Frage an Detlev Pilger von Klaus Peter L. bezüglich Familie
Sehr geehrter Herr Pilger,
mit großer Besorgnis habe ich die Ergebnisse der Sondierungsverhandlungen gelesen. Hier beziehe ich mich auf unbegleitete minderjährige Flüchtlinge.
Sie leiden unter Krieg und Flucht, Verlust ihrer Heimat und Trennung von Familienmitgliedern. Eine schnelle stabile Struktur, die in der Regel durch die Einheit der Familie gegeben ist, ist für sie essentiell, um gesund aufzuwachsen, in der Schule zu lernen, Gewalt vorzubeugen und ein aktiver Teil einer Gesellschaft zu werden. Eine Obergrenze widerspricht der Prüfung des Einzelfalls und hebelt Menschenrechte aus. Die Einheit der Familie ist ein Grundrecht sowie ein in der UN-Kinderrechtskonvention zugesichertes Recht. Deutschland hat die Kapazitäten und Kompetenzen, diese Herausforderungen gut zu bewältigen.
Völlig unakzeptabel ist die geplante Überführung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge in "Anker-Zentren". Die (vorläufige) Inobhutnahme und Betreuung muss weiterhin in der Zuständigkeit der Jugendämter liegen. Eine Verweildauer von Kindern und Jugendlichen in diesen Zentren ist mit dem Kindeswohl nicht vereinbar. Der Zugang zu Bildung, Ausbildung und Freizeit kann so nicht angemessen gewährleistet werden. Rückführungseinrichtungen (ARE) wie in Bamberg oder Manching dürfen nicht das Vorbild für eine Aufnahmepolitik sein. Dieses Verabredung ist zudem völkerrechtswidrig.
Werden Sie der weiteren Aussetzung des Familiennachzugs zustimmen? Werden Sie den gesamten genannten Maßnahmen im Deutschen Bundestag zustimmen, falls die SPD keine Nachbesserungen erzielen kann? Wie wirken Sie auf Ihre Verhandlungsführung ein, um hier zu anderen Ergebnissen zu kommen?
Mit freundlichen Grüßen
K. P. L.
Sehr geehrter Herr L.,
vielen Dank für Ihre Anfrage. Ihre Sorgen hinsichtlich des Ausgangs der Sondierungsverhandlungen halte ich für gerechtfertigt. Selbstverständlich müssen für minderjährige, unbegleitete Geflüchtete besondere Strukturen geschaffen werden, um sie gleich nach ihrer Ankunft in Deutschland bestmöglich unterstützen zu können. Um genau dies sicherzustellen, haben wir im Koalitionsvertrag einige neue, wichtige Änderungen erzielt. So sollen beispielsweise die sogenannten AnKER-Zentren von vorneherein enger mit den örtlichen Jugendbehörden zusammenarbeiten. Nur so kann eine altersgerechte Betreuung im Zusammenspiel mit der Durchführung von entsprechenden Integrationsmaßnahmen gewährleistet werden.
Dieser Vorgabe muss stattgegeben werden, um den minderjährigen unbegleiteten Geflüchteten schnellstmöglich adäquate Hilfe anbieten zu können. Diese neuartige Integration der Jugendämter in die Erstaufnahmeeinrichtungen soll außerdem zu einer effizienteren Abwicklung der Asylverfahren insgesamt führen: Jugendliche, die offenkundig minderjährig sind, beziehungsweise laut Altersfeststellung noch nicht die Volljährigkeit erreicht haben, sollen ohne weitere Verzögerungen so schnell wie möglich in die Obhut der zuständigen Jugendbehörden gelangen. Mit einer solchen, schnelleren Überführung von Kindern und Jugendlichen in Jugendeinrichtungen begrenzen wir nicht nur die Zeit für unbegleitete Minderjährige in den AnKER-Einrichtungen, sondern schaffen gleichzeitig Platz und Ressourcen für eine sachgemäße Bearbeitung der Asylverfahren Erwachsener.
Ich selbst werde mich weiterhin nach Kräften gegen die Aussetzung der Familienzusammenführung wehren. Die Einigung im Koalitionsvertrag, den Zuzug von Familienmitgliedern ab dem 1. August 2018 auf 1.000 Personen auszuweiten, muss ich daher als einen kleinen, aber nicht unerheblichen Verhandlungserfolg verbuchen – denn ginge es nach dem Willen unseres Koalitionspartners, wäre die Möglichkeit einer Familienzusammenführung geflüchteter Menschen auch auf Dauer ernstlich gefährdet. Nichtsdestotrotz ist das Verhandlungsergebnis nicht ideal, weshalb ich gemeinsam mit meiner Fraktion weiterhin für eine humanere und gerechtere Integrationspolitik kämpfen werde. Ich erwarte das in naher Zukunft stattfindende Gesetzgebungsverfahren zur Regelung der Zusammenführung von Familien mit Spannung, da auch hier durch die Anhörung verschiedenster, engagierter Organisationen noch einmal einige Veränderungen im Vorhaben festgeschrieben werden können. Bis dahin erachte ich es als meine Pflicht, mich für eine fairere Integrationspolitik stark zu machen.
Mit freundlichen Grüßen
Detlev Pilger, MdB