Frage an Daniela Kolbe von Michael K. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrte Frau Kolbe,
Sehr geehrter Herr Zech,
Am 23.07.2014 entschied das Bundessozialgericht (Az.: B 8 SO 14/13R-Az.: B 8 SO 31/12 R und Az.: B 8 SO 12/13 R), dass volljährige erwerbsunfähig Behinderte, die in der Wohnung der Eltern oder in Wohngemeinschaften leben, der Regelbedarfsstufe 1 zuzuordnen sind, anstatt Regelbedarfsstufe 3, wie bis dato weitestgehend verbreitet.
Im Grundsatz, so das BSG, richtet sich der Bedarf einer erwachsenen leistungsberechtigten Person nach der Regelbedarfsstufe 1 vielmehr auch dann, wenn sie mit einer anderen Person in einer Haushaltsgemeinschaft lebt, ohne dass eine Partnerschaft im Sinne der Regelbedarfsstufe 2 -... besteht.
Daraus folgen, im Lichte der genannten Rechtsprechung, m.E. diverse Ungleichbehandlungen im Sinne Artikel 3 Absatz 1 GG. Da es um die existenzsichernden regelhaften Leistungen geht, können solche Unterschiede nicht begründet sein. Ich verkenne nicht, dass es Systemunterschiede gibt, wie etwa Einkommens und Vermögensberücksichtigung, die aber ihren Ausdruck nicht im Regelbedarf finden können, der ja aus Verbrauchswerten ermittelt wird. Eine solche Zuordnung wäre willkürlich und, der Unterschiedshöhe nach, auch nicht begründbar.
a) Sehen Sie eine derartige Ungleichbehandlung für erwachsene Leistungsberechtigte zwischen 18 und 24 im Rechtskreis SGB II , die nur Leistungen gemäß Regelbedarfsstufe 3 erhalten ggü. den erwachsenen Leistungsberechtigten im SGB XII?
b) Sehen Sie eine derartige Ungleichbehandlung zwischen erwachsenen Leistungsberechtigten zwischen 18 und 24 einerseits und ab 25 andererseits im SGB II ?
c) sehen Sie gesetzgeberischen Handlungsbedarf?
Sehr geehrter Herr Krauß ,
haben sie vielen Dank für die Anfrage.
Das Bundessozialgericht (BSG) hat am 23. Juli 2014 in drei Urteilen entschieden, dass haushaltsangehörigen leistungsberechtigten Personen, die weder einen Einpersonenhaushalt führen noch gemeinsam mit einem Partner einen Paarhaushalt führen, anders als bislang von den Trägern der Sozialhilfe bewilligt und von der Mehrheit der Sozialgerichte entschieden, nicht die Regelbedarfsstufe 3, sondern die Regelbedarfsstufe 1 zustehe.
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat die Obersten Landessozialbehörden frühzeitig darüber in Kenntnis gesetzt, dass es Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidungen hat. Ihnen wurde daher empfohlen, bis zum Vorliegen der schriftlichen Urteilsbegründungen und ihrer Bewertung durch das BMAS der Rechtsauffassung des Bundessozialgerichts nicht zu folgen. Grund dafür war unter anderem, dass nach Auffassung des BMAS die Umsetzung der Urteile zu einer verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigenden und vom Gesetzgeber ausdrücklich nicht gewollten Besserstellung von haushaltsangehörigen Personen gegenüber Ehepartnern führen würde.
Das BSG hat am 23. Dezember 2014 die Urteilsgründe veröffentlicht. Das BMAS hält die Entscheidungen des Bundessozialgerichts nach einer ausführlichen Prüfung der Urteilsgründe für wenig überzeugend. Den Obersten Landessozialbehörden wurde am 16. Februar 2015 eine ausführliche rechtliche Bewertung der BSG-Urteile zur Kenntnis übersandt.
Danach teilt das BMAS nicht die Auffassung des Bundessozialgerichts, die im Kern bedeutet, dass innerhalb einer Wohneinheit mehrere Personen mehrere Haushalte führen können, z.B. einen gemeinsamen Haushalt der Eltern und einen eigenen Haushalt des erwachsenen behinderten Kindes innerhalb einer Wohnung. Aufgrund dieses Haushaltsverständnisses dürfe zwar bei Paarhaushalten eine Haushaltsersparnis aufgrund des Zusammenlebens angenommen werden, nicht aber bei den weiteren haushaltsangehörigen Personen, weil diese einen eigenen Haushalt allein führen. Das BMAS hat sich ausführlich mit den Änderungsanträgen, der Wortmeldungen der beteiligten Bundestagsabgeordneten, den Äußerungen im Vermittlungsverfahren sowie den Gesetzesbegründungen zur Regelbedarfsstufe 3 befasst. Für die vom Bundessozialgericht vertretene Auffassung findet sich weder in diesen Gesetzgebungsmaterialien noch im Wortlaut der Vorschriften noch in der Systematik der Regelbedarfsstufen noch in der Methodik der Regelbedarfsermittlung ein Anhaltspunkt. Vielmehr wollte der Gesetzgeber gerade nicht nur die regelhaft angenommene Haushaltsersparnis in Paarhaushalten, sondern die Haushaltsersparnis, die bei jeder weiteren in einen Mehrpersonenhaushalt lebenden Person eintritt, berücksichtigt wissen.
Diese Bedenken verbunden mit der oben dargestellten möglichen Benachteiligung von Ehepartnern, die aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts resultieren kann, bestätigen das BMAS in seiner Auffassung, dass eine Umsetzung der Urteile im Kern einer Normverwerfung gleichkäme. Da eine Nichtanwendung der vom Gesetzgeber beschlossenen Vorschriften über die Regelbedarfsstufe 3 im Kern bedeuten würde, dass die Verwaltung ihre Bindung an Recht und Gesetz aufgibt, hat das BMAS erhebliche Bedenken, die Obersten Landessozialbehörden aufzufordern, die Umsetzung der Urteile des BSG anzuordnen.
Dem Vernehmen nach plant das BMAS nach der Ressortabstimmung innerhalb der Bundesregierung und der Abstimmung mit den Ländern demnächst eine Entscheidung mitzuteilen. Ich hoffe sehr, dass eine entsprechende Umsetzung nun Anwendung findet, wie es vom BSG entschieden wurde.
Gesetzliche Änderungen bei den Regelbedarfen können nur auf systematischer Grundlage vorgenommen werden, wenn sie auf belastbaren Daten basieren. Im zweiten Halbjahr 2015 wird die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2013 zur Verfügung stehen. Diese liefert die aktuellsten verfügbaren Daten zu den Verbrauchsausgaben einkommensschwacher Haushalte. Auf dieser Grundlage wird dann - wie es im SGB XII vorgesehen ist - eine neue Regelbedarfsermittlung durchgeführt. Das Gesetzgebungsverfahren soll 2016 durchgeführt werden, die neuen Regelbedarfe werden dann voraussichtlich am 1. Januar 2017 in Kraft treten.
Mit freundlichen Grüßen
Daniela Kolbe