Frage an Ekin Deligöz von Johannes S. bezüglich Finanzen
Sehr geehrte Frau Deligöz
Im Herbst letzten Jahres habe ich Sie befragt, was Sie zu tun gedenken, wenn die Bürgschaften, die Deutschland für andere Länder gegeben hat, tatsächlich fällig werden. Namentlich, ob Sie die Verbindlichkeit für nichtig erklären, den Bürger direkt oder indirekt (auf dem Wege der Inflation) enteignen würden oder ob Sie eine andere Lösung haben. Ich habe hierauf keine Antwort erhalten. Zu welchem Zweck blenden Sie diese Frage aus?
Angesichts der Besteuerungsdebatte gewinne ich den Eindruck, dass die etablierten Parteien, besonders SPD und Grüne das Ziel verfolgen, dem Bürger so viel von seinem Einkommen zu nehmen, dass er von staatlichen „Wohltaten“ abhängig und steuerbar wird. Besonders gut lässt sich dies anhand der Debatte Kinderfreibetrag versus Kindergeld verfolgen. Das eine ist eine einkommensabhängiger Rückerstattung/Erlaß von Steuern, die auf das Existenzminimum des Kindes bezahlt wurden, das andere eine „Aufzuchtsprämie“ unabhängig von Einkommen. Was soll an einer Erhöhung des Kinderfreibetrags „ungerecht“ sein?
Gruß
J.Stempfle
Sehr geehrter Herr Stempfle,
vielen Dank für Ihre Fragen vom 7. September 2013.
Zu Ihrer ersten Frage: Deutschland hat in dem Sinne keine Bürgschaften direkt an andere Länder gegeben, sondern an die Rettungsschirme „Europäische Finanzstabilisierungsfazilität“ (EFSF) und „Europäischen Stabilitätsmechanismus“ (ESM). Beim ESM werden jedoch keine Garantien ausgegeben, sondern es wird direkt Stammkapital eingezahlt. Die Rettungsschirme wiederum haben zu günstigen Bedingungen (Zinsvorteil) Geld am Markt aufgenommen und den Programmländern in Form von Krediten zur Verfügung gestellt. Das Deutschland diesen Investoren gegenüber die Verbindlichkeiten für nichtig erklärt oder nicht haftet, ist vollkommen undenkbar. Damit wäre unsere Reputation und unsere Glaubwürdigkeit am Markt dahin und wir müssten umgehend ein Vielfaches der Zinsen für unsere Staatsanleihen zahlen, was heute üblich ist. Dies wäre also in jeder Hinsicht eine schlechte Idee.
Uns liegt es fern, die Bürger zu enteignen. Der Euro hat Deutschland viele Vorteile gebracht und wir haben stark von ihm profitiert. Wir wollen, dass dies auch in Zukunft so bleibt und setzten uns deshalb dafür ein, die Eurokrise zu lösen. Wir sind uns ziemlich sicher, dass die Kosten der Eurorettung deutlich geringer sind als all das, was bei einem Zusammenbruch der Währungsunion auf uns zukommen würde. Wenn wir heute den Euro abschaffen und die D-Mark wieder einführen würden, bekäme uns das sehr schlecht. Dafür gibt es viele Gründe. Ein wichtiger ist, dass Deutschland seine Währung stark aufwerten müsste, somit deutsche Produkte im Ausland sehr viel teurer würden und bei uns im Land die Arbeitslosigkeit stark steigen würde.
Die Gefahr einer Inflation ist selten so gering gewesen wie heute. Halb Europa steckt in einer schweren Wirtschaftskrise. Die Zahl der Arbeitslosen steigt dramatisch. Die Auslastung der Produktionskapazitäten ist vielerorts auf dem niedrigsten Stand seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Inflation entsteht jedoch, wenn die Kapazitäten ausgelastet sind (d.h. alle Fabriken auf Hochtouren laufen) und die Arbeitslosigkeit niedrig ist - weil dann höhere Löhne durchgesetzt werden können, die wiederum einen Anstieg der Produktpreise nach sich ziehen. Wenn sie sich für das Thema interessieren kann ich Ihnen einen Zeit-Artikel sehr empfehlen, der die selbe Thema noch mal etwas ausführlicher beschreibt. http://blog.zeit.de/herdentrieb/2013/05/05/die-inflationsluge_5986
Zu ihrer zweiten Frage möchte ich mich nur inhaltlich und nicht weiter zu Ihrer Wortwahl äußern.
Anders als Sie behaupten, handelt es sich nicht nur beim Kinderfreibetrag sondern auch beim Kindergeld zum Teil um eine Rückerstattung der steuerlichen Freibetragswirkung. Richtig ist, dass bei niedrigem Einkommen das Kindergeld über der steuerlichen Freibetragswirkung liegt, d.h., dass Eltern einen höheren Transferbetrag erhalten, als wenn sie das Existenzminimum des Kindes steuerlich geltend machen würden. Der Differenzbetrag, also der Unterschied zwischen Kindergeldhöhe und steuerliche Freibetragswirkung, wird auch Förderanteil des Kindergeldes genannt. Das Kindergeld ist also keine reine Transferleistung des Staates.
Damit der Kinderfreibetrag günstiger ist – und man damit auch von einer Erhöhung profitieren würde – muss das Haushaltseinkommen über 75.000 Euro im Jahr liegen. Während „normale“ Kindergeldempfänger monatlich für ihr Kind 184 € Kindergeld bekommen, erhalten Spitzenverdiener über den Kinderfreibetrag für ein Kind heute bis zu 278 Euro pro Monat, also 94 Euro mehr als die meisten anderen Eltern mit niedrigem und mittlerem Einkommen. Erhöht man nun den Kinderfreibetrag, wird diese Differenz noch größer. Nur etwa die obersten 15% der Familien haben ein so hohes Einkommen, dass sie vom Kinderfreibetrag und dementsprechend von einer Erhöhung des Freibetrags profitieren. Diesen Umstand finden wir tatsächlich ungerecht. Wir wollen, dass auch im Steuerrecht alle Kinder gleich viel wert sind. Jedes Kind soll unabhängig vom Einkommen seiner Familie die gleiche finanzielle Unterstützung vom Staat erhalten. In einem ersten Schritt wollen wir daher das Kindergeld um 22 Euro pro Monat erhöhen – finanziert aus dem Abschmelzen des Ehegattensplittings; weitere Mittel daraus sollen zur Verbesserung des Bildungssystems eingesetzt werden. Mittelfristig streben wir ein Modell an, das Kinderregelsätze, Kinderzuschläge sowie die steuerlichen Kinderfreibeträge vollständig obsolet macht.
Mit freundlichen Grüßen
Ekin Deligöz