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Ekin Deligöz
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Frank B. •

Frage an Ekin Deligöz von Frank B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Deligöz,

mich würde interessieren warum Sie sich nicht zu einem klaren "NEIN" zu Internet-Sperren entschlossen haben?

Dieses Gesetz ist meiner Meinung nach kein wirksamer Schutz gegen Kinderpornographie im Internet. Ich möchte an dieser Stelle auch nochmals auf das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags zu diesem Thema hinweisen.

Mit freundlichen Grüßen
Frank Berger

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehter Herr Berger,

Sie haben mich gebeten, Ihnen mein Abstimmungsverhalten zum Gesetz zur Bekämpfung der Kinderpornographie in Kommunikationsnetzen zu erläutern. Dieser Bitte komme ich gerne nach.

Bereits im Vorfeld zur Abstimmung des Gesetzes zur Bekämpfung der Kinderpornographie in Kommunikationsnetzen, hat die Diskussion über einen geeigneten Weg für ein wirkungsvolles Vorgehen gegen Kinderpornographie hohen Wellen geschlagen.

Es ist naheliegend, dass Diskussionen in einem solchen Themenfeld kontrovers laufen. Denn wir bewegen uns hier in einem enormen Spannungsverhältnis zwischen Freiheits- und Schutzrechten.

Ich beschäftige mich als Kinder- und Familienpolitikerin seit Jahren mit dem Schutz von Kindern vor sexueller Gewalt und Ausbeutung. Kinder haben in ganz besonderer Weise einen Anspruch auf Schutz und Unversehrtheit. Dies wird nicht zuletzt daran deutlich, dass die Fallzahlen stetig zunehmen und die betroffenen Kinder immer jünger sind. Der sexuelle Missbrauch von Kindern ist ein besonders widerwärtiges Delikt und das gilt auch für die Verbreitung der Bilder in Heften oder in elektronischen Netzen. Der Schaden, der Kindern und Jugendlichen auf diese Weise zugefügt wird, ist immens. Ich möchte, dass jedes rechtsstaatliche Mittel genutzt wird, diese Taten zu verhindern, die Opfer zu schützen und zu rehabilitieren, die Verbreitung der Bilder zu unterbinden und die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Kinderpornographie muss auf allen Ebenen verfolgt und bestraft werden. Fakt ist: die schneller werdende Kommunikationstechnik, und hier insbesondere das Internet, ermöglicht die schnellere Verbreitung von kinderpornographischem Material. So müssen wir auch hier ansetzen, um diese Bilder aus dem Netz zu entfernen (wie es in Deutschland bereits seit Jahren durch richterlichen Beschluss gemacht wird) und wo das nicht möglich ist, den Zugang zu diesen Bildern zu erschweren. Es ist klar, dass "Stoppschilder" die sexuelle Ausbeutung von Kindern nicht verhindern. Aber sie erschweren die Verbreitung der Bilder und sensibilisieren die Öffentlichkeit für diese Verbrechen.

Wir Grünen waren neben der Bürgerrechtspartei immer auch eine Partei der Kinderrechte. Und als solche können wir die Positionen der Kinderschutzverbände, wie sie von namhaften Kinderschutzorganisation vertreten werden, nicht einfach übergehen. Wir müssen uns der unglaublichen Herausforderung eines umfassenden Kinderschutzes stellen. Das führt notwendiger Weise auch zu hoch kontroversen Abwägungsproblemen. Solche finden wir in verschiedensten Regelungsbereichen. Etwa bei der Abwägung zwischen Kindes- und Elternrechten. Hier geht es nicht um die Frage konservativer Familien- oder Rollenbilder, sondern um eine immer wieder neu erforderliche Abwägung zwischen Kindesrecht und Schutzauftrag auf der einen Seite, und Freiheitsrechten von Bürgern bzw. deren Autonomie vor dem staatlichen Eingriff auf der anderen Seite. Ähnlich kontrovers geführt wurden auch die Debatten und Entscheidungsfindungen bei Gewalt gegen Frauen bzw. häuslichen Gewaltdelikten. Die Sachverhalte sind nicht uneingeschränkt gleichzusetzen, aber von ihrer diskursiven Anlage her durchaus vergleichbar.

Das Internet ist kein rechtsfreier Raum und selbstverständlich ist das Internet auch kein bürgerrechtsfreier Raum. Auch ich, die ich mich bei der Abstimmung zum Gesetzesentwurf enthalten habe, wende mich entschieden gegen den Abbau des Rechtsstaats oder die Aufweichung von Grundrechten. Gleichzeitig konnte und wollte ich die Mängel, die das Gesetz in verschiedener Hinsicht hat, nicht übersehen. Deshalb habe ich diesem Gesetz NICHT zugestimmt.

Meine Enthaltung ist keine Zustimmung zum Gesetz. Den Anspruch auf eine zweifelsfrei rechtsstaatliche, verhältnismäßige und effektive Bekämpfung dieses Delikts im Internet über die aktuellen Möglichkeiten hinaus - als ein Beitrag zu einem umfassenden Kinderschutz - habe ich nicht aufgegeben. Dem wollte ich durch meine Enthaltung bei der Abstimmung Ausdruck verleihen. Ich will mit der Enthaltung zu verstehen geben, dass ich die Intention des Gesetzes teile, aber dem Gesetzentwurf in seiner vorliegenden Form wegen unterschiedlicher Bedenken nicht zustimmen kann. Ich habe zudem eine persönliche Erklärung zur Abstimmung im Deutschen Bundestag abgegeben. Nicht jeder hat sich wohl der Entscheidung stellen wollen - so erkläre ich mir zumindest, dass von der FDP-Fraktion 7 und von der Fraktion DIE LINKE sogar 17 Abgeordnete gar nicht zur Abstimmung erschienen sind.

Zielkonflikte wie jetzt zwischen Internet-Community und Kinderrechtrechtlerinnen haben die grüne Partei immer begleitet und wir haben sie immer in gegenseitigem Respekt bearbeitet. Ich hoffe deshalb, dass Sie meine Entscheidung, die ich nicht leichtfertig getroffen habe, als eine der Stimmen der Grünen respektieren, auch wenn Sie sie nicht teilen.

Mit freundlichen Grüßen

Ekin Deligöz

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