auf dem Hof stehen. Alle anderen Marder müssen in den kommenden Monaten und Jahren erst wieder aufwendig instand gesetzt werden. Dafür fehlen mitunter aber Ersatzteile, die für den rund 40 Jahre alten Marder nicht mehr zur Verfügung stehen, weil sie nicht mehr produziert werden. Marder in einstelliger Stückzahl zu liefern ergibt militärisch keinen Sinn, weil sie im Verband eines Bataillons erst ab einer Stückzahl von ca. 40 Mardern einen Mehrwert generieren. In geringer Stückzahl sind diese Waffensysteme ausgesprochen vulnerabel, da sie anders als z.B. die Panzerhaubitze 2000 an vorderster Front kämpfen müssen.
Würde sich die NATO dazu entscheiden, auch Schützenpanzer in die Ukraine zu liefern – und das hat sie bisher nicht getan, auch die USA schicken z.B. ihren Schützenpanzer ‚Bradley‘ nicht – müssten wir dieses Waffensystem aus unserem Anteil der Enhanced Forward Presence in Litauen herausziehen. Damit würden wir gleichzeitig unsere Verteidigungs- und Abschreckungsfähigkeit an der NATO-Ostflanke direkt schwächen. Nur in diesem Einsatzkontingent hätte Deutschland noch sofort einsatzfähige Marder stehen. Die Situation bei allen anderen großen Waffensystemen Deutschlands ist vergleichbar.
Sie werden diesen Zustand der Bundeswehr sicherlich als Armutszeugnis empfinden. Zumindest ich empfinde ihn so. Nach 16 Jahren Einsparpolitik im Verteidigungsbereich und einer auf Auslandseinsätze umstrukturierten Bundeswehr sind unsere Fähigkeiten zur Landes- und Bündnisverteidigung heute ausgesprochen eingeschränkt. Das Sondervermögen für die Bundeswehr setzt genau hier an und soll die größten Lücken füllen, die derzeit bestehen. Es wird aber einige Zeit brauchen, bis die ersten positiven Effekte zu spüren sind und die Industrie ihre Kapazitäten erhöht hat.
Sollten sich die Rahmenbedingungen noch einmal ändern und man sich in der NATO kurz- bis mittelfristig doch dazu entschließen, Kampf- und Schützenpanzer zu liefern, wird die Verteidigungsfähigkeit des Bündnisses definitiv geschwächt. Das ist ein politischer Abwägungsprozess, der laufend im Bündnis diskutiert wird. Fest steht bereits: Eine weitere militärische Unterstützung der Ukraine ohne einen Fähigkeitsverlust der Bundeswehr und damit auch der Verteidigungsfähigkeit der NATO-Partner ist ab jetzt nicht mehr möglich.
Aus diesen Gründen halte ich es kurz- bis mittelfristig für sinnvoller, wenn wir für die Ukraine weiterhin finanzielle Militärhilfen bereitstellen, damit sie sich bei anderen Partnern mit größeren Beständen Waffensysteme kaufen kann. Gleichzeitig können wir uns in Deutschland nicht mit dem Status Quo zufrieden geben und müssen neben der Bereitstellung des Sondervermögens z.B. dafür sorgen, dass die Rüstungsindustrie ihre Produktionskapazitäten erhöhen kann. Wie lang z.B. allein die Zeiten für die Instandsetzung sind, sehen Sie auch an den Lieferzeiten der ersten drei Flugabwehrpanzer Gepard.
Mir ist bewusst, dass Sie meine Ausführungen nicht zufriedenstellen werden. Ich wollte Ihnen aber die Zwänge darstellen, die sich mit Blick auf die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands für uns ergeben und die wir nicht ignorieren können.
Bei weiteren Fragen wenden Sie sich jederzeit gerne auch an mein Büro.
Mit freundlichen Grüßen
Falko Droßmann