Wie stellt sich die Linke vor, den Frieden schaffen und zu sichern? Und warum ist die öffentliche Kritik der Linken sehr einseitg?
Sehr geehrter Herr Bartsch,
ich habe Ihren Beitrag im Bundestag gesehen, in dem Sie weitere Waffenlieferungen ablehnen und für diplomatische Möglichkeiten plädieren.
Wie stellen Sie sich vor, soll der Frieden erreicht und gehalten werden? 1994 hat Russland die Unabhängigkeit der Ukraine bestätigt und seit dem mehrfach wiederholt.
2014 hat es sich die RF anders überlegt und die Krim besetzt und einen Bürgerkrieg angestachelt.
Ende 2021 und Anfang 2022 waren alle Staatschefs der G7 mindestens einmal bei Putin, um einen Krieg zu verhindern. Er hatte allen ins Gesicht gelogen. Wie sollte die Welt mit Diplomatie helfen, wenn die Worte des Kremls nichts wert sind? Wie stellt sich die Linke vor, dass der Frieden hält und Russland es in ein paar Jahren nochmal probiert?
Wie sollen wir mit der Situation umgehen, wenn wir dem Aggressor nicht trauen können?
Warum hört man aus der Linken (bsp Sahra Wagenknecht) überwiegend Kritik an der Ukraine, aber kaum Kritik an Russland?
MfG
Mike B
Sehr geehrter Herr B.,
ich habe seit Beginn des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine zahlreiche Reden zu dem Themenkomplex im Deutschen Bundestag und darüber hinaus gehalten. Medial habe ich mich mindestens wöchentlich geäußert. Stets kritisiere ich auf das Schärfste Russlands Führung, nicht die Ukraine. Es gibt keinen Zweifel daran, wer Aggressor und wer Opfer dieser menschenverachtenden Aggression ist.
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung - nicht verdächtig linksnah zu sein - hat dieser Tage unter dem Titel „Ukraine: Der Krieg und die Macht der Verhandlung“ einen lesenswerten Gastbeitrag veröffentlicht.
Ich zitiere: „Im Krieg, den Russland gegen die Ukraine führt, spielen Verhandlungen bisher praktisch keine Rolle. Kann man sich vorstellen, dass es dabei bleibt? Wohl kaum, denn die Idee, den Konflikt ohne Verhandlung zu beenden, ist nicht tragfähig, da sie voraussetzt, dass eine der beiden Seiten kapituliert. Damit ist nicht zu rechnen. Keine Verhandlungen führen, um auf die Kapitulation zu warten, ist mit extremen Wohlfahrtsverlusten verbunden, würde sehr vielen Menschen das Leben kosten und birgt die Gefahr einer gefährlichen Eskalation des Konflikts.“ Und weiter: „Es sind mit hoher Wahrscheinlichkeit Verhandlungslösungen im Ukrainekrieg möglich. Wie sie konkret aussehen und ob sie erreicht werden können, lässt sich nicht sicher voraussagen. Sicher ist nur, dass es sie nur dann geben wird, wenn tatsächlich verhandelt wird.“
Das ist es, was ich von der Bundesregierung verlangen darf. In diplomatischen Gesprächen auszuloten: wie kann dieser Krieg, wie kann weiteres Leid beendet werden? Dass wir es nicht wissen, mag auch daran liegen, dass die westliche Staatengemeinschaft sich einseitig auf die Lieferung von Waffen festgelegt hat. Ohne zu benennen, wie die Kriegsziele lauten und ohne tragfähiges strategisches Konzept.
Schlicht zu liefern, was die Ukraine einfordert, um ihr Selbstverteidigungsrecht durchzusetzen, ersetzt dieses notwendige strategische Fundament nicht. Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik schrieb auf Spiegel Online nicht ohne Grund: „Mit einem derartigen Freibrief ließe sich auch die Lieferung taktischer Nuklearwaffen an die ukrainischen Streitkräfte rechtfertigen.“
Aus dieser Spirale des Kriegswahnsinns müssen wir ausbrechen. Zumindest muss doch der ernsthafte Versuch unternommen werden.
Freundliche Grüße
Dr. Dietmar Bartsch