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Ekin Deligöz
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Frage von Ines E. •

Frage an Ekin Deligöz von Ines E. bezüglich Familie

Guten Tag

Der Steuerfreibetrag entspricht dem kulturellen Existenzminimum, er beträgt in Deutschland 7.664 Euro für Einzelpersonen, für Ehepaare 15.328. Bürger, die Familien gründeten, Kinder erziehen, erhalten im Hartz IV-System monatlich aber nur 533 (311 plus 222 Mietanteil), jährlich 6396 Euro für Essen, Wohnung, Strom, Medikamente..., Differenzbetrag: 1.268 Euro.

Mit welchem Recht werden Bürger in Deutschland für Familiengründungen mit dem teilweisen Entzug des kulturellen Existenzminimums (monatlich 105,67 Euro) massiv bestraft? Auch die Absenkung von Arbeitslosengeld 1 auf Sozialhilfeniveau erfolgte/erfolgt per Gesetz unabgefedert, sobald jemand eine Familie gegründet hatte und Kinder/Enkelkinder erzieht. Warum? Es gibt kein gesetzlich verankertes Recht auf Arbeit, kein Recht auf fair bezahlte Arbeit.

Freundliche Grüße Ines Eck

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau Eck,

In Ihrer Anfrage weisen Sie u. a. auf die unterschiedliche Höhe des steuerlichen und des soziokulturellen Existenzminimums, den Hartz-IV- Regelsätzen, hin. Die Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts sieht vor, dass dem Steuerpflichtigen nach Erfüllung seiner Einkommenssteuerschuld von seinem Erworbenen zumindest soviel bleiben muss, wie er zur Bestreitung seines notwendigen Lebensunterhalts und desjenigen seiner Familie bedarf. Dieser Betrag darf den Mindestbedarf des Sozialhilferechts nicht unterschreiten - demnach ist der im Sozialhilferecht anerkannte Mindestbedarf die Maßgröße für das steuerliche Existenzminimum. Einen umgekehrten Wirkungszusammenhang gibt es hingegen allerdings nicht. Das steuerliche Existenzminimum wirkt sich auch auf die Freibeträge für Kinder und indirekt auch auf das Kindergeld aus. Wie Sie kritisiere ich die soziale Schieflage im bestehenden System. Derzeit erhalten gut verdienende Eltern über die steuerlichen Freibeträge eine höhere Förderung für ihre Kinder als "normale" Kindergeldbezieher und Hartz-IV-Bezieher. Da das Kindergeld auf die Regelsätze angerechnet wird, bekommen sie bei einer Kindergelderhöhung unterm Strich sogar weniger als vorher.

In der grünen Bundestagsfraktion setzen wir uns bereits seit langem dafür ein, dass Kinder nicht mehr als kleine Erwachsene behandelt werden, denen lediglich ein prozentual abgeleiteter Regelsatz zur Verfügung gestellt wird. Stattdessen fordern wir, dass die entwicklungsbedingten Bedarfe von Kindern von einer unabhängigen Expertenkommission ermittelt werden. Darüber hinaus diskutieren wir das Modell einer einkommensorientierten Kindergrundsicherung. Diese sieht vor, dass jedes Kind monatlich 330 Euro bekommt. Dieser Betrag soll entsprechend der Leistungsfähigkeit der Eltern besteuert werden. Das heute ungerechte System der Familienförderung würde dadurch umgedreht: Familien, die sich im Hartz-IV-Bezug befinden sowie Familien mit kleinen und mittleren Einkommen bekämen mehr und Familien mit hohen Einkommen weniger als heute.

Bei der Einführung des Arbeitslosengeldes II war uns schnell klar, dass die Regelsätze für ALG II-Beziehende zu niedrig sind. Andererseits wollten und wollen wir eine bessere Betreuung der Langzeiterwerbslosen und ein einheitliches System der Hilfestellung für diejenigen, die nicht nur einen Job, sondern auch vielfältige weitere Hilfen bei der Bewältigung ihrer Probleme benötigen. Hierzu zählen etwa brauchbare Qualifizierung, öffentlich geförderte sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, verlässliche Kinderbetreuung oder eine Entschuldung durch Privatinsolvenz. Die grüne Bundestagsfraktion hat daher im Dezember 2003 trotz der erkannten Schwachpunkte und Risiken mehrheitlich dem "Vierten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt" zugestimmt. Nach einer Zeit der kontroversen Diskussion und gründlicher Auswertung der Wirkung der Arbeitsmarktgesetze hat die Grüne Partei im November 2007 eine (selbst)kritische Bilanz gezogen und sich für eine "Grüne Grundsicherung" entschieden.

Die Grüne Grundsicherung besteht aus zwei gleichberechtigten, sich ergänzenden Komponenten: Zum einen wollen wir die materiellen Leistungen anheben, damit sie tatsächlich den notwendigen Bedarf decken. Der Regelsatz für Erwachsene soll - Berechnungen von Wohlfahrtsverbänden und Armutsforschern folgend - auf 420,- Euro plus Unterkunftskosten für Erwachsene ansteigen. Zum anderen wollen wir einen Ausbau öffentlicher Leistungen, die zur Teilhabe befähigen sollen. Denn Armut und gesellschaftliche Ausgrenzung bestehen nicht allein im Mangel an Geld, sondern auch im eingeschränkten Zugang zur Bildung und anderen Gemeinschaftsgütern und in der Verweigerung des Zugangs zum Erwerbsarbeitsmarkt - etwa durch Diskriminierung.

Mit freundlichen Grüßen

Ekin Deligöz

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