Frage an Elisabeth Winkelmeier-Becker von Dieter G. bezüglich Recht
Sehr geehrte Frau Winkelmeier-Becker !
Der Deutsche Bundestag hatte Ende 2010 eine Neuregelung der Sicherungsverwahrung verabschiedet, die zum 1. Januar 2011 in Kraft getreten ist:
http://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2010/32432993_kw48_sp_sicherungsverwahrung/index.html
Das Bundesverfassungsgericht(BVerfG) hat am 4. Mai 2011 in seiner Urteilsverkündung alle bisherigen Gesetze zur Sicherungsverwahrung ab 1998 bis einschließlich 2011 für verfassungswidrig erklärt:
http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rs20110504_2bvr236509.html
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte(EGMR) hatte die Bundesrepublik Deutschland ebenfalls wegen Verstoß gegen die Menschenrechtskonvention verurteilt.
1. Welche Positionen hatten Sie persönlich vor den oben genannten Entscheidungen vertreten, und welche Positionen vertreten Sie heute ?
2. Das BVerfG hat dem Gesetzgeber aufgegeben, erneut eine Neuregelung bis Mai 2013 zu beschließen. Ab welchem Datum wird das neue Gesetzgebungsverfahren eingeleitet und zu welchem Zeitpunkt ist mit einer weiteren Anhörung von Experten im Rechtsausschuss zu rechnen?
3. Die momentane Gesetzeslage nach § 66 ff. StGB sieht eine Erleichterung bei der Verhängung der vorbehaltlichen Sicherungsverwahrung im Urteil vor. Eine Wahrscheinlichkeitsprognose für zukünftige Straftaten reicht aus. Soll dies auch weiterhin so bleiben und warum ?
4. Der Begriff der "psychischen Störung" ist nach meiner Ansicht unklar definiert. Sollen unter diesen Begriff auch alle die Personen fallen, die eine pädophile Orientierung besitzen und allein dies ausreicht, um einen Pädosexuellen zur Sicherungsverwahrung zu verurteilen ?
5. Im Gesetzgebungsverfahren und bei den Anhörungen im Rechtsausschuss wurden bisher immer nur Experten mit ihren Gutachten angehört. Besteht eigentlich die Möglichkeit, dass sich auch die Betroffenen selbst - z.B. die Pädosexuellen - zu Wort melden und ihre Meinung äußern können ?
Für die Antworten danke ich.
Sehr geehrter Herr Gieseking,
vielen Dank für Ihre Frage zu einer Neuregelung der Sicherungsverwahrung.
Das Bundesverfassungsgericht hat die bisherigen Regelungen zur Sicherungsverwahrung nicht per se für verfassungswidrig erklärt. Es hat die grundsätzliche Notwendigkeit eines solchen Rechtsinstituts im Lichte des liberalen deutschen Strafrechts mit seinen im internationalen Vergleich eher geringen Strafen grundsätzlich anerkannt. Gerügt wurde, dass sie in ihrer konkreten Ausgestaltung nicht dem Abstandsgebot zwischen Strafe und Vollzug der Sicherungsverwahrung genügen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird deshalb auch nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 an dem zweispurigen System im deutschen Recht festhalten. Das Strafgesetzbuch wird weiterhin Strafen als Sanktion für begangenes Unrecht und die Maßregel Sicherungsverwahrung als präventive Maßnahme für auch nach der Verbüßung ihrer Haftstrafe noch hochgefährliche Straftäter vorsehen.
Begrüßenswert ist dabei, dass das Bundesverfassungsgericht die von der christlich-liberalen Koalition kürzlich verabschiedete Reform der Sicherungsverwahrung mit dem Therapie- und Unterbringungsgesetz offenbar als gangbaren Weg betrachtet, der auch die Anforderungen des Straßburger Menschenrechtsgerichtshofs erfüllt. Daran wird sich auch die Neuregelung zur Sicherungsverwahrung im Übrigen orientieren. Es liegt nunmehr am Gesetzgeber, und zwar - wie Karlsruhe ausdrücklich betont - an Bund und Ländern, bis zum 31. Mai 2013 zu einer Lösung zu kommen, die den Anforderungen des Verfassungsgerichts gerecht wird.
Konkrete Termine für das Gesetzgebungsverfahren stehen aber noch nicht fest. Alle Bürger können sich immer mit Vorschlägen einbringen, bei der Neuregelung zur Sicherungsverwahrung können dies beispielsweise Selbsthilfegruppen Pädophiler sein. Betroffenen Tätern ein Forum bieten zu wollen, etwa als Sachverständige im parlamentarischen Verfahren, wäre allerdings abwegig.
Mit freundlichen Grüßen
Elisabeth Winkelmeier-Becker