Frage an Dietmar Bartsch von Hartmut M. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Sehr geehrter Herr Dr Bartsch,
gestern Abend kam bei NDR 1 Niedersachsen ein Bericht zu den monatliche Arbeitslosenzahlen. Dabei fiel mir auf, dass Sie von 1 Mio. Arbeitslosen gesprochen haben, die die offizielle Arbeitlosenstatistik nicht berücksichtigt.
Viele Medien gehen von noch mehr Arbeitslosen aus, die in der Statistik nicht berücksichtigt werden. Hierzu sende ich Ihnen diesen Link mit: http://www.faz.net/s/Rub0E9EEF84AC1E4A389A8DC6C23161FE44/Doc~E4CD6FB4CCAF94A538C5855380AA83774~ATpl~Ecommon~Scontent.html
Was stimmt nun Ihre Darstellung oder die der FAZ?
Mit freundlichen Grüßen
Hartmut Mayer
Sehr geehrter Herr Mayer,
vielen Dank für Ihre Anfrage vom 31.Juli 2009.
Arbeitslosigkeit ist eines der brennendsten Probleme unseres Landes. Andere Bundestagsparteien, die sich letztlich damit abgefunden haben, dass es Arbeitslose gibt, haben zu verantworten, dass Gesetze verabschiedet wurden, mit denen per Definition dafür gesorgt werden soll, dass das gesellschaftliche Problem Arbeitslosigkeit kleiner erscheint, als es in Wirklichkeit ist.
Per Definition sind die Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit korrekt, aber mit der Wirklichkeit haben sie nichts zu tun.
Obwohl es offiziell im Juli „nur“ 3.462.446 Arbeitslose gab, war die Zahl der Leistungsempfänger sehr viel größer. Im aktuellen Monatsbericht der Bundesanstalt für Arbeit heißt es: „Im Juli erhielten 5.982.000 erwerbsfähige Menschen Lohnersatzleistungen nach dem SGB III oder Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.“ Nach den gesetzlichen Definitionen für Arbeitslosigkeit gelten aber nur etwas mehr als 50 Prozent dieser Leistungsempfänger als „arbeitslos gemeldet“. Im März 2009 waren es 53 Prozent. Zu den „nicht arbeitslosen Leistungsempfängern“ zählen die mehr als 1,15 Millionen Menschen, auf die in meiner Presseerklärung verwiesen wird.
Die Bundesregierung entwickelt gemeinsam mit der Bundesanstalt für Arbeit regelmäßig neue „statistische Auswertungsverfahren“, mit denen die „Zahl der offiziell registrierten Arbeitslosen“ geschönt wird. Dazu zählt auch die im Mai 2009 eingeführte Regelung, wonach Arbeitslose, für die private Arbeitvermittler tätig werden, nicht mehr als „arbeitslos registriert“ werden, obwohl sie ohne Job sind.
Wir wollen mit unserer Übersicht darauf hinweisen, dass über eine Million Arbeitslose allein aufgrund statistischer Tricks aus der Nürnberger Bilanz herausmanipuliert worden sind. Wir haben deshalb mit amtlichen Zahlen diejenigen Gruppen von Arbeitslosen genannt, die eindeutig arbeitslos sind, aber per Definition nicht gezählt werden. Bei den Kurzarbeitern ist das etwas anders, weil sie nicht individuell arbeitslos sind. Gleichwohl ist es selbstverständlich richtig, darauf hinzuweisen, dass es ohne Kurzarbeit rund 500.000 zusätzliche Arbeitslose gäbe. Unterbeschäftigung in diesem Sinne gibt es auch bei vielen Mini- und Midijobs sowie bei der sogenannten geförderten Selbstständigkeit, die viele nur aus Mangel an Alternativen in Anspruch nehmen.
Die tatsächliche Arbeitslosigkeit in Deutschland kann mit unterschiedlichen Verfahren berechnet werden. Berücksichtigt man neben der offiziellen Arbeitslosigkeit nicht nur die statistischen Tricks, sondern auch die Kurzarbeit, andere Formen der Unterbeschäftigung und die sogenannte "stille Reserve", also all jene Menschen, die kapituliert haben und sich gar nicht mehr arbeitslos melden, dann fehlen sechs bis sieben Millionen Arbeitsplätze.
Die Überwindung der Arbeitslosigkeit verknüpft DIE LINKE u.a. mit der Forderung, dass Menschen, die in Vollzeit arbeiten, auch von ihrer Hände Arbeit leben können müssen. Deshalb gehört aus unserer Sicht zur Wahrheit über das Ausmaß der Arbeitslosigkeit auch die Zahl derer, die „nach getaner Arbeit“ ihren schmählichen Lohn mit Arbeitslosengeld II aufstocken müssen („Aufstocker“). Deren Zahl wird von der Bundesanstalt für Arbeit nicht monatlich veröffentlicht. Die letzte Angabe von 1,3 Millionen Menschen stammt aus dem März 2009.
Wer also die Arbeitslosigkeit inklusive der gesamten Unterbeschäftigung benennt, kommt zu höheren Schätzungen. Wir haben uns darauf konzentriert, die tatsächliche Arbeitslosigkeit zu berechnen, die sich aus eindeutigen amtlichen Daten ergibt.
Freundliche Grüße
Dr. Dietmar Bartsch