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Daniela Ludwig
CSU
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Frage von Karl W. •

Frage an Daniela Ludwig von Karl W. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Guten Tag Frau Raab,

ich bin mir nicht ganz im Klaren in den folgenden Punkten und hoffe, dass Sie mir bei der Klärung helfen können.

1. Ist das GG eine Verfassung?
2. Wurde in den Lissabonner Verträgen rechtsstaatliche Ordnung übertragen?
3. Sehen Sie die Lissabonner Verträge als staatsauflösende Maßnahme?
4. Wurde in den Lissabonner Verträgen Rechtshoheiten der BRD aufgegeben und wenn ja, welche?
5. Wurden die Zuständigkeitsbereiche des Bundesverfassungsgerichts damit in irgendeiner Art und Weise verändert?

Vielen Dank für Ihre Zeit
Mit freundlichen Grüßen
Walther

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Antwort von
CSU

Sehr geehrter Herr Walther,

vielen Dank für Ihre Fragen zum Vertrag von Lissabon.

Der Vertrag von Lissabon, dem der Deutsche Bundestag am 24. April 2008 mit großer Mehrheit zugestimmt hat, ist die wichtigste Weiterentwicklung der europäischen Integration seit dem Vertrag von Nizza. Er erhält die Substanz des gescheiterten Verfassungsvertrags, verzichtet jedoch auf die Einführung überflüssiger staatlicher Symbole. Durch den Vertrag von Lissabon wird die Europäische Union (EU) sowohl demokratischer als auch handlungsfähiger im Hinblick auf die Bewältigung der künftigen Herausforderungen.

Mit dem Vertrag von Lissabon wird die Charta der Grundrechte durch einen Verweis im EU-Primärrecht verankert und damit rechtsverbindlich gemacht. Die Charta schreibt konkrete Rechte vor, die allen Unionsbürgern zustehen. Über ihre Einhaltung wird der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wachen. Dies bedeutet im Ergebnis eine wirksame Stärkung des Grundrechtsschutzes in der EU.

Zusammen mit der CSU-Landesgruppe begrüße ich ausdrücklich, dass es gelungen ist, mit dem Vertrag von Lissabon eine klare Kompetenzabgrenzung zwischen der EU und den Mitgliedstaaten sowie die Stärkung des Subsidiaritätsprinzips festzuschreiben.

Die EU darf nur innerhalb der Grenzen tätig werden, die ihr nach den Verträgen zustehen. Um diesen Grundsatz nach Inkrafttreten des Vertrags wirksam einfordern zu können, hat der Deutsche Bundestag auf maßgebliche Initiative der CSU-Landesgruppe einen begleitenden Antrag zum Vertrag von Lissabon verabschiedet. Darin legt er seine Interpretation des Vertrags - insbesondere im Hinblick auf die erwähnte Kompetenzabgrenzung, die Ausgestaltung des Subsidiaritätsprinzips sowie die den nationalen Parlamenten zukommenden Mitwirkungs- und Kontrollrechte - unzweifelhaft dar. Mit diesem Antrag hat der Deutsche Bundestag ein wichtiges Signal gegen Kompetenzüberschreitungen der EU gesendet.

Ebenso wenig entspricht es den Tatsachen, dass "die demokratischen nationalen Organe in noch größerem Maß als bisher zu ausführenden Instanzen" europäischer Rechtsetzung herabgesetzt werden. Auch hier ist genau das Gegenteil zutreffend. Der Deutsche Bundestag erhält mit dem Vertrag von Lissabon zum ersten Mal das förmliche Recht, Gesetzesvorhaben der EU auf ihre Vereinbarkeit mit dem Subsidiaritätsprinzip zu überprüfen und gegebenenfalls durch Einreichung einer Subsidiaritätsrüge oder -klage vor dem Europäischen Gerichtshof dagegen vorzugehen.

Im Vergleich zum Verfassungsvertrag sieht der Vertrag von Lissabon die Einführung eines verstärkten Subsidiaritätskontrollmechanismus vor. Dieser ermöglicht es den nationalen Parlamenten, Legislativvorhaben des EU-Gesetzgebers innerhalb von 8 Wochen daraufhin zu überprüfen, ob diese nicht ebenso gut auf der nationalen oder regionalen Ebene geregelt werden könnten. Sind die nationalen Parlamente dieser Auffassung, so können sie mit der einfachen Mehrheit ihrer Stimmen die Kommission innerhalb der genannten Frist verpflichten, den Entwurf zu überprüfen. Die Kontrollmöglichkeiten der nationalen Parlamente hinsichtlich der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips in der EU werden somit deutlich gestärkt.

Die Rechtsverbindlichkeit der Charta der Grundrechte bietet den Bürgern eine zusätzliche Garantie in Bezug auf die EU für die Einhaltung der Grundrechte, diese wird auch durch die von Ihnen erwähnten "Opt out-Klauseln" für Großbritannien und Polen nicht obsolet. Es sei zum einen darauf hingewiesen, dass die Charta im Allgemeinen dem gemeinsamen Katalog der Grundrechte entspricht, die die EU bereits anerkannt hat, zum anderen, dass europäische Grundrechte - neben der Charta - auch durch die Rechtsprechung des EuGH in der Form allgemeiner Rechtsgrundsätze entwickelt werden. An diese sind alle Mitgliedstaaten, unabhängig von ihrer Anerkennung der Charta, gebunden.

Erlauben Sie mir, abschließend darauf zu verweisen, dass sich der Deutsche Bundestag in drei öffentlichen Expertenanhörungen des Ausschusses für die Angelegenheiten der EU ausführlich mit den durch die Ratifikation des Vertrag von Lissabon verbundenen Folgen für die europäische und nationale Politik beschäftigt hat.

Die überwältigende Mehrheit der darin befragten, auf Einladung aller Fraktionen erschienenen Sachverständigen rieten dem Deutschen Bundestag nahezu vorbehaltlos zur Ratifizierung des Vertrags von Lissabon.

Ansonsten ist eine Klage beim Bundesverfassungsgericht anhängig, dessen Urteil abzuwarten ist.

Mit freundlichen Grüßen

Daniela Raab, MdB

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