Frage an Elisabeth Schroedter von Marcel S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Schroedter,
gern möchte ich mich heute mit ein paar Fragen zum EU-Parlament an Sie als ‚meine Brandenburger Europa-Abgeordnete‘ wenden, da ich dachte, dass ich mit folgenden Fragen bei Ihnen genau an der richtigen Stelle bin. Natürlich habe ich diesbezüglich auch im Internet recherchiert – nur sind die Massen an Informationen z. T. verwirrend und recht kurze prägnante Informationen und übersichtliche Internetlinks dazu würden mir völlig ausreichen. Vielen Dank im Voraus, falls Sie mir folgende Fragen beantworten können!
1. Warum genau wurde das EU-Parlament gegründet?
2. Welche Kompetenzen genau hat das EU-Parlament im Laufe der Zeit hinzugewonnen?Wann und mit welchem Vertrag ist dies genau geschehen?
3. Auf welchen Politikfeldern hat das EU-Parlament und die EU allgemein Gesetzgebungskompetenzen und auf welchen Gebieten liegen die Kompetenzen ausschließlich bei den Mitgliedstaaten?
Vielen Dank!
Mit freundlichen Grüßen
Marcel Schöneberg
Sehr geehrter Herr Schöneberg,
vielen Dank für Ihre Anfrage und Ihr Interesse an der Geschichte des Europäischen Parlaments. Ihre Fragen sind nicht kurz zu beantworten, denn sie umfasst eine fast 50jährige Geschichte eins spannenden internationalen Demokratieprozesses. Ich habe mich bemüht, diesen hier so kurz es geht zu skizzieren.
Als die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl 1951 mit dem Ziel der Sicherung des Friedens in Europa auf Grundlage einer engen wirtschaftlichen Verflechtung gegründet wurde, stand ihr eine europäische parlamentarische Versammlung von zunächst 78 Mitgliedern zur Seite. Dieses Gremium, aus dem später das Europäische Parlament hervorgehen sollte, hatte ausschließlich beratende Funktion. 1962 hatte sich die Zahl der Entsandten verdoppelt, da das Gremium gemäß der Römischen Verträge (1957) auch für die damit gegründete Europäische Atomgemeinschaft, sowie die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft zuständig sein sollte. Die Versammlung, die sich selbst schon als Europäisches Parlament bezeichnete setzte sich jedoch aus Entsandten der beteiligten Regierungen zusammen und war folglich nur beschränkt demokratisch legitimiert.
Eine der wichtigsten Kompetenzen des Europäischen Parlaments ist seit 1975 die Mit-Entscheidung über den Haushalt der Gemeinschaften gemeinsam mit dem Rat der EU.
1979 wurde das Europäische Parlament zum ersten Mal direkt von den Bürgerinnen und Bürgern der EWG gewählt. Damit ist das Europäische Parlament bis heute in der EU das einzig direkt von den Bürgerinnen und Bürgern demokratisch legitimierte Organ.
Kraft dieser Legitimation hat das Parlament seine Kompetenzen maximal ausgereizt und so in jeder Vertragsreform des EU-Grundlagenvertrages neue Kompetenzen hinzugewonnen. Die Einheitliche Europäische Akte (EEA) von 1986 war die erste Reform seit Gründung. Die Versammlung, die sich selbst schon seit 1962"Europäisches Parlament" nannte, wird im darin zum ersten Mal so bezeichnet.
Nachdem ich 1994 zum ersten Mal ins Europäische Parlament gewählt wurde kam es noch in derselben Legislatur mit dem Vertrag von Amsterdam zur neuerlichen Kompetenzerweiterung des EP (Art. 189ff EG). Mit dem Amsterdamer Vertrag (1999) stehen wir bei der Gesetzgebung auf einer Ebene mit dem Rat und stimmen über die Einsetzung des oder der vom Rat ernannten Kommissionspräsidenten/-präsidentin ab - ohne unsere Zustimmung konnte dieses Amt jetzt nicht mehr vergeben werden.
Mit dem Vertrag von Nizza 2002 wurden Grundlagen für die weitere Demokratisierung der EU geschaffen. Einen geeigneten Überblick über den damit geschaffenen Rechtsrahmen neuer Kompetenzen des EP verschafft Ihnen diese Seite: http://europa.eu/legislation_summaries/institutional_affairs/institutions_bodies_and_agencies/o10000_de.htm
Seit Dezember letzten Jahres ist nun der Vertrag von Lissabon in Kraft. Der Vertrag gibt uns Abgeordneten die Kompetenzen und Verantwortung in 40 weiteren Politikbereichen mit zu entscheiden, darunter auch bei den Strukturfonds, an deren Ausrichtung ich mit anderen Abgeordneten in einer High-Level-Group im Ausschuss für Regionale Entwicklung arbeite. Das Parlament wählt den Präsidenten der Europäischen Kommission auf der Grundlage eines Vorschlags der Staats- und Regierungschefs. Auch die oder der neue Hohe Vertreter für die Außen- und Sicherheitspolitik benötigt als Vize-Präsident(in) der Kommission die Zustimmung des Europäischen Parlaments.
Zu den wichtigen Änderungen durch den Reformvertrag von Lissabon, empfehle ich Ihnen:
http://www.europarl.europa.eu/parliament/public/staticDisplay.do?language=DE&refreshCache=yes&pageRank=1&id=66
Ich habe im Zusammenhang mit den ersten Europäischen Wahlen die wichtige Bedeutung des EP als demokratisches Element in der EU betont. Mit dieser Legitimation und der Öffentlichkeit aller Sitzung hat das Europäische Parlament sich selbst zum Motor eine dynamischen Prozesses der Demokratisierung der EU gemacht. Allein die öffentliche Anhörung der Kommissare, die dank der Neuen Medien bereits das zweite Mal europaweit übertragen werden konnte, zeigt, wie das Europäische Parlament ein einfaches Zustimmungsverfahren transparent gestalten und politisieren kann. Diese Anhörungsverfahren sind eine Erfindung des Parlaments im Rahmen des vertraglichen Auftrages, der Kommission zuzustimmen. Gerade, die häufig in den Medien und Lehrbüchern zitierte Behauptung, das Europäische Parlament wäre zahnlos, hat uns Abgeordneten angestachelt, unsere Spielräume kreativ zu nutzen. Damit haben wir in den täglichen politischen Auseinandersetzungen mit der Kommission und dem Rat unseren Einfluss weit über die schriftlichen Vertragsgrundsätze erweitern können.
Mit dem Lissabonner Vertrag, der das Mitentscheidungsverfahren des Europäischen Parlamentes als Regelverfahren einführt ist ein Höhepunkt erreicht worden. Auch hier die Spielräume auszureizen, dazu ist auch das aktuelle Parlament fest entschlossen. Die Zurückweisung des internationalen SWIFT-Abkommens aus Datenschutzgründen ist ein Beleg dafür.
Bitte haben Sie Verständnis, dass ich unmöglich alle Kompetenzen nebst Rechtsgrundlagen hier für Sie in der gebotenen Qualität aufarbeiten kann. Eine sehr gelungene und knappe Zusammenstellung der drei Befugnisse Mitentscheidungsbefugnis, Haushaltsbefugnis und Kontrollbefugnis finden Sie hier: http://www.europarl.europa.eu/parliament/public/staticDisplay.do;jsessionid=F523A62361EEACEDCC6F880D1B6E68A9.node1?language=DE&id=46
Die Rechtsgrundlagen ergeben sich u. a. aus den Art. 223 bis 234 AEU
Den Volltext des Vertrages über die Arbeitsweise der EU finden Sie hier:
http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:C:2008:115:0047:0199:DE:PDF
Zu Ihrer dritten Frage: alle Gesetzgebungskompetenzen liegen bei den Mitgliedsstaaten in den Bereichen, die nicht im Vertrag über die EU benannt sind. Bei jeglicher EU-Rechtssetzung gilt das Subsidiaritätprinzip, das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung, sowie das Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Das bedeutet im Einzelfall, dass europäische Kompetenzbereiche nicht ausschließlich durch die EU geregelt werden, sondern auch in diesen Bereichen die Gesetzgebung der Mitgliedsstaaten ausreichen kann. Lesen Sie dazu die Art. 4 und 5 EU.
Den Volltext zum Vertrag über die EU finden Sie hier:
http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:C:2008:115:0013:0045:DE:PDF
Zu den ausschließlichen sowie geteilten Zuständigkeiten der EU in einzelnen Politikbereichen empfehle ich Ihnen die Lektüre der Art. 2 bis 6 AEU. Die Aufstellung ist recht übersichtlich.
Mit freundlichen Grüßen,
Elisabeth Schroedter, MdEP