Was für ein Infektionsschutzgesetz wünschen sie sich?
Sehr geehrter Herr Wiese,
das Infektionsschutzgesetz wurde sehr oft geändert. Gibt es noch einen vollen Parlamentsvorbehalt?
Am 24.6.2021 hat der Bundestag beispielsweise eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes beschlossen, indem einem Gesetzentwurf zur Änderung des Stiftungsrechtes noch der Artikel 9 und 10 angehängt wurde. https://dserver.bundestag.de/btd/19/309/1930938.pdf
Danach können bestimmte von der Regierung erlassene Rechtsverordnungen noch ein Jahr lang nach der Aufhebung der Epidemischen Lage gelten und auch noch verändert werden. Es wird auch bestimmt, in welche Grundrechte eingegriffen werden darf: Körperliche Unversehrtheit, Freiheit der Person, Unverletzlichkeit der Wohnung usw.
Würden Sie dieses Gesetz auch ändern wollen? Voraussichtlich werden Sie ja bald weniger abhängig von der CDU sein. Was sollte darin stehen und was nicht?
Mit freundlichen Grüßen
Sehr geehrter Herr G.,
vielen Dank für Ihre Frage zum Infektionsschutzgesetz. Um es direkt vorweg zu nehmen: Die bisherigen Entscheidungen zum Infektionsschutzgesetz halte ich für richtig und notwendig. Lassen Sie mich im Folgenden aber einige Ausführungen dazu machen.
Die bestehende Rechtsgrundlage für die Corona-Schutzmaßnahmen der Länder, § 28 a Infektionsschutzgesetz, mit den Inzidenzwerten als alleinigem Maßstab für die Bewertung der epidemischen Lage halte ich als Mitglied der SPD-Bundestagsfraktion nicht mehr für angemessen. Der Inzidenzwert ist als Frühwarnsystem zwar weiterhin wichtig, hat mit steigender Impfquote allerdings eine andere Aussagekraft als bisher. Wenn die Inzidenzen steigen, aber immer mehr Menschen geimpft und damit vor schweren Verläufen der Krankheit im hohen Maße geschützt sind, sind deutlich höhere Anforderungen an die Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen zu stellen. Die SPD fordert deshalb bereits seit langem, neben den Inzidenzwerten weitere Faktoren für eine differenzierte Bewertung der Pandemie heranzuziehen.
Die Union hat eine Gesetzesänderung hierzu bisher stets abgelehnt. Es ist sehr zu begrüßen, dass sich der Bundesgesundheitsminister und die CDU/CSU-Bundestagsfraktion nun unserer Auffassung angeschlossen haben. Die SPD hat sich erfolgreich dafür eingesetzt, dass die Inzidenzschwellen von 35 und 50, die bislang den Staat zum Ergreifen von Maßnahmen verpflichtet haben, aus dem Gesetz gestrichen werden. Stattdessen wird künftig insbesondere die Hospitalisierungsrate wesentlicher Maßstab für weitergehende Schutzmaßnahmen der Länder sein. Daneben sind weitere Faktoren wie die Intensivbettenauslastung, das Infektionsgeschehen und die Impfquote zu berücksichtigen. Konkrete Eingriffsschwellen gibt das Gesetz nicht mehr vor – vielmehr sind diese auf Landesebene auf Grundlage der dortigen Versorgungskapazitäten festzulegen.
Folglich sollte das Infektionsschutzgesetz in der derzeitigen Lage noch Bestand haben, um insbesondere Kinder und vulnerable Gruppen zu schützen und das Aufkommen neuer Varianten des Corona-Virus zu verhindern.
Beste Grüße
Dirk Wiese