Frage an Eva Viehoff von Reinh. G. N. bezüglich Soziale Sicherung
Die meisten Menschen wollen auch bei eintretender Pflegebedürftigkeit in ihrer häuslichen Umgebung leben. Für welche Maßnahmen werden Sie sich einsetzen, um den gesetzlich festgeschriebenen Vorrang der ambulanten Pflege vor stationärer Pflege zeitnah in die Praxis umzusetzen?
Die derzeit geltende Definition von Pflegebedürftigkeit fokussiert auf körperliche Beschwerden. Sie benachteiligt Menschen mit kognitiven Einschränkungen und psychischen Behinderungen systematisch. Was werden Sie unternehmen, um die Einführung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs und eines neuen Begutachtungsinstruments auf Basis der Beiratsergebnisse aus 2009 und 2013 schnellstmöglich umzusetzen?
Wie werden Sie sich dafür einsetzen, dass die Kernkompetenz der EU - Mitgliedsstaaten für die Sozialpolitik erhalten bleibt, und politische Entscheidungen auf europäischer Ebene die sozialen Standards in Deutschland nicht verschlechtern?
Sind Sie auch der Auffassung, dass das Betreuungsgeld gestoppt sowie Krippen und Kindertagesstätten ausgebaut werden sollten? Welche Vorschläge können Sie konkret unterbreiten, um eine eigenständige Existenzsicherung von Frauen zu gewährleisten?
Noch nie hatten Rentnerinnen und Rentner so hohe Kaufkraftverluste zu verzeichnen wie in den letzten 10 Jahren. Muss der fortwährende Wertverfall bei den Renten Ihrer Meinung nach gestoppt werden?
Erwerbsgeminderte Menschen tragen bereits heute ein besonders hohes Armutsrisiko. Werden Sie sich dafür einsetzen, dass es sowohl für die heutigen als auch die künftigen Erwerbsminderungsrentnerinnen und -rentner Leistungsverbesserungen gibt? Sind Sie für die Abschaffung der Abschläge bei Erwerbsminderungsrenten?
Welche Wege aus der Armut und der wachsenden Spaltung der Gesellschaft können Sie aufzeigen? Welche Möglichkeiten und politischen Handlungsnotwendigkeiten sehen Sie, die finanzielle Ausstattung der öffentlichen Haushalte zu verbessern und die sozialen Sicherungssysteme zu stärken?
Sehr geehrter Herr Neels,
herzlichen Dank für Ihre Frage bei Abgeordnetenwatch zur Frage von Pflegebedürftigkeit.
Das von Ihnen angesprochene Problem haben wir bei BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN im Blick und Sie haben vollkommen Recht, dass die zurzeit geltende Definition von Pflegebedürftigkeit Menschen mit kognitiven und psychischen Einschränkungen diskriminiert. Dies wollen wir ändern.
Dazu wollen wir zum einen den Pflegebdürftigkeitsbegriff neu definieren und alle Ursachen, also körperliche, kognitive und psychische Beeinträchtigungen gleich behandeln. Dabei wollen wir den Schwerpunkt nicht wie zurzeit auf die Defizite der Menschen legen, sondern auf deren vorhandene Fähigkeiten und Ressourcen und zu deren Nutzung notwendigen Unterstützungsbedarf. Auch bei Pflegebedürftigkeit muss sichergestellt sein, dass eine Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft möglich ist. Auch der Schutz vor Einsamkeit gehört zu einem menschenwürdigen Leben.
Wir sind Teil der Europäischen Union. Sie sichert uns wirtschaftlichen Erfolg und Frieden. Gleichzeitig ist es richtig, dass Standards in Europa angeglichen werden. Dies darf aber nicht bedeuten, dass man sich immer auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigt. Gerade bei den sozial Standards sehe ich aber zurzeit, dass gerade Deutschland hier hinter vielen europäischen Ländern zurück bleibt. Ich würde mich dafür einsetzen, dass in Abwägung aller Fragen grundsätzlich die für alle Europäerinnen und Europäer beste Lösung festgeschrieben wird.
Das Betreuungsgeld gehört abgeschafft. Männer und Frauen sind heute immer besser ausgebildet. Diese Ressourcen müssen wir in den nächsten Jahren deutlich besser ausschöpfen. Dazu brauchen Familien Betreuungssicherheit und Arbeitsbedingungen die es Vätern und Müttern ermöglich Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren. Das Betreuungsgeld ist hier kontraproduktiv, weil es nicht nur durch Bindung der Finanzen den Ausbau von Kinderkrippen und -tagesstätten behindert. Es gibt an Familien auch das falsche Signal. Gerade auch im Hinblick auf ihre folgende Frage zur Rentensicherheit ist es wichtig, dass wir unter Männern und Frauen ein möglichst hohe Erwerbsbeteiligung erreichen. Dies sichert den Generationenvertrag ab.
Viele gesetzliche Regelungen, u.a. das Scheidungsrecht sind heute schon darauf angelegt, dass Frauen es sich gut überlegen sollten lange aus dem Job auszusteigen. Besonders jedoch auf Grund der Tatsache, dass Frauen heute deutlich besser ausgebildet sind als früher ist es auch gesellschaftlich nicht zu verstehen, dass diese Ressource nicht wirklich genutzt werden kann. Dies liegt nicht an den Frauen selbst, sondern an der Tatsache, dass Betreuungsmöglichkeiten, v.a. Ganztags fehlen. Aber es ist auch der Tatsache geschuldet, dass wir endlich akzeptieren müssen, dass Beruf und Familie nicht nur durch Betreuung vereinbart werden kann, sonder wir auch neue intelligente Arbeitszeitmodelle finden müssen. Ganz besonders aber müssen wir endlich dahin kommen, dass nicht die Ehe (durch das Ehegattensplitting) gefördert wird, sondern das Laben mit Kindern. Das Ehegattensplitting drängt Frauen in eine Falle, aus der es nach langer Berufsunterbrechung nur sehr schwer ist wieder heraus zu kommen. Wir wollen das Ehegattensplitting für neue Ehen langsam abschmelzen und dafür eine Kindergrundsicherung einführen. Diese entlastet Mütter und Väter gleichermaßen, egal ob verheiratet oder nicht. Familie in Deutschland ist deutlich bunter als es die derzeitige Regierung suggeriert.
Um Menschen im Alter ein auskömmlichen Leben zu sichern ist es unserer Meinung notwendig das Rentensysten zu einer Bürgerversicherung umzubauen in die alle einzahlen. Zusätzlich wollen wir Menschen die langjährig in die Rentenversicherung eingezahlt haben über eine steuerfinanzierte Grundrente von 850 € ein Auskommen oberhalb der Grundsicherung sichern. Als Zurechnungszeiten wollen wir hier nicht nur Erwerbszeiten anrechnen, sondern auch Zeiten der Arbeitslosigkeit und der Kindererziehung.
Wir wollen uns zusätzlich dafür einsetzen, dass diejenigen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht arbeiten können, eine Erwerbsminderungsrente ohne Abschläge erhalten. Außerdem wollen wir den Schutz vor Altersarmut von Erwerbsgeminderten verbessern. Deshalb sollen Zurechnungszeiten wegen Erwerbsminderung beim Zugang zur Garantierente (s.o.) anerkannt werden.
weitere Hinweise hier:
http://www.gruene.de/themen/soziale-gerechtigkeit/rente.html
Zu Ihrer letzten Frage möchte ich ausführen, dass wir erreichen wollen, dass Menschen von ihrer Arbeit leben können und setzen uns für einen bundesweiten Mindestlohn von 8,50 ein. Dazu kommt, das wir in unserem Steuermodell den Steuerfreibetrag anheben wollen, so dass mehr vom Brutto beim Netto bleibt.
Zusätzlich wollen wir diejenigen in der Gesellschaft die gut verdienen etwas stärker an den Kosten der Allgemeinheit beteiligen. Dies wollen wir durch die Erhöhung des Spitzensteuersatzes auf 49% ab 80.001€ erreichen und zusätzliche eine Vermögensabgabe einführen, die vornehmlich zur Schuldenreduzierung verwendet werden soll. Damit werden öffentliche Haushalte entlastet
Die zusätzlich generierten Mittel sollen dafür genutzt werden
-eine Kindergrundsicherung einzuführen
- Gelder für Betreuungseinrichtungen bereit zu stellen - dies entlastet die Kommunen
- durch den Abbau von Subventionen, v.a. bei der EEG-Umlage wollen wir Mittelstand und private Haushalte entlasten.
Allein die Einnahmeseite zu erhöhen reicht jedoch nicht aus um die öffentlichen Haushalte zu konsolidieren. Dazu gehört aber auch eine strenge Haushaltpolitik und bei ALLEN Investitionen die Erkenntnis, dass man einen Euro nur einmal ausgeben kann. Im öffentlichen Raum müssen für Projekte endlich reale Kostenrechnungen erstellt werden, bevor politisch entschieden wird! Aus dem Ruder laufende Projekte wie der Berliner Flughafen, überteuerte Bahnhöfe müssen uns in Zukunft erspart bleiben.
Ich hoffe Sie können mit meinen Antworten etwas anfangen und verbleibe
Mit freundlichen Grüßen
Eva Viehoff