Frage an Eberhard Brecht von Jochen B. bezüglich Verteidigung
Sehr geehrter Herr Brecht,
als Physiker bin ich sehr besorgt über die Aussicht, Drohnen zu bewaffnen. Während anfänglich die SPD hier auf einen öffentlichen Diskurs gesetzt hat, nehmen nun etliche Spitzenpolitiker ihrer Partei eine Entscheidung quasi vorweg, und es scheint kaum noch zu verhindern sein. Diese Entwicklung finde ich höchst besorgniserregend. Drohnen werden damit zu unbemannten Kampfmaschinen gemacht. Das Risiko, "eigenes" Leben zu riskieren, verringert sich deutlich, die Hemmschwelle für Kampfhandlungen wird weiter gesenkt. Und die Maschinen werden dann sicher nicht nur zum Kampf gegen ihresgleichen eingesetzt, sondern töten anderes Leben. Dabei mit dem Schutz des Lebens eigener Soldaten zu argumentieren ist höchst unethisch. Deshalb sollte so etwas weltweit verboten werden, und Deutschland könnte sich stark dafür machen. Wenn man eigene Soldaten schützen will, wäre die beste Lösung, sie nicht in Kriegsgebiete zu schicken. Wie ist Ihre persönliche Einstellung zu diesem Thema, und wie würden Sie abstimmen, falls es hierzu irgendeine Abstimmung gäbe?
Viele Grüße Jochen Bonitz
Sehr geehrter Herr Bonitz,
in Ihrem Schreiben ist eine stark ethisch geprägte Bewertung des Einsatzes bewaffneter Drohnen erkennbar, für die ich Dir Respekt zolle. Aus Ihren Zeilen spricht die tiefe und auch ehrliche Sorge über ein entfesseltes Potenzial militärischer Eskalation. Auch ich bin Physiker wie Sie, komme aber dennoch zu einer anderen Bewertung.
Wie viele westdeutsche Sozialdemokraten bin auch ich als DDR-Bürger über die innerdeutsche Grenze hinweg von der Entspannungspolitik von Egon Bahr und Willy Brandt geprägt worden, einer Politik, die Verständigung und Abrüstung auf Augenhöhe* implizierte. Und ich denke, dass wir darin übereinstimmen, dass Armeen und Kriegsgerät in dieser Welt eigentlich abgeschafft gehören. Da dies unter den gegebenen Umständen für ein wirtschaftlich starkes Land in der Mitte Europas derzeit keine wirkliche Option ist, sollten Deutschland und die NATO bei Aufrechterhaltung der Verteidigungsfähigkeit nicht ein Wettrüsten befeuern, sondern für eine Entspannung mit allen potenziellen Gegnern sowie für eine umfangreiche und nachhaltige Abrüstung eintreten. Aber: Bewaffnete Drohnen sind nun nicht vorrangig für die Landes- und Bündnisverteidigung, sondern vor allem für die mandatierten Auslandseinsätze vorgesehen, somit also nicht als Gegenstand von Abrüstungsgesprächen mit Russland oder China prädestiniert.
Beim Lesen Ihrer einzelnen Vorbehalte bekam ich den Eindruck, dass Sie in der Bundeswehr eher ein Instrument von gesellschaftlichen Partikularintessen sehen, der man mit äußerstem Misstrauen gegenüber stehen sollte. Ich hingegen verstehe unsere Streikräfte als eine von uns allen gewollte, aber eben auch eine vom Bundestag kontrollierte Armee**. So sind die missbräuchliche, ja völkerrechtswidrige Einsätze von bewaffneten Drohnen durch die Bundeswehr mit einer Legitimation durch den Deutschen Bundestag nicht vorstellbar, solange dieser nicht von extremistischen Parteien dominiert wird.
Ich habe den zwei Anhörungen entnommen, dass die Bewaffnung von Drohnen weder dem Völkerrecht noch dem Grundgesetz widerspricht. Dies war für mich die zentrale Aussage der juristischen Experten.
Nun stellen Sie grundsätzlich die Frage nach einer Notwendigkeit dieser Schutzkomponente. Ich erinnere an die traumatische Erfahrung des Freitagsgefechts 2010 in der Provinz Kunduz, in dessen Folge drei deutsche Soldaten aus dem Hinterhalt heraus durch radikalislamische Taliban getötet und etliche verwundet wurden. Diese und die anderen eingekesselten Soldaten würden heute ebenfalls tot sein, wären sie nicht durch die Amerikaner gerettet worden. Bei meinen Besuchen in Bundeswehrstandorten haben mir Bundeswehrangehörige verschiedener Dienstgrade ans Herz gelegt, durch den Einsatz bewaffneter Drohnen mehr für ihren Schutz zu tun. Sie können nicht verstehen, warum es in ca. 40 Ländern diese Drohnen gibt, in Deutschland aber nicht. Die bewaffneten Drohnen sind nämlich eine besonders geeignete Schutzkomponente, da ihre Einsatzdauer deutlich höher als die eines herkömmlichen Kampfflugzeuges ist. Des Weiteren bietet die übliche Ausstattung mit Kameras die bereits bewährte Möglichkeit, das Einsatzgebiet durchgängig zu beobachten, was einem Flugzeugpiloten in dieser Weise nicht möglich ist. Dieser entscheidende Vorteil kann sich dann zugunsten der Soldaten auswirken, wenn diese während einer Patrouille von einer Drohne begleitet werden. Geraten die Soldaten in einen Hinterhalt, so besteht mit der Verfügbarkeit einer bewaffneten Drohne die Möglichkeit die gegnerischen Kräfte gezielt zu bekämpfen und so das Risiko für eigene Verluste zu minimieren.
Eine große Gefahr von Kolateralschäden sehe ich nicht. Im Gegenteil: Da bewaffnete Drohnen von ihren Piloten extrem langsam bewegt werden können, haben diese ausreichend Zeit, sich ein umfängliches Lagebild zu verschaffen. Dem Piloten eines zum Schutz bedrohter Patrouillen angeforderten Kampfflugzeuges hingegen bleiben naturgemäß nur Sekunden, um bei seinem Beschuss zwischen Kombattanten, gegnerischen Kräften und unbeteiligten Zivilisten, also Frauen, Männer und Kinder zu entscheiden. Von der Ungenauigkeit anderer Waffensysteme wie die Panzerhaubitze*** mit einer Reichweite bis 80 km ganz zu schweigen. Inwieweit ein im Einsatzgebiet operierender Drohnenpilot mehr zu einem „entmenschlichten Töten“ als ein Pilot eines Kampfjets oder ein Schütze der Panzerhaubitze neigt, erschließt sich mir nicht.
Ich habe hingegen eine ganz andere Befürchtung: Der Siegeszug der künstlichen Intelligenz (KI) macht um die moderne Militärtechnik keinen Bogen. Um dies bildlich auszudrücken: Wenn der „rote Knopf“ gänzlich durch KI ersetzt worden ist, wird eine globale Katastrophe zu einem wahrscheinlichen Szenarium. Die daher gebotene Notwendigkeit einer digitalen Abrüstung sollte sich auf die den Weltfrieden insgesamt bedrohende Waffensysteme fokussieren, also vor allem auf land- oder seegestützte Mittel- und Langstrecken-Raketen sowie Bedrohungen aus dem Orbit.
Als Berichterstatter für das Sanitätswesens bin ich auch zuständig für die Betreuung von Soldatinnen und Soldaten mit posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS). Durch Gespräche mit Betroffenen weiß ich um diverse Folgeschäden, die eben nicht erst durch den Einsatz bewaffneter Drohnen entstehen. Bei allen Auslandseinsätzen ist mit posttraumatischen Folgen zu rechnen, weshalb bei deren Mandatierung nicht nur die völkerrechtliche Grundlage, das Mandat selbst und die physischen Risiken abzuwägen sind, sondern auch mögliche psychische Folgen. Ich habe die Berichte von traumatisierten Drohnenpiloten aus den USA gelesen. Ob es nun durch diese neue Verteidigungskomponente mit den von der SPD geforderten Randbedingungen tatsächlich zu einem signifikanten Anstieg oder möglicherweise zu einer Abnahme (siehe Karfreitagsgefecht) von Fällen einer PTBS-Schädigung kommt, vermag seriös derzeit niemand vorherzusagen.
Oft höre ich, die bewaffneten Drohnen seien eine Waffe der Feigheit, da der Drohnenpilot aus sicherer Deckung heraus die Hemmung des Tötens verliere würde. Diese Argumentation ist in der Militärgeschichte nicht neu: Als im 14. Jahrhundert Feuerwaffen eingeführt wurden, das Kampfprinzip „Mann gegen Mann“ an Bedeutung verlor, beklagten Teile des Adels den Verlust an Ritterlichkeit. Letztlich aber entwickelte sich die Waffentechnik zu wachsender Fernwirkung. Ich würde nun einem Drohnenpiloten, der ja a) im Kampfgebiet selbst und mit b) nur begrenzter Reichweite seiner Waffe agiert, keine Enthemmung beim Töten unterstellen wollen. Könnte nun aber dessen Auftraggeber, letztlich der Deutsche Bundestag, durch eine bessere Schutzkomponente für die eigenen Soldaten zu militärischen Abenteuern oder sogar zu einer weiteren „Militarisierung deutscher Außenpolitik“ ermutigt werden, wie es linke Politiker behaupten? Abgesehen von der Absurdität dieser These könnte im Umkehrschluss eine möglichst geringe Schutzkomponente für Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr bei Auslandseinsätzen zu einer deeskalierenden deutschen Außen- und Sicherheitspolitik beitragen.
Eine letzte Anmerkung zu der vermeintlich fehlenden öffentlichen Debatte zur Drohnenbewaffnung. Soweit ich mich zurück erinnern kann, wird seit ca. 8 Jahren inner- und außerhalb des Bundestages eine Drohnen-Diskussion geführt. Insofern widerspreche ich hier unserem Parteivorsitzenden. Richtig hingegen ist, dass diese Diskussion in der notwendigen Tiefe weder SPD noch in ihrer Bundestagsfraktion stattgefunden hat. Die Motivation ist nachvollziehbar: Bei einer überwiegenden Ablehnung bewaffneter Drohnen durch die SPD-Mitglieder und die Bevölkerung einerseits und dem hohen emotionalen Potenzial des Problems andererseits, steht jeder Erklärungsversuch in der Gefahr, dass die Drohnenthematik zum Verliererthema wird. Dies unterstreichen auch die vielen Schreiben, die wir als MdB’s erhalten.
Im Respekt vor anderen Auffassungen bleibe ich bei meiner Grundüberzeugung eines bestmöglichen Schutzes der Bundeswehrangehörigen im Einsatz.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Eberhard Brecht
*Teil dieser Augenhöhe war nicht nur die moralische Integrität eines Willy Brandt, sondern auch der gute Zustand der Bundeswehr, die unter seiner Regierungszeit Haushaltsmittel um die 3 % des BIP benötigte. Die ersehnte Friedensdividende mit dem scheinbaren Ende der bipolaren Welt widerspiegelte sich in einem Verteidigungshaushalt, der bis zum letzten Jahr etwas oberhalb von 1 % des BIP lag. Damit sank nicht nur die Zahl der Waffensysteme erheblich, sondern auch deren Einsatzfähigkeit, die sich entgegen der Behauptungen des BMVg weit unter 70 % bewegt. Hinzu kommt die erhebliche Reduzierung der Zahl der Bundeswehrangehörigen durch die Aussetzung der Wehrpflicht. Hochrüstung sieht anders aus.
**So nimmt beispielsweise der Verteidigungsausschuss das Bundesministerium für Verteidigung in die Pflicht, konsequent gegen rechtsextremistische Tendenzen vorzugehen. Auch Auslandseinsätze stehen – anders als bei einigen anderen NATO-Partnern - unter einem Parlamentsvorbehalt.
***In der Debatte zum Einzelplan 14 im Deutschen Bundestag forderte ein Fraktionsmitglied der Linken konsequenterweise die grüne Fraktion auf, mit ihrem NEIN zu bewaffneten Drohnen auch Panzerhaubitzen und andere Waffen mit großer Reichweite und geringerer Zielgenauigkeit aus der Bundeswehr zu entfernen. Recht hat er, ohne jedoch diese Konsequenz auch für seine eigene Partei einzufordern.